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10 2017

Lotta Continua in Frankfurt, Türken-Terror in Köln

Migrantische Kämpfe in der Geschichte der Bundesrepublik

Serhat Karakayali

Zwischen einer Praxis, die darin besteht „die Geschichte zu schreiben“ und der, „Geschichten zu erzählen“, besteht ein Unterschied, den manche als einen Epochenbruch ansehen würden. Die Vorstellung eines linearen, fortschreitenden Verlaufs von Geschichte, samt Finalität und großem Subjekt, ist im Zusammenhang mit den Debatten um die Postmoderne vielfach diskutiert worden. Für den Kontext der Geschichte der Kämpfe der MigrantInnen in Deutschland spielen jene Fragen nur eine untergeordnete Rolle. Entscheidend für den Unterschied, um den es hier geht, ist der politische Kontext und die damit verbundenden Fragen von Subjektivität und politischer Identität. Die Entdeckung und Wiederentdeckung jener Kämpfe war Teil des Konstitutionsprozesses des antirassistischen Netzwerks kanak attak und hatte darin eine praktische und eine theoretische Dimension. Praktisch war es notwendig, sich in eine Tradition stellen und aus der Geschichte ihrer Erfolge und Niederlagen lernen zu können. Notwendig war eine solche Traditionslinie zudem auch, um das Bild der MigrantInnen allein als Objekte von Rassismus zu dekonstruieren. Auf theoretischer Ebene ging es um eine Historisierung, die zeigen sollte, dass der Rassismus in der Geschichte nicht immer die gleichen Gruppen auf die gleiche Weise unterwirft und damit auch die Niederlagen und Erfolge von antirassistischen Kämpfen den Rassismus immer wieder verändern. Rassismus sollte so als ein soziales Verhältnis fassbar werden, in dem die Kämpfe im Mittelpunkt stehen und nicht die durch den Rassismus produzierten Identitäten (vgl. Bojadžijev 2002 und 2003).

Für die Arbeit von kanak attak hat sich dieser Zugang als sehr fruchtbar erwiesen: Die gegenwärtig stattfindenden Veränderungen des Migrationsregimes oder die Änderungen bezüglich des Staatsbürgerschaftsrechts konnten so in ihren historischen Verbindungen gesehen werden. Aus dieser Perspektive etwa entwickelte kanak attak die Kritik am Begriff der Integration, der im Angesicht der historischen Kämpfe als nichts anderes erscheinen muss, als die Forderung nach individueller Anpassung, ein bloßes Versprechen, das verdeckt, dass die meisten MigrantInnen in der Bundesrepublik entrechtet leben und dass sie, historisch gesehen, schon immer gegen diese Entrechtung gekämpft haben.

Zwei der sicherlich berühmtesten Beispiele aus der nahezu unbekannten Geschichte migrantischer Kämpfe sollen verdeutlichen, wie die angesprochenen historischen Verbindungslinien zum aktuellen Migrationsregime gezogen werden können.


Frankfurter H
äuserkampf

Im Herbst 1970 hatten StudentInnen, Familien aus Obdachlosensiedlungen und ausländische ArbeiterInnen in der Eppsteiner Straße 47 im Frankfurter Stadtteil Westend vermutlich zum ersten Mal im Nachkriegsdeutschland ein leer stehendes Haus besetzt, die Häuser in der Liebigstraße 20 und Corneliusstraße 24 folgen einen Monat später. Das unmittelbare Echo auf die Besetzungen war sehr positiv, sowohl in lokalen Medien (außer in der FAZ), überregionalen Fernsehsendungen, als auch bei AnwohnerInnen und schließlich sogar bei Teilen der regierenden SPD. Diese sah in den Besetzungen zunächst ein zwar illegales, aber dennoch legitimes Mittel, auf die miserablen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt aufmerksam zu machen.

Die Hausbesetzungen waren aus Sicht der StudentInnen zunächst Selbsthilfeaktionen, deren Berechtigung darin bestand, „endlich aus der Isolation von Frau Wirtins muffigen Mansardenkammern oder der Gängelei repressiver Elternhäuser zu entfliehen“ (zit. nach Stracke 1980: 100). Diskriminierungen bei der Zimmersuche, astronomisch hohe Mietpreise, die Weigerung, in winzige Studentenwohnheimzimmer zu ziehen oder die Lösung in der Gründung einer Kleinfamilie zu suchen, waren die Ausgangspunkte. Daran anschließend entwickelte die Bewegung eine weitreichende Kritik an der fordistischen Lebensweise: „Man merkt den Wohnungen an, daß sie gebaut wurden, um Geld zu scheffeln, und nicht, damit Menschen sich drin wohl fühlen können. Die Wohnungen sind so gebaut, daß man gerade darin Fernsehen und dann Schlafen kann, um am nächsten Tag wieder fit für die Arbeit zu sein“ (Flugblatt „Wir bleiben drin“, Häuserrat/AStA 1973).

Auf dem Wohnungsmarkt am meisten diskriminiert waren freilich die ArbeitsmigrantInnen. Seit den ersten Anwerbeabkommen Mitte der Fünfziger wurden sie zumeist in so genannten Gastarbeiterunterkünften untergebracht, die von den Arbeitgebern bereitgestellt werden sollten. Die Unternehmen ließen aus Kostengründen Barackensiedlungen am unteren Ende der vorgesehenen Standards errichten: eine „Bettstelle“, ein Schrank, eine Sitzgelegenheit und eine Toilette für 15 ArbeiterInnen. An diesen Bedingungen scheint sich im Übrigen nicht viel geändert zu haben, betrachtet man heutige Flüchtlingsunterkünfte: Zur Zimmerausstattung gehören ein Bett, ein Stuhl pro Person; Kochplatte, Tisch und Schrank müssen sich drei Personen teilen (vgl. Kühne/Rüßler 2000: 151).

Diejenigen, die ihre Familie nach Deutschland holen oder einfach den schäbigen Lebensbedingungen im Wohnheim entkommen wollten, mussten feststellen, dass der freie Wohnungsmarkt ihnen nicht viel anzubieten hatte. AusländerInnen wohnten in Gebieten, in denen nach den herrschenden Planungsmaximen gar keine Wohnungen sein sollten, in extremen Emissionszonen oder in sanierungsbedürftigen Wohngegenden. Frankfurter ArbeitsmigrantInnen wohnten Anfang der Siebziger, so sie nicht in werkseigenen Wohnheimen oder -lagern untergebracht waren, zu zwei Dritteln in Altbauwohnungen, die sich in sehr schlechtem Zustand befanden oder in Ein-Zimmer-Appartements, deren Mieten Deutschen zu hoch waren, von den ArbeitsmigrantInnen aber wegen der größeren Wohnungsnot akzeptiert werden mussten (vgl. Borris 1973). Bei weniger als einem Drittel der in Frankfurt lebenden MigrantInnen entsprach die Ausstattung den vergleichbaren deutschen Durchschnittswohnungen, die meisten zahlten dennoch Mieten, wie sie für moderne Luxuswohnungen üblich waren. Mit Wohngeld unterstützt wurden gerade drei Prozent der nicht-deutschen MieterInnen und Sozialwohnungen erhielten 1971 ganze 60 Antragsteller, obwohl der größte Teil Anspruch darauf gehabt hätte.

Den wohnungssuchenden MigrantInnen kam vor diesem Hintergrund eine besondere Funktion bei der Umstrukturierung des Westends zu. Von ihnen konnten hohe Mieten verlangt werden, obwohl sie in Abbruchhäusern wohnten, an denen nicht einmal minimalste Reparaturen vorgenommen wurden. So konnten die Gebäude bis zum geplanten Abbruch hochprofitabel zwischenvermietet werden. Manchen MieterInnen wurden etwa 1971 bis zu 900 DM für winzige, verwanzte Löcher abgenommen. Gleichzeitig konnte den MigrantInnen die Verantwortung für den schlechten Zustand der Häuser zugeschoben werden. So hat die Bürgerinitiative Aktionsgemeinschaft Westend e.V. (AGW), die selbst umfangreiche Daten über hohe Mieten und Überbelegung in den migrantisch bewohnten Häusern sammelte, die MigrantInnen aufgefordert, „Lärm zu vermeiden und keine Abfälle neben die Mülltonnen zu werfen“ etc. Letztlich ging es darum, eine behördliche Genehmigung für den Abbruch zu erhalten und so konnte es den Immobilienhändlern recht sein, wenn es so aussah, als wären es die MigrantInnen, die den Verfall der Häuser verursachen würden.

Wie richtig die Immobilienkaufleute mit ihrer Annahme lagen, dass sie die MigrantInnen nicht einmal als Rechtssubjekte behandeln müssten, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 1972: Der Besitzer eines Wohnhauses, ein Herr Gertler „hatte bereits einen Teil der Fenster zerschlagen, um das Haus unbewohnbar zu machen. Zuvor hatte er türkische und jugoslawische Arbeiter, die im zweiten Stock wohnten, vertrieben, indem er sie samt Mobiliar auf Lastwagen verladen und gegen ihren Willen abtransportieren ließ. Sie würden ‚in Lager außerhalb Frankfurts’ gebracht, erklärte Gertler. Zu empörten Anwohnern sagte er: ‚Was ich mit meinen Mietern mache, ist meine Sache’.“ (FAZ vom 29. August 1972) Die daraufhin alarmierte Polizei leitete keine Untersuchungen ein. Weniger spektakulär war die Gepflogenheit mancher HausbesitzerInnen, einfach die Wohnungen der MieterInnen zu betreten. Ein italienischer Mieter erzählt über seinen Hausbesitzer: „Er ging in die Küche und guckte in die Töpfe, um zu sehen, was wir kochen. Wie oft hat er gesagt: [...] guck mal hier, ihr eßt sehr gut und verbraucht viel Strom und Gas. Ihr konsumiert zu viel, sagte er immer. [...] Anklopfen? Nein, dann fing er an rumzugehen von einem Zimmer zum anderen, ins Bad in die Toilette. [...] Das erste Mal habe ich mir gedacht, vielleicht ist das hier so. Das zweite mal habe ich gesagt: RAUS !“ („Hausbesetzer erzählen“, in: Häuserrat 1974: 120)

Die EigentümerInnen der Wohnungen konnten auf die Zusammenarbeit mit den städtischen Behörden und der Polizei vertrauen, nicht aber darauf, dass sich die MigrantInnen sich nicht wehren würden. Nachdem bereits einige italienische Familien an den ersten Besetzungen im Herbst 1970 teilgenommen hatten, entstand im Sommer 1971 eine neue Form des Häuserkampfs: der Mietstreik. Einige italienische AktivistInnen von der Unione Inquilini (Mieterunion) hatten wochenlang Ausländerquartiere im Westend besucht, um mit den BewohnerInnen über deren Wohnsituation zu diskutieren. Den Anfang machten die BewohnerInnen des Hauses in der Ulmenstraße 20. Auf einer Pressekonferenz erklärten sie den Mietstreik, nur noch 10 Prozent des Lohnes sollte für die Miete ausgegeben werden. Doch ließ sich der Mietstreik zunächst nicht ausweiten.

Im Februar des nächsten Jahres dann deuteten die Aktionen der BewohnerInnen der Eschersheimer Landstraße 220 eine Wende an. Sie hatten schon früh erfolglose Versuche unternommen, ihre Situation über Gerichte oder das Amt für Wohnungswesen zu verbessern und waren zu der Einsicht gelangt, dass „ein Hausstreik keine Kraft hat, daß es notwendig ist, Verbündete zu suchen“ (Häuserrat 1974: 111). Es wurden Flugblätter verfasst, eine Demonstration mit über 1000 TeilnehmerInnen veranstaltet und in den Häusern textete man nicht nur für Transparente, sondern auch für Mietstreiklieder, die in den türkischen und italienischen Radiosendungen täglich gespielt wurden.

Diesem Beispiel folgten ab Februar 1972 zahlreiche andere migrantische Hausgemeinschaften. Bis Ende dieses Jahres befanden sich Dutzende von Häusern im Mietstreik – an die 1500 MigrantInnen. Dieses migrantische Engagement findet sich in allen späteren Häuserkampfbewegungen, etwa Anfang der Achtziger, nicht mehr. Von den ersten Aktionen unterschied sich diese Welle von Streiks dadurch, dass die BewohnerInnen der verschiedenen Häuser begonnen hatten, miteinander zu diskutieren und gemeinsam vorzugehen. Der Streik entwickelte sich durch die Erfahrung, dass alle zum Objekt einer übergreifenden konzertierten Aktion gemacht werden sollten, vom reinen Mietstreik zum politischen Streik. Dominierte anfangs die nackte Not, die vorher schon viele Familien zum ganz privaten Mietstreik mehr oder weniger gezwungen hatte, waren nun mehr und mehr die Amtsgerichte, die Polizei und der Magistrat die gemeinsamen Gegner. Der Mietstreik entwickelte sich zu einer Kritik an den Lebens- und Arbeitsbedingungen in Deutschland. Wollte die erste italienische Familie, die das Haus in der Eppsteiner Straße mitbesetzt hatte, nicht nur den hohen Mieten, sondern auch dem Rassismus der Nachbarn entkommen, richteten sich die Forderungen mittlerweile auch gegen die Akkordarbeit, die Wohnheime oder das Fehlen von Kindergärten für die MigrantInnenkinder.

Tatsächlich kam es zur gleichen Zeit zu Streiks von ArbeitsmigrantInnen bei VDM in Frankfurt und bei Opel Rüsselsheim, wo diese die deutsche Betriebsversammlung unter der vom Revolutionären Kampf ausgegebenen Parole „Eine Mark für alle!“ stürmten. Auf der ersten MigrantInnen-Demonstration der Bundesrepublik 1972 im Frankfurter Westend fanden sich so neben Transparenten gegen die Vermieter auch welche gegen die „Bosse“. Mit der Parole Fiat-Opel-Autobianchi dei padroni siamo stanchi! (Von den Fiat-Opel-Autobianchi Bossen haben wir die Schnauze voll!) thematisierten sie auch die kapitalistische Indienstnahme der Migration. Sowohl im Betrieb als auch im Quartier war die Solidarität der Deutschen aber nicht sonderlich groß. Abgesehen von den Betriebsarbeit leistenden Linken und der HausbesetzerInnenbewegung waren die Beziehungen zur Mehrheitsgesellschaft von Rassismus geprägt, angesichts ihrer Wohnsituation hatte man allenfalls Mitleid mit den „armen Gastarbeitern“.

Die Mietstreikenden wurden ab 1973 mit mehr als 140 Prozessen überzogen, die der Bewegung schließlich auch ein Ende bereiteten. Trotz der Unterstützung der „Genossenanwälte“ und der Spontis vom Häuserrat waren die Hausgemeinschaften mit diesem Angriff überfordert, sie verloren mehr als neunzig Prozent der Verhandlungen und waren nicht mehr in der Lage, eine neue Offensive zu starten.

Trotz eines „kulturrevolutionären“ Effekts der Aktionen innerhalb der MigrantInnen-Communities (Politisierung des Reproduktionsbereichs, Infragestellen der Geschlechterverhältnisse, Eroberung des öffentlichen Raums, Kollektivierung) waren bestimmte z. B. nationalistische Borniertheiten mit verantwortlich für die spätere desolate Situation. Dabei handelte es sich nicht bloß um die Banalität, dass diejenigen Häuser besonders gut organisiert waren, die eine relativ homogene Nationalitätenstruktur aufwiesen und deshalb keine internen Sprachprobleme hatten. So gab es Konflikte um Freundschaften zwischen TürkInnen und ItalienerInnen und eine unausgesprochene Hierarchie, an deren Spitze die „politischsten“ Communities standen.


Fordstreik in Köln

Der vielleicht bekannteste unter den unbekannten migrantischen Kämpfen in der Bundesrepublik war der so genannte Türkenstreik in den Ford-Werken in Köln-Niehl im August 1973. Sein Auslöser war die fristlose Entlassung von 300 türkischen ArbeiterInnen, die ihren vierwöchigen Jahresurlaub eigenmächtig verlängert hatten.

Auf einer Betriebsversammlung eine Woche vor Beginn des Streiks erklärten sich die türkischen ArbeiterInnen solidarisch mit den Entlassenen, während die Mehrheit der deutschen KollegInnen die Entlassungen und Disziplinarverfahren zum Teil applaudierend befürwortete. Den Deutschen, die als Vorarbeiter, Fertigmacher oder Meister vor allem vorgesetzte Funktionen im Betrieb innehatten, erschienen die Entlassungen gerechtfertigt: Sie selbst waren immer pünktlich gewesen, sollte das nicht auch für die anderen gelten? Zum anderen hatten sie wenig Verständnis für die Situation der türkischen KollegInnen, die von den vier Wochen Werksurlaub schon allein zehn Tage mit der An- bzw. Abreise verbringen mussten, wodurch ihnen nicht mal drei Wochen Urlaub blieb. Dennoch waren zu Beginn auch deutsche KollegInnen an dem Streik beteiligt, wenn auch zögerlich.

Als klar wird, dass die durch die Entlassungen entstehende Mehrarbeit auf die Verbliebenen umverteilt werden sollte, wächst der Unmut unter den ArbeiterInnen. Viele fluchen laut vor sich hin, die Stimmung ist gereizt, aber die Arbeit geht weiter. Bis ein Türke mit dem Ruf „Kollegen, wie lange sollen wir uns das gefallen lassen?!“ die Barriere durchbricht. Innerhalb weniger Minuten streikt die gesamte Endmontage-Halle. Im Laufe des Tages zieht ein Demonstrationszug durch das ganze Werk. Am Abend dieses 24. August 1973 versammeln sich einige Tausend auf dem Werksgelände, zu diesem Zeitpunkt standen drei Forderungen im Zentrum: Zurücknahme der Entlassungen, eine Mark mehr pro Stunde für alle und die Herabsetzung der Bandgeschwindigkeit. In den nächsten zwei Tagen weitet sich der Streik innerhalb der Ford-Werke aus. Eine Gruppe deutscher Linker namens Kölner Fordarbeiter verteilt in Wohnheimen und im Betrieb Flugblätter, auf denen weitere Forderungen aufgestellt werden, u.a. die Verlängerung des bezahlten Urlaubs auf sechs Wochen.

Gleichzeitig führt der Betriebsrat Verhandlungen mit der Geschäftsleitung. Am Montag, dem 27. August 1973, kommt es zur Wende im Streik, denn es zeichnet sich ab, dass die Verhandlungen zu keinem Ergebnis führen und der Betriebsrat von der Mehrheit der ArbeiterInnen ohnehin nicht mehr als legitime Vertretung akzeptiert wird.

In den Medien war bis zu diesem Zeitpunkt von einer zwar illegalen, aber verständlichen Arbeitsniederlegung gesprochen worden. Zentral war dabei offenbar, dass sich bisher auch deutsche KollegInnen dem Streik angeschlossen hatten. Die Frankfurter Rundschau berichtete am 27. August 1973 noch, die Geschäftsleitung schließe nicht aus, dass „auch deutsche Arbeiter die Forderung ihrer türkischen Kollegen unterstützen“ und der Kölner Stadt-Anzeiger berichtet am selben Tag über die „Bemühungen des Bundeskanzlers, die Forderungen der Metallarbeiter in geregelte Bahnen zu lenken“. Nachdem auf einer Versammlung eine unabhängige Streikleitung gewählt worden war, hatten Geschäftsleitung und Betriebsrat offenbar ihre Strategie geändert. Während des Wochenendes wurden die ArbeiterInnen der Spätschicht über Radio, Fernsehen und sogar in Durchsagen in den Straßenbahnen aufgefordert, nicht zur Arbeit zu erscheinen. Die Geschäftsleitung wollte den Streik durch Reduzierung des Streikpersonals beenden. Denn es wurde entgegen der deutschen Gewerkschaftstradition nicht von „zu Hause aus“ gestreikt. Die Türken, einige Italiener und nur noch wenige Deutsche übernachteten im Polsterlager des Ford-Werkes und organisierten den Streik von hier aus.

Danach aber setzte eine Politik der Spaltung ein. Gewerkschaft und Betriebsrat organisierten eigene Demonstrationen und konnten die Mehrheit der deutschen KollegInnen für sich gewinnen. Am Mittwoch, dem 29. August 1973, standen von den Deutschen nur noch Lehrlinge und jüngere Aushilfsarbeiter auf der Seite der Streikenden. Die radikale Haltung der ArbeiterInnen, hieß es nun, sei durch „fremde Kräfte“ geschürt. Die BILD-Zeitung flüsterte von „6-8 Kommunisten, die sich getarnt in Monteursmänteln in das kilometerweite Werksgelände eingeschlichen haben“ (29. August 1973). Auch der Betriebsratsvorsitzende Lück erklärte im Express, „der ehemalige Radikalen-Tummelplatz Universität sei vielerorts in die Betriebe verlagert“ worden. Überschriften wie „Türken-Terror bei Ford“ und „Übernehmen die Gastarbeiter die Macht?“ dokumentieren, wie der Arbeitskampf in eine Art Krieg der Mentalitäten umgedeutet wurde. Plötzlich ging es nicht mehr um Lohnforderungen, Entlassungen und Arbeitsbedingungen, sondern um die Ausländer, die das deutsche Tarifsystem nicht richtig verstehen würden.

Die Geschäftsleitung beendete schließlich nach knapp einer Woche den Streik gewaltsam, indem unter dem Schutz einer „Gegendemonstration“ von so genannten Arbeitswilligen in Meisterkitteln Polizeikräfte auf das Werksgelände eindrangen und damit begannen, „Rädelsführer“, d.h. die Streikleitung, zu verhaften. Unter den Verhafteten war auch Baha Targün, den die Türken als Ersten in das Streikkomitee gewählt hatten. Er wurde später ausgewiesen, seine Spur verliert sich in der Türkei. Über 100 türkische Arbeiter wurden fristlos entlassen, etwa 600 kündigten auf Druck des Arbeitgebers „freiwillig“. Es ist kein Fall bekannt geworden, in dem der Betriebsrat gegen eine Entlassung Einspruch eingelegt hätte.

Der Streik war letztlich an der Spaltung in Deutsche und Ausländer gescheitert. Werksleitung, Betriebsrat und Medien hatten es nach und nach geschafft, die ohnehin schon strukturell unterschiedlichen Interessen ideologisch zu verfestigen. Die deutschen Arbeiter hatten die besseren Jobs und verdienten mehr, warum sollten sie also streiken? Den Streikenden wiederum war es nicht gelungen, diese Logik zu durchbrechen. Vielleicht wäre es gelungen, die Spaltung zu überwinden, wenn man sie nicht bloß als ideologische Verblendung betrachtet hätte. Denn der Rassismus war vielmehr materiell fundiert, d.h., in der bundesdeutschen Ökonomie wurde mit den Kanaken die Segmentierung des Arbeitsmarkts rassistisch strukturiert.

Für die Linken damals war die Spaltung so etwas wie ein konspirativer Trick der herrschenden Klasse. Natürlich waren die kanakischen Arbeiter in einer besonderen Lage, aber das wurde eben als eine Art Zufall gesehen. Die Arbeiterklasse war doch seit jeher eigentlich international. Von Rassismus, geschweige denn strukturellem, wusste man nicht viel. Die meisten dieser linken Gruppen wie KPD, KPD/ML oder KBW waren an dem Streik gar nicht beteiligt, und lieferten nur jede Menge Flugblätter, manchmal aber auch Zigaretten und Essen. Innerhalb des Ford-Werks hatte die Gruppe Arbeiterkampf am meisten mit den türkischen Kollegen zusammengearbeitet und den Streik mitgetragen. Der gemeinsame Kampf war mehr als nur eine Erfahrung. Für die betrieblich orientierte Sponti-Linke in Westdeutschland waren die Kanaken eine Art Avantgarde.


Juristische, politische und ökonomische Kämpfe

Die Arbeitskämpfe bei Ford in Köln 1973, bei Opel in Rüsselsheim zur gleichen Zeit, und auch der Kampf im Westend wie die vielen, kaum dokumentierten Revolten in Gastarbeiterlagern (vgl. von Oswald/Schmidt 1999) sind letztlich gescheitert. Den längeren Atem hatten anscheinend diejenigen, die Geschäfte machen wollten und diejenigen, die ihnen im Namen des Volkes dabei halfen. Wenn etwa aufgrund des Mietstreiks nach und nach Schwierigkeiten entstanden – in Gestalt von Gerichtsverhandlungen, dem Abstellen von Strom und Wasser oder Schlägertrupps der Vermieter – schien es überdies, als habe sich durch die politische Aktion die Situation eigentlich nur verschlechtert. Die Ursachen für die Niederlage auch nur annähernd erschöpfend zu klären, ist heute kaum möglich. Ein wesentlicher Punkt scheint jedoch darin bestanden zu haben, dass es häufig nicht gelang, langfristige Perspektive und auf den Nägeln brennende Alltagsprobleme miteinander zu vermitteln.

Ohne eine Parallele zu ziehen, ist doch mit den damaligen Kämpfen eine Verbindung von rechtlichen, politischen und ökonomischen Kämpfen entscheidend geworden, an die es heute anzuknüpfen gilt. Was damals für die Bundesrepublik zum ersten Mal auf die Tagesordnung gesetzt wurde, war, den Kampf gegen aufenthaltsrechtliche Praxen mit dem Kampf gegen die Repression im Wohnheim und dem Akkord in der Fabrik zu koppeln. Damit wurde ein Antirassismus möglich, der, indem er die rassistische Überdeterminierung von Ausbeutungsverhältnissen thematisiert, seine Grundlage nicht mehr im Humanismus hat. Dieser neuen Form von Antirassismus geht es weder identitätspolitisch um Anerkennung wie im Multikulturalismus oder um das abstrakte humanistische Menschsein, noch um eine Selbstdefinition ausschließlich als Opfer. Es geht vielmehr um eine Auseinandersetzung mit der rassistischen Segmentierung von Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie der institutionellen Diskriminierung mit Blick auf eine materielle Fundierung antirassistischer Politik. Anstatt an das gute Gewissen der deutschen Öffentlichkeit zu appellieren, müssen soziale und ökonomische Bündnisse geschlossen werden. Anstatt die selbst rassistische Trennung in Deutsche und AusländerInnen zu zementieren, müssen nicht-identitäre Kriterien für antirassistische Politik erfunden werden. Dies ist in der Mietstreikbewegung wie auch im Fordstreik und den vielen anderen migrantischen Kämpfen in der Bundesrepublik ansatzweise gelungen, weshalb es sich lohnt, auch den verlorenen Schlachten nachzugehen.


Literatur:

Bojadžijev, Manuela (2002): „Antirassistischer Widerstand von Migrantinnen und Migranten in der Bundesrepublik: Fragen der Geschichtsschreibung.“ In: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20.Jahrhunderts, Heft 1. S.125-152

Bojadžijev, Manuela (2003): „Dispositive der Migrationspolitik. Staatliche Maßnahmen und das Konzept der Autonomie“. In: Subtropen, Nr. 1

Borris, Maria 1973: Zur sozialen Situation ausländischer Arbeiter in Frankfurt. Frankfurt am Main

Gruppe Arbeitersache (1973): Was wir brauchen, müssen wir uns nehmen. München

Häuserrat Frankfurt (1974): Wohnungskampf in Frankfurt. München

Häuserrat Frankfurt und AStA der Uni Frankfurt 1973: Kettenhofweg 51. Dokumentation des Häuserrates und des AStA der Uni Ffm

Kühne, Peter/Rüßler, Harald (2000): Die Lebensverhältnisse der Flüchtlinge in Deutschland. Frankfurt am Main/New York

Stracke, Ernst 1980: Stadtzerstörung und Stadtteilkampf: Innerstädtische Umstrukturierungsprozesse, Wohnungsnot und soziale Bewegungen. Köln

Oswald, Anne von/Schmidt, Barbara (1999): „Nach Schichtende sind sie immer in die Lager zurückgekehrt ...“ Leben in „Gastabeiter“-Unterkünften in den sechziger und siebziger Jahren. In: 50 Jahre Bundesrepublik – 50 Jahre Einwanderung. Motte/Ohliger/von Oswald (Hg.), Frankfurt am Main/New York

 

Der Text ist ein Sample aus Across Bockenheimer Landstraße (diskus 2/00, siehe: http://www.copyriot.com/diskus) und Sechs bis acht Kommunisten, getarnt in Monteursmänteln (http://www.kanak-attak.de).