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05 2008

Mentale Prototypen und Monster-Institutionen. Einige Anmerkungen in Form einer Einleitung

Universidad Nómada

Übersetzt von Birgit Mennel und Tom Waibel

Mentale Prototypen

Seit einiger Zeit kursiert in den Diskussionen der Universidad Nómada[1] ein Kofferwort, das zusammenfassen will, was wir für eines der Ergebnisse des kritischen Einsatzes seitens der Bewegungen und anderer postsozialistischer, politischer AkteurInnen halten: Wir sprechen davon, neue mentale Prototypen politischer Handlung zu schaffen. Wir tun dies aufgrund der Bedeutung, die die flüchtige und so oft gescheiterte Verbindung zwischen kognitiven Diagrammen und Prozessen politischer Subjektivierung in unseren Augen hat; das heißt, die Verbindung zwischen jenen Wissensformen einerseits, die eine Analytik der Mächte und Vermögen ermöglichen, sowie den semiotischen, perzeptiven und affektiven Mutationen andererseits, die eine Politisierung unseres Lebens hervorbringen, sich unseren eigenen Körpern einschreiben und die abgeschlossenen, existenziellen Zonen Form verleihen, welche dem politischen Antagonismus zur Verfügung stehen oder für diesen gerüstet sind. Es scheint uns notwendig, neue mentale Prototypen zu schaffen, da sowohl die gegenwärtigen politischen Repräsentationsformen als auch ein wichtiger Teil der von den emanzipatorischen Traditionen des 20. Jahrhunderts geschaffenen Institutionen – zumindest – einer ernsthaften Überprüfung unterzogen werden müssen, da sie heute in vielen Fällen eher einen Teil des Problems als einen Teil der Lösung ausmachen.

In dieser Hinsicht sollte das Jubiläum der weltweiten Revolution von 1968 – auf das wir in dem Monat, in dem wir diesen Text schreiben, unweigerlich Bezug nehmen müssen – nicht dazu dienen, in der Nostalgie Zuflucht zu suchen, ohne einen Begriff einer verlorenen „Epoche der Revolutionen“ zu haben, sondern ganz im Gegenteil:  Die Bezugnahme sollte vielmehr zum Ausdruck bringen, in welchem Ausmaß einige der unzeitgemäßen Anzeichen jener weltweiten Revolution in einem Zustand der Latenz oder, um genauer zu sein, „vereitelter Virtualität“ fortwähren. „1968“ interessiert uns, weil dieses Jahr ein unvorhergesehenes, wenngleich nicht vom Himmel gefallenes, weltweites Ereignis war; eine historische Gabelung, die eine Spur neuer politischer Schöpfungen in den verschiedensten Breiten des Planeten hinterlassen hat. Wenn uns dieses Jahr in letzter Instanz motiviert, dann weil „1968“ in seinen unaufgelösten Verbindungen und selbst in seinen Karikaturen das Problem der Politisierung (sowie der Metamorphose) des Lebens als monströses Eindringen des Unzeitgemäßen in die Geschichte (der kapitalistischen Moderne und Postmoderne) zu denken erlaubt.[2]

In den vergangenen vierzig Jahren hat diese Latenz Erscheinungsformen angenommen, die von gewisser Bedeutung sind. Das letzte, vielleicht wichtigste und uns generationsbedingt nächste, ist das Auftauchen der sogenannten Bewegung der Bewegungen bzw. der globalen Bewegung als Protagonistin. Das außergewöhnliche Vermögen dieser Erscheinung war indes hinsichtlich der uns so wichtig erscheinenden Schöpfung jener „mentalen Prototypen“ nicht immer hinreichend fruchtbar. Zumindest ist nicht klar, ob es gelang, hinreichend gewitzte, robuste und komplexe Prototypen hervorzubringen, um innovative Modelle von politischer Organisation und Subjektivierung zu schaffen, die – wenigstens – einen Angriff auf die tiefgreifende Transformationen der Befehls- und Alltagsstrukturen sowie der neuen Produktionsweisen erlauben[3]. Die verschiedenen in dieser Ausgabe des Webjournals transversal zusammengetragenen Texte entspringen diesen Problemstellungen – die wir in diesem Format jedoch lediglich aufs Äußerste zusammenfassen und gerade noch auf ihre grundlegenden Aspekte reduzieren können. Wir haben uns entschieden, einige dieser Problematiken nicht auf rein spekulativer Ebene aufzugreifen und sie mit größtmöglichstem Abstand von einem mutmaßlichen „es-muss-sein“  der politischen Formen von Bewegungen zu behandeln; stattdessen versuchen wir eine Serie von Erfahrungen vorzustellen, die keinen beispielhaften Charakter haben, sondern sich viel eher auf Fallstudien und Erfahrungen konzentrieren, die in der Praxis erprobt werden; Erfahrungen, die derzeit die Überwindung dieser Notlagen sowie jener Schwächen anstreben, von denen wir gerade berichtet haben.

Für die Universidad Nómada stellt die Detaillierung der Differenzierungsmuster sowie der Differenziale politischer und institutioneller Innovation, die sich in bestimmten Versuchen abzeichnen, eine dringende Aufgabe dar. Wir haben uns dazu entschlossen, den Akzent auf zwei Aspekte zu setzen, die implizit je eine transversale Achse für diese Zusammenstellung von jeweils sehr unterschiedlichen Texten bilden, und zwar: (a) Wir geben metropolitanen politischen Interventionsformen den Vorzug, wobei wir im Konkreten vor allem eine ihrer häufigsten Figuren, die Sozialzentren, berücksichtigen, indem wir versuchen, diese weder als versteinerte Formen noch als politische Artefakte mit einer essenzialisierten Identität zu bestätigen, sondern vielmehr zu untersuchen versuchen, in welchem Maß die „Form Sozialzentrum“ auf Prozesse der Öffnung und Erneuerung[4] verweist und etwa neuartige Dispositive der Äußerung (sowie der Intervention) der Galaxie des Prekariats[5] hervorbringt; (b) zugleich, und teilweise mit dem Vorherigen verflochten, betonen wir den Aufbau von Netzwerken der Selbstbildung, die sich in der Krise der europäischen, öffentlichen Universität[6] entwickeln – und vielleicht sogar daraus hervorgehen. Schließlich beziehen wir uns auf „Europa“ nicht als naturalisierten Raum politischer Intervention, sondern vielmehr als konstituierenden Prozess; außerdem auf die Produktion dieser mentalen Prototypen sowie auf die Dispositive der Äußerung und Intervention als instituierenden Prozess[7].

 
Sozialzentren als „organlose Körper“

Über einen langen Zeitraum, und in vielen Fällen immer noch, verwendeten und verwenden die spanischen besetzten Sozialzentren die Abkürzung CSO (Centro Social Okupado) oder CSOA, selbstverwaltetes besetztes Sozialzentrum (Centro Social Okupado Autogestionado) als Unterscheidungsmerkmal in der öffentlichen Sphäre, als eine Art semiotisches Kennzeichen für die Radikalität ihres Einsatzes. Unweigerlich wiesen einige der in diesen Erfahrungen Beteiligten auf die virtuose Übereinstimmung zwischen dieser Bezeichnung und dem „organlosen Körper“ hin, dem CsO (Cuerpo sin Órganos) von Deleuze und Guattari[8], um die weder gedachten noch geäußerten Virtualitäten vorzustellen und in die Praxis zu übertragen versuchen, von denen wir glauben, dass sie in der Matrix eines metropolitanen Sozialzentrums gegenwärtig sind. Die Erwägungen, die wir in den unterschiedlichen Texten dieser Ausgabe des transversal/transform-Webjournals finden, weisen in dieselbe Richtung, das heißt, sie verweisen auf die fortwährende Neuerfindung eines institutionellen Dispositivs (eine Form der Institution der Bewegung), die ihre Geltung sowie in gewisser Weise ihren irreversiblen Charakter für die Politik subalterner Subjekte in der Metropole bereits unter Beweis gestellt hat. Dies soll nun nicht heißen, dass jene irreversible Geltung einer „Form Sozialzentrum“ entspränge, die sich unveränderlich, selbstreferenziell, identitär und sich selbst immer gleich behauptete, sondern vielmehr das Gegenteil davon, wie es in einem der kollektiven Texte, die wir hier zusammengetragen haben, detailliert ausgeführt ist.[9] 

Vielleicht könnte man von der Notwendigkeit sprechen, der Verfestigung der „Form Sozialzentrum“ durch die Produktion von „unzeitgemäßen Sozialzentren“ entgegenzuwirken, das heißt durch die Produktion von Einsätzen politischer und subjektiver Schöpfung, die ihren Ausgang von den konkreten Vermögen zur unterschiedlichen Bestimmung der (politischen, kulturellen, „produktiven“) Zusammensetzung der metropolitanen Kooperationsbassins nehmen und die daher darauf abzielten, sich weder als autarke noch als autonome Inseln zu verschließen, sondern das Existierende gemäß variabler Angriffe zu verändern, in denen Gegenmächte zum Ausdruck kommen, die ihrerseits in der Lage sind, sich der Dialektik des Antagonismus zwischen tendenziell homologen Mächten zu entziehen.[10] Dergestalt eröffnen sich neue räumliche, zeitliche, perzeptive, kooperative, normative, wertbezogene und konstituierende Dimensionen.

Vor etwa zwanzig Jahren traten die SquatterInnen auf der öffentlichen Bühne in Erscheinung. Von den SquatterInnen über die Besetzungen zu den besetzen Sozialzentren gab es unbestritten ein Wachstum und eine Entwicklung; aber die Erfahrung ist, um es so zu formulieren, nicht aus einem Zustand der Neotenie herausgekommen. Dafür gibt es offensichtlich vielfältige Gründe, die möglicherweise zu komplex sind, um sie mit vollständiger Gewissheit in dieser Ausgabe behandeln zu können. Es handelt sich jedenfalls um eine Komplexität, die keinesfalls vereinfacht werden darf, indem die wachstumshemmenden Faktoren negativ charakterisiert und jene, die das Modell entfalten, ohne dessen Zustand weiteren kritischen Überlegungen zu unterwerfen, positiv charakterisiert werden. Der Problemfaktor der (Politik der) Identität, der das Merkmal der Form Sozialzentrum mit seiner beunruhigenden Ambivalenz bildete, ist ein Beweis dafür: Denn dieser identitären Politik können zahlreiche „Übel“ zugeschrieben werden, ihr lässt sich anrechnen, dass sie beträchtlich zur Unterentwicklung der Erfahrungen und zur Wiederholung derselben Fehler beigetragen hat; aber dennoch, wenn wir der Dimension jener (Politik der) Identität nicht Rechnung tragen, erweist es sich als schwierig, zu erklären, warum die überwiegende Mehrheit dieser wichtigen Erfahrungen überhaupt entstand und fortbestand.

 
Metropole und Identität

Aus dem Blickwinkel der Produktion von Subjektivität behält der Akt des Ungehorsams und der unmittelbaren Wiederaneignung von Reichtum (des „fixen Kapitals“ von Gebäuden, Infrastruktur etc.) weiterhin grundlegende Bedeutung für die Entwicklung der Form Sozialzentrum (und nicht nur dafür); vermutlich wird er diese Bedeutung auch weiterhin behalten. Wir müssen dieser Tatsache in dem Moment Rechnung tragen, in dem wir einer nur relativ jungen Frage entgegentreten, die grenzenlose und angespannte Diskussionen innerhalb der Bewegungen hervorruft: Die Verhandlung über Räume im Hinblick auf eine dialogische Einigung über das Verbleiben in bereits besetzten Zentren ebenso wie Verhandlungen im Zuge des Herantragens einer Forderung an die öffentliche Verwaltung nach neuen Räumen, die selbstbestimmt verwaltet werden sollen. Wie aber lassen sich – um es etwas brüsk auszudrücken – Ungehorsam und Wiederaneignung mit Verhandlung in Einklang bringen, oder anders gesagt: Die Artikulation einer Dialektik der Verbindung von Konflikt und Verhandlung stellt in dieser Ordnung der Dinge das Hauptproblem dar – und zweifellos eine wesentliche Quelle der Auseinandersetzung.

Es gibt eine permanente Nische politischer Impulse – nicht nur für die jüngeren, in der Erfahrung der Sozialzentren Beteiligten –, die nicht ohne eine vorherbestimmte Weise auskommt, in der der Akt des Ungehorsams und des Konflikts als Element von politischer Subjektivierung und Identität wahrgenommen wird. Politische Funktion der Sozialzentren und Identität, Militanz und Identität, das metropolitane Gemeinschaftliche und Identität erweisen sich dergestalt als einige der fortwährenden problematischen Knotenpunkte, an denen sich das Fortschreiten der Erfahrung entscheidet oder aufhebt. Das heißt, es handelt sich um Knotenpunkte, an denen die Möglichkeit auf dem Spiel steht, einen neuen Typus von Institutionalität der Bewegung hervorzubringen, der aus der zwei Jahrzehnte währenden Erfahrung von Sozialzentren in Europa profitieren soll. In diesem Sinn ist das, was wir am Wenigsten brauchen, ein neues „Argument“ oder ein neues „Programm“; wir brauchen vielmehr eine ausdrückliche Problematisierung der Weise, wie wir uns mit der Singularisierung der kollektiven Existenz im produktiven, kooperativen und relationalen Milieu der Metropole konfrontieren. Es handelt sich um eine Singularisierung, die immer komplexere Prozesse von Identität und Differenz mit sich bringt – und diese „normalerweise“ impliziert. Wenn wir an die Notwendigkeit denken, einen Zyklus kreativen Experimentierens mit der Form Sozialzentrum wiederzubeleben, dann keinesfalls aufgrund eines wie auch immer gearteten Fetischismus der Erfindung, sondern vielmehr, weil Formen der Singularisierung, die wir an unseren Körpern und an unserem eigenen Leben erfahren, in unseren Metropolen gegenwärtig eine Transformationsphase durchlaufen, die als Antwort unweigerlich die praktische Anwendung von gewagten Formen politischer Neuzusammensetzung verlangt.

In die Metropole vollständiger Mobilisierung „einzutauchen“ kann kein voluntaristischer Akt sein. Die Entwicklung von Dimensionen politischen UnternehmerInnentums – worauf auch die Dienstleistungsproduktion seitens der Sozialzentren, die Dimensionen (bio-) syndikaler und kooperativer Art sowie öffentliche Projekte der Selbstbildung etc. verweisen[11] – verlangt nicht nur nach einer Konfrontation mit der Ausweglosigkeit endemischer und selbstmarginalisierter politischer Erfahrungen in der Metropole: Es impliziert außerdem eine Erläuterung dessen, was wir die Supplemente der Subjektivierung nennen können, welche eine Neubegründung von Sprachen, Wertuniversen und kollektiven Territorien innerhalb eines Dispositivs möglich machen, das sich insbesondere auf der Ebene von Lebensformen weiterhin als subversiv erweisen könnte, anstatt sein subversives Potenzial scheinbar nur im Rahmen einer Dialektik „molarer“ Konfrontation zwischen immer schon im Vorhinein gebildeten Subjekten zu entfalten, wodurch wir auf eine binäre Dynamik bereits bewerteter Kräften eingeschworen werden, mit dem Ergebnis, dass diese Kräfte bereits als entwertet erscheinen.

 
Governance als Gegner

Die Geometrie der Feindschaft der Sozialzentren in der produktiven Metropole wird in dem Maß konkretisiert, wie sich Regierungsformen festigen, die versuchen, die Macht des zentralisierten Kommandos mit der sozialen (metropolitanen und transnationalen) Zerstreuung der Mächte zu vereinen. Das polyzentrische Schema kapitalistischer Mächte belegt nicht nur die Krise parteiischer und repräsentativer Integrationsformen, sondern findet auch in der Governance seine Übergangsmodalität. „Von diesem Gesichtspunkt aus spielen wir, wenn wir von metropolitaner Governance sprechen, auf dieses Zusammenwirken öffentlicher Praktiken an, die in der Harmonisierung irreduzibler und heterogener Interessen die Antwort auf die Unfähigkeit sehen, Entscheidungen durch einen vorgängigen Prozess institutioneller Legitimation zu erlangen. Das Schwächerwerden traditioneller Mechanismen sozialer Disziplinierung und der Kanalisierung von Interessen endete damit, dass die Subjektivitäten selbst für die Praxen der Regierung undurchsichtig wurden. Governance bezeichnet in einem gewissen Sinn die Anstrengung, kontinuierlich und mittels flexibler und variabler Geometrien der Verwaltbarkeit des Lebens zweckdienliche Subjektivitäten zu produzieren, wo die Grenzen zwischen öffentlich und privat labil und flüchtig werden.“[12]

Die Sozialzentren finden in der Governance ihr gegnerisches Dispositiv, ihr Gegenüber, dessen Produktion von Konsens, Gehorsam und Ausschluss auseinandergenommen, destabilisiert und sabotiert werden müssen. Das Hauptanliegen der metropolitanen Governance besteht darin, die gemeinschaftlichen Lebensbedingungen gemäß den Modalitäten des Unternehmens Stadt produktiv zu machen; sie besteht in der politischen und institutionellen Artikulation der vollständigen Mobilisierung der Bevölkerungen sowie der linguistischen, affektiven und finanziellen Ströme; sie stellt eine vollständige Mobilisierung zur Neutralisierung politischer und existenzieller Wertigkeiten dar, die der Kooperation und dem gemeinschaftlichen metropolitanen Leben entspringen; außerdem besteht die Governance darin, eine „Regierung der Differenz“ hervorzubringen, die auf einer fortwährenden Inflation von Statuten, Segmentierungen, Regulierungen und Begrenzungen beruht, welche eine Hierarchisierung, Isolierung und Spaltung der subalternen Bevölkerungen erlauben. Die Sozialzentren sind einer der entscheidenden Operatoren der kritischen Praxis metropolitaner Governance (und sie werden dazu aufgefordert, dies mit noch größerer Intensität zu tun). Sie bekämpfen diese auf dem Gebiet entindividualisierender Praxen durch die Wiederaneignung von Räumen, die auf diese Weise in die Lage versetzt werden, politische Situationen zu bestimmen, in denen sich der Konflikt, der ein heterogenes Aggregat von Bevölkerungssingularitäten mit den Mechanismen des urbanen Unterhalts konfrontiert, in einen neuen Motor urbaner Dynamiken verwandelt. Die Sozialzentren bekämpfen die Governance durch die Produktion von neuen Dienstleistungsverhältnissen, wie etwa die Wiederaneignung von Sorgebeziehungen, die in der Lage sind, die Prozesse der Reproduktion und Valorisierung des Lebens, welche in den Institutionen metropolitaner Biomacht gefangen sind, zu entprivatisieren und zu entstaatlichen. Schließlich bleibt noch das Experimentieren mit Formen, um die Zeit der Metropole gegen die vollständige Mobilisierung der bedrohten und verängstigten Individuen auf andere Weise zu praktizieren und zu leben.

 
Bildung, Selbstbildung und Forschung in den Monster-Institutionen

Schließlich finden wir im Mosaik der in dieser Ausgabe von transversal behandelten Erfahrungen eindeutige Anzeichen von Monster-Institutionen, die heute gebraucht werden, um ein neuerliches Auftauchen der „vereitelten Virtualitäten“ unvermeidbar zu machen, die auf die lang währende und unabgeschlossene Sequenz der existenziellen Revolution von 1968 folgten: Mit Bezug auf den Anfang dieses Textes schließen wir also einen Argumentationskreis, der die Erscheinungen der Gegenwart auf eine Weise denken möchte, die aus den Virtualitäten der unmittelbaren revolutionären Vergangenheit Nutzen zieht. Weder schöpfen die hier aufgezeigten Fallstudien jene Virtualitäten aus, noch sättigen sie diese. In Übereinstimmung mit den Herausforderungen, die in den einzelnen Texten entworfen werden (mehr Innovation, mehr Kooperation, mehr Übertragung auf europäischer Ebene und darüber hinaus) bringen die Interessen der Universidad Nómada die Möglichkeit zur Sprache, diese neuen mentalen Prototypen zu verfertigen, die mit einer wünschenswerten Monstrosität verknüpft sind, mit der Notwendigkeit, eine andere Politik im Ausgang von Fragen der Bildung, der Selbstbildung und der Forschung zu denken und zu praktizieren. In diesem Feld existieren nach unserem Dafürhalten folgende vier elementare Kreisläufe:

(a)               Die Erarbeitung eines Kreislaufs von Bildungsprojekten, der diejenigen theoretischen Paradigmen und intellektuellen Instrumente in Umlauf bringt, die der Produktion von kognitiven Landkarten am angemessensten sind, um (1) in die öffentliche Sphäre zu intervenieren und dergestalt swarming points der Bezugnahme hervorzubringen und gegenhegemoniale Diskurse zu produzieren; und, zusätzlich, um (2) die tatsächlich bestehenden Strukturen und Dynamiken der Macht – ebenso wie der Vermögen – zu analysieren.

(b)              Die Schaffung eines Kreislaufs von Projekten der Mituntersuchung, der eine Untersuchung der Bereiche des sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Lebens auf systematische Weise ebenso erlaubt wie dynamische Kartographien der sozialen Struktur und ihrer Dynamiken zu erstellen, die brauchbar sind, um den antagonistischen Praxen Orientierung zu geben, die existierenden Konflikte und Kämpfe neu zu bestimmen und neue Ausdrucksformen hervorzubringen, die ein neues Prinzip sozialer sowie epistemologischer Intelligibilität stiften.[13]

(c)               Der Entwurf eines editorischen Kreislaufs sowie eines Medienkreislaufs, der es möglich macht, auf transnationaler Ebene auf die öffentliche Sphäre und die Bereiche intellektueller Produktion ebenso Einfluss zu nehmen wie auf die akademische Lehre, und zwar mit dem Ziel, analytisch-intellektuelle Laboratorien und schließlich neue Segmente von Referenz und Kritik hegemonialer Formen des Wissens und der Konzeptualisierung sozialer Realität hervorzubringen.

(d)              Das Raster eines Kreislaufs von Gründungen, Instituten und Forschungszentren, der sich in eine autonome Infrastruktur der Erkenntnisproduktion verwandelt, die durch die Anhäufung von Analysen und konkreten Vorschlägen eine Keimzelle der Formen politischer Organisation begründet. Ihre Aktivität sollte die Analyse regionaler und europäischer Bedingungen mit den strukturellen Dynamiken der Kapitalakkumulation sowie der Neuschöpfung globaler geostrategischer Optionen verknüpfen, die den Bewegungen angemessen sind.

Die Dispositve, die derartige Aufgaben möglich machen, sind in einigen Fällen bereits vorhanden und in Gang gesetzt. Manifestationen oder Ahnungen davon lassen sich hier und dort finden, sie streuen sich in den Texten der Ausgabe des transversal-Webjournals, die wir mit diesen Seiten einleiten. Es handelt sich dabei schließlich um zwangsläufig hybride und monströse Dispositive:

Hybrid sind die Dispositive, weil sie im ersten Moment dazu anstacheln, Mittel und Initiativen von sehr heterogenem und widersprüchlichem Zuschnitt zu vernetzen, die seltsam und sogar miteinander unvereinbar scheinen, und die öffentliche wie auch private Ressourcen, institutionelle sowie Bewegungszusammenhänge, nicht-institutionelle und informelle Handlungsmodelle mit vielleicht formalen oder repräsentativen Repräsentationsformen ebenso vermengen wie Kämpfe und soziale Existenzformen, die einige als unpolitisch, kontaminiert, unnütz oder absurd bezeichnen werden. Mittel und Initiativen, die aber dennoch zu strategischen Dimensionen werden, da sie die Prozesse der Ressourcenausstattung sowie die logistischen Elemente unmittelbar politisch und zu ProduzentInnen von Subjektivität werden lassen, die später für das Eindringen in und die Veränderung von verstaatlichten und/oder privatisierten öffentlichen Sphären zentral werden.

Monströs sind diese Dispositive, da ihre Form im ersten Moment vorpolitisch oder einfach unpolitisch erscheint, ihre Beschleunigung und Anhäufung jedoch in Übereinstimmung mit dem Beschriebenen sowohl eine Dichte wie einige Möglichkeiten der intellektuellen Schöpfung und der kollektiven politischen Handlung erzeugen muss, die einen Beitrag zur Erfindung einer anderen Politik leisten werden.

Eine andere Politik, das heißt, eine andere Form der Übersetzung des Vermögens der produktiven Subjekte in politische Verhaltensweisen und, schließlich, in wahrhafte Paradigmen der Organisation des sozialen Lebens sowie der dynamischen Strukturierung der Macht des Öffentlichen und des Gemeinsamen.



[1] Der ursprüngliche Text, der das Projekt Universidad Nómada präsentiert, findet sich als Einleitung auf unserer Website (http://www.universidadnomada.net/spip.php?article139); ein Text jüngeren Datums von Raúl Sanchez Cedillo wurde zu einer Art Zusammenfassung für eine neue Phase der Universidad Nómada; vgl. hierzu ders.: „Zu neuen politischen Schöpfungen. Bewegungen, Institutionen und neue Militanz“, übers. von Tom Waibel, in transversal: Instituierende Praxen, Juli 2007, http://transform.eipcp.net/transversal/0707/sanchez/de.

[2] In diesem Sinn verfährt auch Gerald Raunig in seiner jüngsten Besprechung des Buchs „Die Bresche“, in der er – unter Berufung auf Claude Lefort und Gilles Deleuze – an die unvorhergesehene, unvorhersehbare und unzeitgemäße Voraussetzung jenes „Ereignisses“ erinnert und dabei die Merkmale seiner „Latenzen“ betont, die noch immer aktiviert oder verifiziert werden können. Sowohl die „reaktionären“ Theorien über 1968 als auch die nostalgischen Anrufungen der Ereignisse dienen dazu, diese Latenzen ins Unbestimmte zu suspendieren; vgl. hierzu ders.: „Die Bresche“, http://transform.eipcp.net/correspondence/1209407525/?lid=bresche

[3] In diesem Sinn scheint auch Paolo Virno zu argumentieren, wenn er mit einem treffenden Bild feststellt, dass die globale Bewegung in den letzten Jahren einer gigantischen Batterie glich, die sich in einem kurzen und schwindelerregenden Prozess aufgeladen hatte, aber schließlich keinen Ort fand, wo sie sich hätte anschließen und ihr Potenzial hätte entladen können und dass es ihr insbesondere nicht gelungen ist, sich „mit denjenigen Formen des Kampfes“ zu verbinden, „die dazu geeignet sind, die Lage der prekären, befristeten und atypischen Arbeit in subversives politisches Vermögen zu verwandeln“; vgl. Paolo Virno, „Eine performative Bewegung“, übers. von Klaus Neundlinger, in transversal: Prekariat, Juli 2004 (http://eipcp.net/transversal/0704/virno/de). Mit diesen Anmerkungen einer (selbst-)kritischen Reflexion möchten wir die Tatsache nicht schmälern, dass der Gestaltungsprozess der globalen Bewegung bereits den unverzichtbaren genetischen Code des historischen Zyklus’ der heute vor sich gehenden Kämpfe bildet.

[4] Wir verweisen auf die im Text von Andrej Kurnik und Barbara Beznec ausgeführten Überlegungen, vgl. dies., „Rog: der Kampf in der Stadt“, übers. von Tom Waibel in transversal: Monster-Institutionen.

[5] Dies stellt unsere ausdrückliche Antwort auf das in der Fußnote 3 aufgeworfene Problem dar.

[6] Wie ließe sich hier vermeiden, auf die zentrale Bedeutung „der Universität“ in der weltweiten Revolution von ’68 hinzuweisen, auf die Weise, wie die Studierenden das Paradox einer Institution erahnten, deren historisches Modell eine Krise durchläuft, während sie dennoch eine immer zentralere Funktion für die kapitalistischen Produktions- und Valorisierungsformen annimmt. Vgl. hierzu neben vielen anderen Überlegungen jüngeren Datums, Gigi Roggero, „ Die Autonomie des lebendigen Wissens in der metropolitanen Universität“, übers. von Birgit Mennel, überarb. von Martin Birkner, in transversal: Instituierende Praxen, (http://transform.eipcp.net/transversal/0707/roggero/de), sowie die damit verbundene Erfahrung, dargelegt in „Die Metropole und die so genannte Krise der Politik. Die Erfahrung von Esc“, übers. von Steffi Weiss, Beratung: Klaus Neundlinger, in transversal: Monster-Institutionen, (http://transform.eipcp.net/transversal/0508/esc/de); vgl. außerdem zwei Texte von Montserrat Galcerán im Umfeld der Universidad Nómada; ders.: „Tiene la universidad interés para el capital?“ (http://www.universidadnomada.net/spip.php?article242) sowie „La crisis de la universidad“ (http://www.universidadnomada.net/spip.php?article184).

[7] Vgl. hierzu Francesco Salvini, „Jupitermonde: Netzwerk-Institutionen im Kontext des Wandels der Produktion in Europa“, übers. von Steffi Weiss, Beratung: Klaus Neundlinger, in transversal: Monster-Institutionen, (http://transform.eipcp.net/transversal/0508/salvini/de).

[8] Vgl. hierzu den Text „‚Mil mesetas‘ y los espacios liberados metropolitanos. Notas para un agenciamiento“ (http://www.sindominio.net/laboratorio/documentos/milmesetas/laboratorio.htm) von 1998, mit Überlegungen, die einige von uns teilten, ehe sie sich an der Universidad Nómada beteiligten.

[9] Vgl. Pablo Carmona, Tomás Herreros, Raúl Sánchez Cedillo und Nicolás Sguilia, „Sozialzentren: Politische Monster und Maschinen für eine neue Generation von Institutionen der Bewegung.“, übers. von Tom Waibel, in transversal: Monster-Institutionen, (http://transform.eipcp.net/transversal/0508/carmonaetal/de).

[10] Daher rührt auch die spezifische Assymmetrie zwischen Mächten und Gegenmächten, die die Bewegungen im neuen Zyklus von Kämpfen charakterisiert und die wir als „andere Geometrie der Feindschaft“ bezeichnet haben; vgl. Amador Fernández-Savater, Marta Malo de Molina, Marisa Pérez Colina und Raúl Sánchez Cedillo, „Ingedientes de una onda global“, in Desacuerdos 2, Barcelona: Macba, Unia y Arteleku 2006 (http://www.arteleku.net/4.0/pdfs/1969-2bis.pdf; http://www.universidadnomada.net/spip.php?article188).

[11] Eine der reichhaltigsten und erfreulichsten Fälle dieser Art bilden zweifellos die Büros für soziale Rechte, wie sie im Text von Silvia L. Gil, Xavier Martínez und Javier Toret beschrieben werden, vgl.: dies., „Büros für soziale Rechte: Erfahrungen politischer Organisation und Aussage in Zeiten der Prekarität“, übers. von Tom Waibel, in transversal: Monster-Institutionen, (http://transform.eipcp.net/transversal/0508/lopezetal/de).

[12] Atelier Occupato ESC, „Die Metropole und die so genannte Krise der Politik. Die Erfahrung von Esc“, übers. von Steffi Weiss, Beratung: Klaus Neundlinger, op. cit.; vgl. hierzu außerdem Francesco Salvini, „Jupitermonde: Netzwerk-Institutionen im Kontext des Wandels der Produktion in Europa“, übers. von Steffi Weiss, Beratung: Klaus Neundlinger, op. cit.

[13] Vgl. dazu Marta Malo de Molina „Nociones comunes“ , das Vorwort zum kollektiven Buch Nociones comunes. Experiencias y ensayos entre investigación y militancia, Madrid: Traficantes de Sueños 2004 (http://traficantes.net); vgl. außerdem die deutsche Übersetzung dieser Einleitung, die in zwei Teilen publiziert wurde, dies.: „Gemeinbegriffe, Teil 1: ArbeiterInnenbefragung und ArbeiterInnen-Mituntersuchung, Selbsterfahrung“, übers. von Birgit Mennel, in: transversal: Militante Untersuchung (http://transform.eipcp.net/transversal/0406/malo/de) sowie „Gemeinbegriffe, Teil 2: Von der institutionellen Analyse zu gegenwärtigen Erfahrungen zwischen Untersuchung und Militanz“, übers. von Birgit Mennel, in: transveral: Instituierende Praxen, op. cit. (http://transform.eipcp.net/transversal/0707/malo/de). In dieser Ordnung der Dinge kann sich ein Blick auf die im Webjournal transversal: Militante Untersuchung zusammengestellten Texte als lohnend erweisen (http://transform.eipcp.net/transversal); wir möchten die Aufmerksamkeit insbesondere auf den Text von Javier Toret und Nicolás Sguiglia lenken: „Kartographie und Kriegsmaschine. Herausforderungen und Erfahrungen mit der militanten Untersuchung im Süden Europas“, übers. von Birgit Mennel (http://transform.eipcp.net/transversal/0406/tsg/de).