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03 2018

Rhythmus im ökonomischen Raum

Stamatia Portanova

Übersetzt von Christoph Brunner

Begriffsraum

Die Frage nach dem Rhythmus ist eine soziale, kulturelle und politische. Wie findet man einen Rhythmus? Und, noch entscheidender, wie kann die Ökonomie einen Rhythmus finden, ohne das Chaos beherrschen und unerwartete Ereignisse vorhersagen zu wollen? In seiner (onto-)politischen Diskussion in The Power at the End of the Economy findet Brian Massumi einen Weg, die Zeitlichkeit des Rhythmus in Worte zu fassen, indem er sie als eine „Reaktivierung des Vergangenen im Übergang zu einer veränderten Zukunft“ beschreibt, „die Zeitdimensionen durchquert, zwischen Vergangenheit und Zukunft und zwischen Vergangenheiten unterschiedlicher Ordnung“ (Massumi 2014: 104). Anders gesagt erscheint Rhythmus als eine transversale Bewegung zwischen zeitlichen Dimensionen. Wenn wir uns Zeit jedoch als einen Pfeil vorstellen, eine lineare Bewegungsbahn von der Vergangenheit in die Zukunft, können wir sehen, dass das eigentliche Geschehen, das Ereignis, nicht nur von vergangenen Bedingungen, sondern auch von vorherrschenden ‚Tendenzen‘ in der Zukunft konditioniert wird, eine „Orientierung, die die Bewegung hin zu einem Attraktor oder gewünschten Endpunkt (wobei ‚Wunsch‘ hier im subjektlosen Sinne gemeint ist) steuert“ (ebd.: 104f.). Während die Linearität des Pfeils als metrisch messbar im Sinne einer ‚chronologischen Ordnung‘ und somit mehr oder weniger absehbar in ihren Folgen erscheint, ist ihre rhythmische Disposition, Ereignisse zu generieren, durch aufkommende Komplexitätseffekte von Feedback/Feedforward gegeben, die zwischen Vergangenheit und Zukunft in beide Richtungen operieren und den Pfeil in eine Reihe quantischer Unterbrechungen und kom-plizierter Verwicklungen transformieren. Der Pfeil wird zur Kurve gebeugt – oder zu einem Chaos sich verschiebender Kurven, deren Endpunkt immer außerhalb der Sicht liegt. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Massumi postuliert, dass die Erfahrung des Ereignisses in seinem Rhythmus (oder, um einen anderen, verwandten Begriff zu gebrauchen: in seiner Intensität) das erfahrende Selbst in ein unmittelbares Verhältnis der Offenheit gegenüber einer unbekannten Zukunft versetzt.


Finanzraum

Elie Ayache, Wertpapierhändler und ‚Philosoph des Markts‘, erklärt, dass die auf dem Finanzmarkt zirkulierenden Derivatspreise[1] im Sinne einer mit zukünftigen kontingenten Ereignissen geteilten ‚Realität‘, von deren Aktualisierung sie abhingen, ‚real‘ seien. Finanzderivaten einen Preis zu geben, heißt, mit der Zukunft oder mit dem Virtuellen zu spielen. Da Rhythmus oder das Auftauchen einer unbekannten Virtualität am Markt etwas Riskantes sind, wird die Unbeständigkeit als Mess- und Metrisierungsinstrument herangezogen, um eine quantitative Modellierung aller Kurssprünge zu erhalten.[2] Eine solche Vorgehensweise verfügt jedoch über schwache ontologische Grundlagen, da sie auf einem festgelegten Modell aller vorher berechneten Möglichkeiten basiert. Der Wert (Preis) wird daher als mathematischer Beweis kalkuliert, um höchst unwahrscheinliche Ereignisse zu rationalisieren.

Ayache argumentiert allerdings, dass gerade die Tatsache des Handelns am Markt bedeute, dass die Preise sich vom theoretischen Wert unterscheiden, der zu Beginn an das Derivat gebunden war: Wenn alle von Beginn an den Wert kennen würden, dann gäbe es keinen Grund, das Spiel zu spielen.[3] Preismodelle existierten daher nur, um überwunden zu werden, ansonsten würde der Markt nicht existieren. Doch das unterhalb oder oberhalb der Wahrscheinlichkeit existierende und fortbestehende „Residuum“ sei der Markt selbst, das Medium der Kontingenz, die nicht als  das Modell torpedierende bloße Ausnahme oder als Zufall betrachtet werden dürfte. Das Virtuelle (der Markt) sei nichts anderes als ein kontingentes zukünftiges Ereignis, real, bevor es „aktual“ werde. „Auf gewisse Weise ist der Preis schon in der Mitte des Ereignisses, er ist real, [...] er ist lediglich an einen Ort übertragen (buchstäblich im Raum verschoben), der ‚vor‘ dem Ereignis geschieht [...]. In der Tat sind der Preis oder der Markt das Virtuelle, von dem wir hier sprechen, oder die Realität des Ereignisses, die ihrer Aktualität ‚voraus ist‘“ (Ayache 2011: 35).

Das Virtuelle ist die Kontingenz der Realität, die Kontingenz des Aktualen (anstelle der Nicht-Realität möglicher Variationen). Im Markt zu handeln bedeutet, direkt von der Mitte des kontingenten Ereignisses her zu beginnen. Weil das Ereignis nicht Teil einer vorgespurten Liste von Möglichkeiten ist, kann es nicht einmal als unwahrscheinlich gedacht werden; es ist bar jeder Wahrscheinlichkeit, bar jeder metrischen Kalkulation, in einer dunklen Restregion, in der Wahrscheinlichkeitsmodelle aufhören und Rhythmus entsteht: die blanke Region der Kontingenz. Erst im Nachgang des Ereignisses versteht man seine Ursachen in einer rückwärtsgewandten Narration: „Erst im Nachhinein, jetzt, da das Ereignis geschehen ist, kann man in der Zeit oder der Geschichte zurückgehen, um die Kette der sie bedingenden Gründe herauszufinden“ (ibd.: 22). Die Zuteilung von Wahrscheinlichkeiten kann wie in einem rückwärtsgewandten linearen Pfeil erst im Nachhinein entstehen, wenn man beginnt, Modelle für die zeitliche Komplexität des Ereignisses nachzuzeichnen. Wenn wir es in den Begriffen Alain Badious ausdrücken sollten, würden wir zu dem Schluss kommen, dass ein Ereignis nicht nur unbekannt ist, sondern gar nicht existiert, denn um zu existieren, müsste es laut Badiou Teil einer Menge sein (ibd.: 23). Das Ereignis ist ein Teil seiner selbst, und es erzeugt seine eigenen Möglichkeiten. Hierdurch widerlegt es das Grundaxiom der Mengenlehre. So gesehen würde das Vorhersagen eines Ereignisses das Erstellen einer Formel mit einer unendlichen Zahl von Variablen (die Unbeständigkeit der Unbeständigkeit, die Unbeständigkeit der Unbeständigkeit der Unbeständigkeit usw.) implizieren, gleichzusetzen mit einer das Denkbare überschreitenden Anzahl von Möglichkeiten oder mit Leibniz’ Gott. Tausch (der Markt) bedeutet laut Ayache, wie absolute Kontingenz sich als der Zeit voraus projiziert. Denn was gehandelt wird, sind in der Tat keine produzierten Güter oder gar Geld als ihr Medium, sondern Vermögenswerte, Kapitalpakete, vertragliche Rechte zur Lieferung oder zum Erhalt von Geld. Anders gesagt geht es um zukünftige Verträge für den Kauf und Verkauf von Optionen, für die Abgabe und den Erhalt von Geld.


Technologischer Raum

Das Problem mit dem Ereignisbegriff bei Badiou und Ayache ist seine absolute Reinheit: Mathematik oder die Mathematik des Finanzwesens, gereinigt von allen ökonomischen, sozialen oder körperlichen Überbleibseln – abgesehen von einem reinen Raum von Rest-Zeitlichkeit. Die Kluft zwischen der Realökonomie (der Ökonomie der materiellen Produktion und des Tausches) und ihrem finanziellen (oder schuldenbasierten) Gegenstück, in dem neu gehandelte Produkte (Derivatverträge) Geldwert, aber keinen realen Produktionswert erzeugen können, ist in der Tat heute größer geworden. Dies ist definitiv nicht etwas, das nicht erklärt werden könnte, wenn man bedenkt, dass Geld zuerst nicht als Tauschmittel, sondern als Kredit existierte, um erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt die Funktion eines Tauschmittels und Wertspeichers anzunehmen (Kostaktis und Giotisas 2014: 432). Der Markt orientiert sich sogar noch mehr in Richtung Kontingenz und hin zu nicht einsehbaren Risiken, wenn Bitcoin und andere ähnliche (oder weniger ähnliche) Kryptowährungen (in anderen Worten: nicht staatliche, sondern individuell ausgestellte Schulden) in ihn einsteigen. Digitales Risiko ist paradoxerweise mit der dezentralisierten Operationsweise der Blockchain-Technologie verbunden: Die Blockchain erscheint als Quelle potenzieller und zugleich spekulativer Gefahr. Sie ist eine verteilte Datenbank ökonomischer Verträge oder Transaktionen, die auf Basis eines p2p-Systems arbeitet, eines öffentlichen Kontos, das keiner zentralisierten Autorität für die Registrierung und Ratifizierung der Transaktionen bedarf. Hier ist eine Coin nicht mehr als eine Kette digitaler Signaturen, und es ist der Proof-of-Work (Mining bzw. eine Lösung für eine mathematische Aufgabe, die eine Transaktion als sicher verifiziert und deren Schwierigkeitsgrad von der Anzahl vorheriger Operationen abhängt), der die Bitcoins frei und linear als Ketten von Transaktionsblöcken zirkulieren lässt, während zugleich die Irreversibilität der ökonomischen Transaktion festgeschrieben wird. Verbessert dieses System die Privatsphäre und Vertraulichkeit des Tausches, bedarf es zugleich einer klaren Identifikation der einzelnen Transaktionsknotenpunkte. Aus einer ‚rhythmischen Perspektive‘ bedeutet dies eine Punktierung des Kryptomarktes, entsprechend dem alten Modell monetärer Transaktionen, das die Erfindung des Geldes begleitet hat (punktuelle Tauschakte zwischen Individuen durch monetäre Einheiten). In der Sprache Gilles Deleuzes und Félix Guattaris könnten wir die Blockchain-Umwelt als technologisches „Milieu“ definieren: eine Reihe von codierten Raum-Zeit-Blöcken, ein linearer, nicht umkehrbarer Pfeil oder eine Menge periodischer Wiederholungen einer Hauptkomponente (der Transaktion). Eine arithmetische Abfolge, die Zeit linear werden lässt. Die Abfolge erlaubt es auch den Knotenpunkten, sich miteinander zu synchronisieren: Allein an der Tatsache, wie schwierig die Proof-of-Work-Kette geworden ist, lässt sich abschätzen, wie viel Energie für das Problem aufgewendet wurde. Eine Kontingenz, die fließend auf der Oberfläche einer absoluten Zeit gleitet. Doch zugleich erinnern uns Deleuze und Guattari daran, dass Milieus nur existieren, um sich zu überkreuzen und sich selbst zu transcodieren; anders gesagt: um eine rhythmische Differenz, keine Messlatte der Äquivalenz zu erzeugen. Ist die Blockchain als eine Transaktionsmetrik wirklich in der Lage, Rhythmus zu generieren?


Fairer Raum

Wie wir gesehen haben, liegt die interessante Seite des Rhythmus in seinem Vermögen, von einer metrischen Linearität abzuweichen oder sie zu gabeln. FairCoin ist ein Fork, eine Gabelung von Bitcoin, eine von hunderten AltCoins.[4] FairCoin wurde in Österreich programmiert und war das Resultat eines dreijährigen Mining-Prozesses. „Verglichen mit den meisten anderen Coins, die lediglich durch eine andauernde Blockchain-Blase kapitalisiert werden, fördert FairCoin Austausch und gegenseitiges Vertrauen.“[5] 7,5 Millionen FairCoins verteilen sich heutzutage auf infrastrukturelle Fonds, Commons-Fonds und Fonds für den globalen Süden. Außerdem gibt es die FairSaving-Bank. Zur ökonomischen Wertschöpfung bei gleichzeitiger Vermeidung der negativen Komponente der Ausbeutung definiert das FairCoin-Projekt seine Prinzipien und Ziele klar und versucht, ein Übereinkommen über den Coinpreis zu erreichen, was nur durch das Festlegen von organisatorischen und Entscheidungsstrukturen sichergestellt werden kann. Das System verfügt tatsächlich über eine relationale und organisatorische Basis, die die Prinzipien und Modalitäten des Arbeitens, aber auch die organisatorischen Instrumente der Selbstständigkeit, des Investments usw. einbindet. Die Struktur besteht aus lokalen Kontenpunkten, die alle in einem territorialen/virtuellen Verhältnis zueinanderstehen. Mit dem Ziel, einheitliche Entscheidungen zu ermöglichen, werden diese virtuell und international in offenen, von den Sektionen und Diskussionsgruppen organisierten Versammlungen getroffen. Jeder lokale Knotenpunkt agiert jedoch (in völliger Entscheidungsfreiheit) als im Austausch mit FairCoop (der Quelle der FairCoins) stehender Tauschpunkt oder ‚Bank‘.

Der Bitcoin-Wechselkurs (ebenso wie der anderer digitaler Währungen) wird durch Angebot und Nachfrage auf dem Markt definiert, was ihn für externe Faktoren stark angreifbar macht. Des Weiteren ist der Code anfällig für Attacken und Fehler (auch wenn ihre Auslösung kompliziert ist, ist sie nicht unmöglich). Als Gegenmaßnahme gegen Spekulationsrisiken und Marktanpassungen wurde der FairCoin-Preis kollektiv festgelegt (seit Dezember 2017 ist der Preis auf 1,20 € gestiegen, Stand: September 2018): Alle Transaktionen folgen dem offiziellen Preis und nur zehn bis zwanzig Prozent des Fair-Geldes werden ohne jegliche Rückkoppelung an FairCoop am freien Markt gehandelt. Auf der FairCoop-Webseite findet man eine eindeutige Liste aller Vorteile eines Preisanstiegs: „Anstieg der gesicherten Werte in den Community-Fonds, höhere ökonomische Investitionskraft für FairCoop, um in sein eigenes Ökosystem und andere verwandte Projekte zu investieren, Vorbeugen der Ausnutzung von Kursschwankungen“. Zugleich sieht man dort auch die Nachteile: „ein schneller Anstieg erhöht das Risiko einer Blase und zieht Spekulant_innen an, die auf einen ‚Absturz‘ des hohen Preises wetten wollen, eine hohe Preisdifferenz über einen längeren Zeitraum kann für FairCoop zu einem Liquiditätsproblem führen“. Jede Preisveränderung ist daher mit Vorsicht zu behandeln, und man versucht daher, Wahrscheinlichkeitsszenarien für Preisänderungen und deren Konsequenzen zu kalkulieren. Jedoch musste im Jahr 2017 der Preis mehrfach angepasst werden. Im Widerspruch zur künstlichen Flachheit und den inhumanen Spekulationen des Finanzmarktes (als einer Form des beschleunigten und absoluten Kapitalismus) lehnt FairCoin Risiko generell ab und wählt eine auf menschlichen Bedürfnissen und auf dem gemeinsamen Eigeninteresse der Kooperative basierende metrische Nachhaltigkeit. So gesehen scheint das Fair-Projekt an rhythmisch-ökonomischer Intensität und virtuell-konzeptioneller Spekulation zu verlieren, was es an konkreter Liquidität und aktualer sozialer Produktion gewinnt: Ein recht rigider oder zumindest wohldefinierter Organismus, der als ganzheitliches und idealerweise autonomes ökonomisches System autopoietisch seine eigenen Zwecke und Mittel produziert. Trotzdem kommt, während in einer ökonomischen Umwelt das Ziel des Pfeils immer das Eigeninteresse des rationalen (individuellen oder kollektiven) Subjekts der Ökonomie ist, Intensität dem Zusammenhalt kontrastierender Tendenzen gleich, einer „wechselseitigen Inklusion von etwas, das unter anderen Bedingungen auseinanderfallen würde“ (Massumi 2014: 69).


Ökonomischer Raum

In den Worten Massumis ist „Intuition als politische Kunst (die Kunst, ‚das Ereignis zu verfeinern‘) eine ästhetische Intuition oder ‚Invention‘ von Kompossibilitätsweisen zwischen sich normalerweise gegenseitig ausschließenden Kontrasten“ (Massumi 2014: 93). So gesehen ließe sich einerseits das FairCoin-Projekt als eines der vielen Moleküle betrachten, die das gegenwärtige Gewebe alternativer digitaler Ökonomien ausmachen und oft im Kontrast zu ihren jeweiligen Mitteln und Zwecken stehen. Anderseits „ist die Space-Plattform der Economic Space Agency (ECSA) ein offenes, kollaboratives Smart-Contract-Ökosystem, das auf der vierten Generation der (Post-)Blockchain-Technologie, Gravity2, basiert. [...] Ökonomische Räume sind [hier] Protokolle für ökonomische, finanzielle und soziale Interaktionen zwischen Wert- und Risikogenerierung, zwischen dem Teilen und dem Verteilen von Ressourcen. [...] Anstelle der Annahme einer totalisierenden Ökonomie imaginiert sich Space als Zusammenspiel einer Vielheit von Mikroökonomien, jede mit ihrem eigenen Steuerungsmodell, ihrer eigenen Logik der Wertschöpfung und ihrem eigenen Vermögen zur tokenisierten Selbst-Ausgabe“(Economic Space Agency: 235).[6]

Wie lassen sich Kontraste in einem ökonomischen Raum zusammenhalten? Die generelle neoliberale Annahme lautet, dass wir heutzutage in distanzloser Raum-Zeit (0) und absoluter Fluidität (oder absoluter Liquidität) leben und handeln. Diese Verabsolutierung von Raum und Zeit ist durch die Blockchain-Struktur gut beschrieben: ein Netzwerk, das wie ein riesiger Computer funktioniert. Gravity (ECSAs vierte Blockchain-Generation) kann die vom System prozessierten Smart Contracts losketten und verteilt diese über viele Blockchains, die selbst wie Computer arbeiten, indem sie gemeinsam in einer unendlich skalierbaren Netzwerktopologie (dezentralisiertes Cloud-Computing) riskieren und spekulieren. Es handelt sich um eine Bewegung weg von der einen virtuellen Maschine Bitcoin hin zu einem Netzwerk virtueller, miteinander operierender Maschinen, die ein computerbasiertes Gewebe komponieren.

Tausch vollzieht sich in diesem Netzwerk nicht einfach durch Coins, sondern durch Tokens. Laut ECSA verfügt ein Token über mehr Ausdrucksdimensionen als eine Bitcoin. Er dient dazu, Wert auf andere Art und Weise zu kreieren, zu erfassen und zu verteilen. Eine Differenz, die aus der Wiederholung entsteht. In Die drei Ökologien konstatiert Félix Guattari, dass das allgemeine Äquivalent andere Wertformen im kapitalistischen System verflachen lässt:

„Was das Bewertungssystem des Kapitalismus letztlich ungültig macht, ist sein Wesen als allgemeines Äquivalent, das alle anderen Bewertungsweisen niederwalzt, womit sie schließlich seiner Hegemonie entfremdet werden. Dem gälte es andere Bewertungsinstrumente wenn nicht entgegenzusetzen, so doch zumindest zu überlagern; Bewertungsinstrumente, die in den existentiellen Produktionen gründen, welche weder anhand einer abstrakten Arbeitszeit noch anhand eines errechneten kapitalistischen Profits bestimmbar sind. Es bedarf neuer ‚Wert‘-Börsen, neuer kollektiver Beschlüsse, die, gestützt insbesondere auf telepathische und informatische Verständigungsmittel, auch den individuellsten, singulärsten und dissensualsten Unternehmungen eine Chance geben. Der Begriff des kollektiven Interesses müsste auf Unternehmungen hin erweitert werden, die kurzfristig niemanden ‚profitieren‘ lassen, aber langfristig Träger von prozessualen Bereicherungen für die ganze Menschheit sind. Hier steht die Gesamtheit der zukünftigen Grundlagenforschung und Kunst in Frage.“ (Guattari 2016: 68f.)

Diese Reflexionen, die wie eine Vorwegnahme gegenwärtiger ökonomischer Experimente mittels neuer Technologien klingen, verweisen auf andere, nicht zwingend messbare Möglichkeiten der Wertschöpfung mit einem finanziellen Eigenleben. Im Space der ECSA ist der Token durch „einen Token“ (eine Spur, ein Archiv von Tauschgeschäften) ersetzt, sodass der Begriff eines generellen metrischen Äquivalents und der mit ihm assoziierte Begriff des Eigentums voneinander getrennt werden können: Es ergeben sich Fragen nach den Rechten und dem Vermögen über ein Objekt oder einen Service (eine feingliederigere Ökonomie als die einfache Dichotomie von Besitz und Nichtbesitz), z. B. „Wer hat das Recht, die Haustür zu einer bestimmten Zeit zu öffnen?“ anstatt „Wer besitzt ein Haus?“ etc. Die Messung des Werts solcher Fähigkeiten und der unterschiedlichen Tauschformen, die sie mit sich bringen, ist eine interessante und zugleich noch offene Frage, deren Beantwortung von der jeweiligen Richtung abhängt, die der Zeitpfeil jedes Mal  nimmt, wenn ein neues ökonomisches Projekt initiiert wird. Die Economic Space Agency macht den Vorschlag, als Vorlage möglicher Angebote und Propositionen, die durch Tokens gehandelt werden, in einer rhythmischen Kombinatorik von Rechten zu agieren. In diesem Sinne ist es möglich, „einen Token“ im Kontrast zu einer Art empirizistischem Begriff von Transaktion zu sehen, die sich als und zwischen individuierten Formen des Selbst vollzieht. Insbesondere wird die Identifizierbarkeit einer generellen und quantitativen Wertvorstellung als Basis des Tausches (und des Tokens als seiner Maßeinheit) abgelöst von einer Logik der unpersönlichen (nicht einfach nur anonymen) finanziellen Individuation (statt Individualisierung) durch „einen Token“ und seine jeweiligen Fähigkeiten oder Rechte. Eine finanzielle Singularität, könnte man sagen, anstelle einer Partikularität.

Nun können wir das kapitalistische ökonomische System als eine geordnete Abfolge derselben sich wiederholenden Komponente, der Transaktion, begreifen, die jedes Mal partikular wird: kaufen-verkaufen, bezahlen-erhalten, ich gebe dir dies, du gibst mir jenes, Subjekt-Objekt, 1-2,1-2,1-2... Was wie eine zunehmend freiere Zirkulation wirkt, ist eigentlich weitestgehend im selben Modell gefangen, nämlich dem der Transaktion, in dem finanzielle Entwicklungen wie HFT nichts weiter bringen als eine Beschleunigung der Metrik und ein Voranschreiten der Dehumanisierung des Markts. Technologien wie die der Blockchain bieten nicht viel mehr als eine totale, auf eine weiterhin in einem Blocksystem codierte Liquidität abzielende Automatisierung. Die ECSA schlägt eine rhythmische Intervention in dieses System vor. Während der Ausgangspunkt dieses Projekts die Robin-Hood-Kooperative war (ein im Jahr 2014 gestarteter algorithmischer Parasit, der sich in den Finanzmarkt schleusen konnte, um Informationen zu stehlen und darauf aufbauend seine eigenen Transaktionen zu tätigen; ein Projekt mit dem Ziel, nicht nur eine Beschleunigung, sondern auch eine Abweichung des Transaktionsflusses hervorzurufen), erscheint die Space-Plattform als eine bessere Rhythmisierung der Flachheit des transaktionsbasierten Systems hin zu einem transitionalen System. Der ökonomische Charakter des Projekts dreht sich um die Frage, was als ‚Angebotsmoment‘ der Transaktion definiert wird, als Akt, etwas zu geben, z. B. einen Token herauszugeben. In ihrer körperlich-phänomenologischen Betrachtung impliziert jede offerierende Geste eine Erweiterung des eigenen Arms im Akt des Handausstreckens. Während diese Geste in der kapitalistischen Ökonomie (inklusive Finanzmarkt) immer als die eine Seite einer ganzheitlichen performativen Trans-Aktion erscheint, die schnell den Kreis hin zur Rückbezüglichkeit des Gebens und Nehmens schließt (man gibt, um zurückzubekommen), ermöglicht die gleiche Geste im Konzept des Space die Öffnung eines sehr kleinen Intervalls, bevor die Rückzahlung stattfindet. In diesem Intervall erlaubt die Elastizität von Ideen wie jener der Tokenisierung (anstelle der Monetarisierung) und der Rechtsfähigkeiten (anstelle von Besitztümern) die andersartige Gestaltung einer einfachen Einheit ökonomischer Transaktionen, die andere Bemessungen dessen produziert, was zurückgezahlt werden muss. Es handelt sich um ein intuitives öko-nomisches System, dessen rhythmisches Potenzial in dem Versuch besteht, sich die Logik des Derivats durch trans-aktive und durchquerende (statt transaktionale oder transitive) Relationen und Instrumente wiederanzueignen.


Was ist ein ökonomisches Ereignis?

Das Ereignis kann ein Preisanstieg auf dem Markt sein (wie Ayaches Unbeständigkeit), reiner und abstrakter finanzieller Rhythmus. Aber in diesem Fall wird das Ereignis keinen ausreichenden Rhythmus generieren, da es in einem isolierten Fluss erscheint, während alle kognitiven, ästhetischen und affektiven Praktiken finanziellen Praktiken unterworfen werden (Finanzialisierung des Ausdrucks). Oder das Ereignis kann ein Angriff sein, eine koordinierte menschliche Intervention in die Abfolge von Tauschaktionen (wie etwa der Hack der Ethereum-Blockchain). In diesem anderen Fall produziert das Ereignis eine gewisse Intensität am Markt (das Zusammenhalten unterschiedlicher Zeiten, das Verzögerungen synchronisiert, um zu attackieren), allerdings nur mit dem Effekt einer Einschließung in den nämlichen Kreislauf ökonomischer Transaktionen mit einem bloßen ‚Seitenwechsel‘ des Eigentums. Im Gegensatz dazu entsteht im Economic Space ein Angebot als künstlerisches Ereignis, das es einem politischen Rhythmus erlauben kann, inmitten des Finanzchaos aufzutauchen. Im Tauschintervall zwischen der Geste des Angebots und jener der Rücknahme eröffnet sich der Raum, in dem gerade die Bemessung des Werts variieren kann und die Schließung der Geste vielleicht gar nicht stattfindet.


Bibliografie

Ayache, Elie (2011): „In the Middle of the Event“, in: R. Mackay (Hg.), The Medium of Contingency, Falmouth: Urbanomic.

Deleuze, Gilles; Guattari, Félix (1992): Tausend Plateaus, Berlin: Merve.

Economic Space Agency (2017): „On Intensive Self-Issuance: Economic Space Agency and the Space Platform“, in: I. Gloerich; G. Lovink; P. De Vries (Hg.), Moneylab Reader 2. Overcoming the Hype, Amsterdam: Institute of Network Cultures.

Guattari, Félix (2016): Die drei Ökologien, Wien: Passagen.

Kostakis, Vasilis; Giotitsas, Chris (2014): „The (A)Political Economy of Bitcoin“, in: Triple C. Communication, Capitalism & Critique. Journal for a Global Sustainable Information Society, Jg. 12, Nr. 2, S. 431–440.

Martin, Randy (2015): Knowledge Ltd. Toward a Social Logic of the Derivative, Philadelphia: Temple University Press.

Massumi, Brian (2014): The Power at the End of the Economy, Durham: Duke University Press.

 

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[1] Ein Derivat ist ein Finanzprodukt oder ein Vertrag, dessen Wert auf einem zugrundeliegenden Vermögenswert basiert, z. B. einem Index oder einer Währung. Nach Randy Martin „ist das Derivat der Schlüssel zu den meisten augenscheinlichen Gesellschaftsformen unserer Zeit als ein Mittel der Bündelung von Attributen disparater Werte. Das Derivat macht die Zukunft in der Gegenwart einklagbar, es verbindet, was nah beieinander und weit voneinander entfernt ist, es fügt Bits und Momente zu einem beträchtlichen Gewinn zusammen. Es vereint Zirkulation und Produktion, es sichert Wissen gegen das Unwissen in zunehmend verworrenen Risikoindizes, die eine gemeinsame Bewegung dessen ermöglichen, was schon in Bewegung ist, ohne auf eine Einheit zu insistieren.“ (Martin 2015: 5)

[2] In den Worten Ayaches: „Die Unbeständigkeit hat mit dem Umstand zu tun, dass du, wenn du etwas hast, das sich bewegt, den Trend des Preises hast – einen Aufwärts- oder Abwärtstrend –, von dem ausgehend Unbeständigkeit die Standardabweichung bestimmt – das Rauschen des Dings, während es dem Trend folgt.“ (Ayache 2011: 20)

[3] „Die akademischen theoretischen Modelle versuchen den Markt so zu modellieren, als ob er eine bereits geschriebene Realität mit einer gewissen Bandbreite an zukünftigen Möglichkeiten wäre; wohingegen Neukalibirierung bedeutet, dass auch während sie diese Modelle anwenden, die Händler_innen den Markt ständig auf kontingente Art und Weise ‚neuschreiben‘, was diese Modelle nicht erfassen können.“(Ayache 2011: 28)

[4] https://coinmarketcap.com/all/views/all/.

[5] https://fair-coin.org/hr/node/201.

[6] Vgl. auch https://economicspace.agency/ und https://economicspace.agency/gravity