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01 2010

Ästhetik des Widerstands?

Künstlerische Forschung als Disziplin und Konflikt

Hito Steyerl

Übersetzt von Birgit Mennel

Was ist künstlerische Forschung heute? Zurzeit scheint niemand eine Antwort auf diese Frage zu wissen. Künstlerische Forschung wird als eine der vielen Praxen behandelt, die dadurch definiert sind, dass sie keine Definition haben; eine jener Praxen, die ohne Identität und Kohärenz ständig im Fluss sind. Was aber, wenn diese Sichtweise irreführend wäre? Was, wenn wir eigentlich mehr wüssten, als wir denken? Um diese Behauptung zu diskutieren, müssen wir uns zunächst die aktuellen Debatten um künstlerische Forschung ansehen. Es scheint als bestünde eines ihrer wichtigsten Anliegen in der Transformation künstlerischer Forschung in eine akademische Disziplin. Es gibt Diskussionen zu Curricula, Diplomen, Methoden sowie zur praktischen Anwendbarkeit und Pädagogik. Andererseits wird aber auch substanzielle Kritik an diesem Ansatz geäußert. Diese Kritik befasst sich mit der Institutionalisierung von künstlerischer Forschung, die ihr mitverantwortlich zu sein scheint für neue Produktionsweisen im kognitiven Kapitalismus: kommodifizierte Bildung, kreative und affektive Industrien, administrative Ästhetik und so weiter. Beide Perspektiven kommen darin überein, dass sich künstlerische Forschung gegenwärtig als mehr oder weniger normative, akademische Disziplin konstituiert.

Selbstverständlich ist eine Disziplin disziplinarisch; sie normalisiert, verallgemeinert und reguliert; sie übt ein Set von Reaktionen ein und unterweist in diesem Fall Menschen für ihr Funktionieren in einem Umfeld von symbolischer Arbeit, permanentem Design und stromlinienförmiger Kreativität. Was aber ist eine Disziplin abseits all dessen? Eine Disziplin kann Unterdrückung bedeuten, aber gerade darum verweist sie auch auf das, was sie kontrolliert. Sie ist ein Index unterdrückter, vermiedener oder potenzieller Konflikte. Eine Disziplin zeigt folglich einen ruhig gestellten Konflikt an. Sie ist eine Praxis zur Kanalisierung und Ausbeutung seiner Energien sowie zu seiner Inkorporierung in höhere Mächte. Wofür bräuchte man eine Disziplin, wenn es nicht um die Disziplinierung von jemandem oder etwas ginge? Jede Disziplin kann demnach vom Standpunkt des Konflikts her betrachtet werden.

Lassen sie mich ein Beispiel dafür geben: Es handelt sich um ein jüngst von mir realisiertes Projekt mit dem Titel Der Bau. Dieses Projekt behandelt die Konstruktionsgeschichte eines Nazigebäudes auf dem Hauptplatz in Linz in Österreich. Es geht der Vergangenheit des Gebäudes sowie den Geschichten der Menschen nach, die es effektiv errichtet haben und untersucht die für den Bau verwendeten Materialen. Die Bauarbeiten wurde zum Teil von ausländischen ZwangsarbeiterInnen durchgeführt; einige der früheren BewohnerInnen dieses Orts wurden verfolgt, enteignet und ermordet. Während der Untersuchung stellte sich heraus, dass ein Teil der für das Gebäude verwendeten Steine im berüchtigten Steinbruch des Konzentrationslagers Mauthausen produziert worden waren, in dem Tausende Menschen umgebracht wurden.

Man kann dieses Gebäude auf zumindest zweierlei Arten beschreiben: Von ein und demselben für den Bau verwendeten Stein kann gesagt werden, dass er seine Form dem Paradigma neoklassizistischer Architektur verdankt, was der offiziellen Beschreibung dieses Gebäudes entspräche. Doch er ließe sich auch als ein Stein beschreiben, der vielleicht im Konzentrationslager Mauthausen von einem Steinmetz geformt wurde, welcher möglicherweise ein ehemaliger republikanischer Spanienkämpfer war. Die Schlussfolgerung liegt also auf der Hand: Derselbe Stein lässt sich vom Standpunkt einer klassifizierenden und benennenden Disziplin her beschreiben. Er kann aber auch als Spur eines unterdrückten Konflikts gelesen werden.

Doch warum sollte dieses sehr lokale Projekt für eine Reflexion über künstlerische Forschung als solche relevant sein? Die Relevanz besteht darin, dass Teile dieses Gebäudes zufälligerweise auch die Kunstuniversität Linz beherbergen. Dieser Bau ist ein Ort, an dem künstlerische Forschung in akademische Strukturen integriert wird: Es gibt darin eine Abteilung für künstlerische Forschung. Jede Untersuchung zu diesem Bau könnte also zu einer Art institutioneller Metareflexion über die gegenwärtigen Bedingungen von künstlerischer Forschung insgesamt werden.

In diesem Sinn geht es in der Reflexion um künstlerische Forschung um die Frage: Wo ist der Konflikt? Oder vielmehr, welche komplexen Konfliktherde liegen dieser neuen akademischen Disziplin zugrunde? Wer errichtet gegenwärtig ihre Mauern? Mit welchem Material werden diese errichtet und wer hat es produziert? Wer sind die Baumeister der Disziplin und wo sind ihre Spuren?

 
Disziplin und Konflikt

Was also sind die Konflikte und wo sind die Grenzen? Vom Standpunkt vieler aktueller Beiträge aus betrachtet scheint sich künstlerische Forschung mehr oder weniger auf die heutige metropolitane Kunstuniversität zu beschränken. Künstlerische Forschung erweckt gegenwärtig den Anschein eines Sets von Kunstpraxen von mehrheitlich metropolitanen KünstlerInnen, die sich wie EthnographInnen, SoziologInnen, Produkt- oder SozialdesignerInnen gebärden. Sie wirkt als wäre sie ein Aktivposten des technologisch und konzeptuell fortgeschrittenen Kapitalismus der Ersten Welt, der sich um das effiziente Funktionieren seiner Bevölkerung in einer Wissensökonomie bemüht und als Nebenprodukt zudem den Überblick über den Rest der Welt behält. Betrachten wir jedoch künstlerische Forschung aus der Perspektive des Konflikts bzw. genauer aus der Perspektive sozialer Kämpfe, dann zeichnet sich eine Karte von Praxen ab, die beinahe das gesamte 20. Jahrhundert sowie den Großteil des Globus umspannt. Es wird deutlich, dass die gegenwärtigen Debatten dem Vermächtnis der langen, verschiedengestaltigen und wahrlich internationalen Geschichte von künstlerischer Forschung, verstanden im Hinblick auf eine Ästhetik des Widerstands, nicht vollständig gerecht werden. Die Ästhetik des Widerstands ist auch der Titel des bahnbrechenden Romans von Peter Weiss, der in den frühen 1980ern publiziert wurde und eine alternative Lesart der Kunstgeschichte ebenso anbietet wie eine Darstellung der Geschichte des antifaschistischen Widerstands von 1933 bis 1945. Durch den gesamten Roman hindurch verwendet Weiss explizit den Begriff „künstlerische Forschung“, wenn er sich auf Praxen wie etwa Brechts Schreibfabrik im Exil bezieht. Er verweist außerdem auf die Faktographie und zum Teil auch auf produktivistische Praxen in der nachrevolutionären Sowjetunion, wie unter anderem auf das Werk von Sergej Tretjakow. Damit entwirft er eine Genealogie künstlerischer Forschung, die im Bezug steht zur Geschichte emanzipatorischer Kämpfe im 20. Jahrhunderts.

Seit den 1920ern wurden in den Zirkeln sowjetischer FaktographInnen, KinematograpInnen und KünstlerInnen sehr scharfsinnige Debatten über künstlerische Epistemologien geführt, die Fragen zu Begriffen wie Fakt, Objektivität und Untersuchung betrafen. Für die FaktographInnen ist ein Fakt das Ergebnis eines Produktionsprozesses. Fakt rührt her von facere, etwas machen oder tun. In diesem Sinn ist ein Fakt also etwas Gemachtes oder sogar Erfundenes. Im Zeitalter des poststrukturalistischen Skeptizismus gegenüber der Metaphysik sollte dies keine Überraschung sein. Doch die Palette ästhetischer Ansätze, die vor beinahe 100 Jahren als Untersuchungswerkzeuge entwickelt wurden, ist verblüffend.

AutorInnen wie Vertov, Stepanowa, Popowa und Rodtschenko erfinden komplexe Untersuchungsverfahren wie das Kinoauge, die Kinowahrheit, die Objektbiographie oder die Fotomontage. Sie arbeiten an der menschlichen Wahrnehmung und Praxis und versuchen aktiv wissenschaftliche Haltungen in ihre Arbeit einzubeziehen. Ein Resultat dieser Entwicklungen sind wissenschaftliche Schöpfungen. So beschreibt Roman Jakobson in seiner Autobiographie detailliert, wie er von avantgardistischen Kunstpraxen in der Entwicklung seiner spezifisch linguistischen Ideen inspiriert wurde.

Selbstverständlich gab es im Verlauf der Geschichte viele verschiedene Forschungsansätze dieser Art. Erwähnenswert sind die Bemühungen der KünstlerInnen der FSA (Farm Security Administration), die sich an der Entwicklung essayistischer, fotojournalistischer Untersuchungen während der Großen Depression in den Vereinigten Staaten versuchten. In all diesen Fällen kommt es zur ambivalenten Kooptation von künstlerischer Forschung in staatliche Politiken – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß sowie mit völlig unterschiedlichen Konsequenzen. Ungefähr zur jener Zeit als Tretjakow während des stalinistischen Terrors erschossen wurde, hatte Walker Evens eine Einzelausstellung im MoMa.

Eine andere Methode künstlerischer Untersuchung, die auf mehreren miteinander verbundenen Konflikt- und Krisenherden basiert, ist der essayistische Ansatz. 1940 prägt Hans Richter den Begriff Filmessay bzw. Essayfilm als Möglichkeit zur Visualisierung theoretischer Ideen. Er nimmt dabei auf eine seiner eigenen Arbeiten mit dem Titel Inflation Bezug, die er bereits 1927 verwirklicht hatte. Inflation ist ein sehr interessanter, experimenteller Film über Amok laufenden Kapitalismus. Richter argumentiert, dass für den Umgang mit abstrakten Prozessen wie etwa die kapitalistische Ökonomie eine neue Filmsprache entwickelt werden muss. Wie können solche Abstraktionen dargestellt werden? Wie lässt sich das Immaterielle visualisieren? Fragen dieser Art sind auch das Thema gegenwärtiger Kunstpraxen, aber sie haben eine lange Geschichte.

Der Essay als filmischer Ansatz beinhaltet auch die Perspektive antikolonialen Widerstands. Einer der ersten sogenannten Essayfilme ist der antikoloniale Filmessay Les statues meurent aussi von Chris Marker und Alain Resnais, der dem Thema Rassismus im Umgang mit afrikanischer Kunst gewidmet ist. In Auftrag gegeben wurde der Film von der Zeitschrift Presence Africaine, zu deren HerausgeberInnen unter anderem Aimé Césaire und Leopold Senghor gehören, beides wichtige Theoretiker der sogenannten Négritude-Bewegung in den 1930ern. Nur einige Jahre später wird Theodor Adornos Text Der Essay als Form erscheinen, in dem er über die widerstandsfähigen Charakteristika des Essays als subversiver Denkmethode sinniert. Für Adorno ist der Essay eine Möglichkeit zur Neuanordnung der Bereiche des Ästhetischen und des Epistemologischen, welche die herrschende Arbeitsteilung unterläuft.

Schließlich kommen wir zur Periode der 1960er Jahre mit ihren internationalen Kämpfen, ihrem Trikontinentalismus und so weiter. Frantz Fanons Wahlspruch „… wir müssen diskutieren, wir müssen erfinden …“ ist das Motto des Manifest Towards a Third Cinema, das von Fernando Solanas und Octavio Getino im Jahr 1969 im Kontext der Diktatur in Argentinien veröffentlicht wurde. Der Zusammenhang von Kunst und Wissenschaft wird weiters im Manifest For an Imperfect Cinema (1969) von Julio Garcia Espinosa erwähnt. Andere Methoden künstlerischer Forschung sind die situationistische Derive und die ArbeiterInnenuntersuchung, die konstruktivistische Montage und Schnitttechnik, die Biomechanik, die orale Geschichte sowie die dekonstruktive und die surrealistische Anthropologie, die Verbreitung von Gegeninformation und der ästhetische Journalismus. Einige dieser Methoden sind leichter in den Kunstmainstream integrierbar als andere. Insbesondere stark entmaterialisierte Praxen mit ausgeprägt modernistischen Merkmalen werden vom Informationskapitalismus rasch aufgesogen, weil sie verdichtet sind, schnell absorbiert und einfach übertragen werden können.

Es ist kein Zufall, dass sich viele der hier erwähnten Praxen aus sehr unterschiedlichen Perspektiven mit den klassischen Problemen dokumentarischer Repräsentation beschäftigt haben: mit ihrer Funktion als Macht/Wissen, ihren epistemologischen Problemen, ihrem Bezug zur Realität sowie mit ihrem Anspruch eine neue Wirklichkeit zu schaffen. Dokumentarstile und -Formen haben sich immer schon mit dem ungleichen Verhältnis zwischen Rationalität und Kreativität, Subjektivität und Objektivität, der Macht hervorzubringen und der Macht zu erhalten auseinandergesetzt.

Es ist außerdem kein Zufall, dass viele der historischen Methoden künstlerischer Forschung mit revolutionären Bewegungen oder mit Momenten der Krise und Reform in Verbindung stehen. In dieser Perspektive wird die Kontur eines globalen Netzwerks von Kämpfen offenbar, die beinahe das gesamte 20. Jahrhundert umfasst und (in den meisten, aber keinesfalls in allen Fällen) einen transversalen, relationalen und emanzipatorischen Verlauf hat.

Es ist jedoch ein Zufall, dass in Peter Weiss’ Die Ästhetik des Widerstands auch der Hauptplatz von Linz, also der Ort von Der Bau erwähnt wird. Er beschreibt eine Szene, in der die Mitglieder der Internationalen Brigaden in Spanien sich die Übertragung des enthusiastischen Empfangs von Hitler und den deutschen Truppen auf dem Linzer Hauptplatz im März 1938 anhören. Aber Weiss’ ProtagonistInnen bemerken einen sehr kleinen (und vollständig hypothetischen) Moment des Widerstands, den der Radiojournalist hervorhebt: einige der Fenster auf dem Hauptplatz sind nicht beleuchtet. Der Journalist weist rasch darauf hin, dass es sich dabei um Wohnungen von Juden und Jüdinnen handelt. Im Zuge meiner Nachforschungen stellte sich heraus, dass sich eine der dort ansässigen jüdischen Familien auf drei verschiedene Kontinente verteilt hatte und zwei Familienmitglieder ermordet wurden. Einer der beiden war eine Person namens Ernst Samuely, der angeblich Kommunist war. Nach zahlreichen Torturen schloss er sich, ehe er verschwand, einer jüdischen PartisanInnengruppe an der polnischen Grenze an. Wenn wir also das Linzer Gebäude von diesem Standpunkt aus betrachten, sehen wir, dass es sich in ein Netz von internationalen Routen und Beziehungen auflöst, die mit Unterdrückung ebenso in Zusammenhang stehen wie mit Widerstand: Es hat einen Bezug zu dem, was Walter Benjamin einst „die Tradition der Unterdrückten“ nannte.

 
Die Perspektive des Konflikts

Wenden wir die globale und transversale Perspektive auf die Debatte um künstlerische Forschung an, so werden die zeitlichen und räumlichen Beschränkungen der gegenwärtigen metropolitanen Debatten offenbar. Es macht einfach keinen Sinn, die Diskussion so weiterzuführen als hätten die Praxen von künstlerischer Forschung keine lange und weitreichende Geschichte, die weit über die Geschichte der konzeptuellen Kunstpraxen hinausreicht – die, wenn auch selten, als eines der sehr wenigen historischen Beispiele Erwähnung finden. Vom Standpunkt sozialer Kämpfe aus betrachtet wird die diskontinuierliche Genealogie von künstlerischer Forschung beinahe zu einer globalen Genealogie mit einer langen, oftmals unterbrochenen Geschichte. Auch die geographische Verteilung der künstlerischen Forschungspraxen verlagert sich in dieser Perspektive drastisch. Da einige Orte besonders betroffen waren von der Verbindung von Macht und Wissen, die mit der Herausbildung von Kapitalismus und Kolonialismus auftauchte, mussten Strategien eines epistemischen Ungehorsams erfunden werden.

Einem Nexus von Macht/Wissen/Kunst, der ganze Bevölkerungen auf Objekte von Wissen, Herrschaft und Repräsentation reduzierte, galt es nicht nur mit sozialem Kampf und Revolte, sondern auch mit epistemologischer und ästhetischer Innovation zu begegnen. Die Umkehrung der Perspektive sowie die Inblicknahme der Disziplin als Index eines Konflikts hat demnach auch eine Umkehr der Richtung zur Folge, in der Kunstgeschichte als Bericht darüber verfasst wurde, wie KünstlerInnen aus der Peripherie westliche Kunsttrends kopieren und Anschluss an diese finden. Wir könnten genauso gut sagen, dass viele der gegenwärtigen metropolitanen KünstlerInnen heute die Komplexität der Debatten um Wirklichkeit und Repräsentation einzuholen versuchen, welche die sowjetischen FaktographInnen bereits in den 1920ern entwickelt hatten.

 
Spezifisch und singulär

In all diesen Methoden treffen zwei Elemente aufeinander: die Forderung nach Spezifität stößt auf die Forderung nach Singularität. Was aber bedeutet das? Ein Aspekt der Arbeit erhebt den Anspruch, Teil eines allgemeinen Paradigmas zu sein, in einem Diskurs, der geteilt werden kann und der sich entlang bestimmter Kriterien formiert. Die oftmals eher wissenschaftlichen, juristischen oder journalistischen Wahrheitsprozeduren sind die Grundlage dieser Forschungsmethode. Wie viele TheoretikerInnen betont haben, sind diese Methodologien von Machtbeziehungen durchzogen. Andererseits erheben künstlerische Forschungsprojekte in vielen Fällen Anspruch auf Singularität. Sie schaffen einen bestimmten künstlerischen Rahmen, der seine relative Einzigartigkeit behauptet und sein eigenes Feld von Referenzen und Logiken produziert. Dies verleiht ihnen eine gewisse Autonomie und dient in manchen Fällen als Widerstandsnische gegenüber den herrschenden Modi der Wissensproduktion. In anderen Fällen sext diese vermeintliche Singularität lediglich eine quantitative Studie auf oder schafft eine „Ästhetik der Administration“, um einen berühmten Ausspruch von Benjamin Buchloh zu zitieren.

Während spezifische Methoden ein Terrain von geteiltem Wissen hervorbringen – das folglich von Machtstrukturen durchdrungen wird – folgen singuläre Methoden ihrer eigenen Logik. Wenn dies auch ein Beitrag dazu sein kann, die Reproduktion von existierenden Macht-Wissens-Strukturen zu vermeiden, so taucht dennoch das Problem auf, dass Paralleluniversen zu wuchern beginnen, die jeweils ihre eigene, unübersetzbare Sprache sprechen. Künstlerische Forschungspraxen partizipieren zumeist an beiden Registern, dem Singulären ebenso wie dem Spezifischen; sie sprechen also mehrere Sprachen zugleich.

Man könnte sich ein semiotisches Rechteck* vorstellen, das ein grobes Verzeichnis der Spannungen ist, die im Zuge der Transformation von künstlerischer Forschung in eine akademische und/oder ökonomische Disziplin sichtbar werden. Dieses Modell ist selbstverständlich irreführend, insofern für jeden untersuchten singulären Standpunkt ein neues Modell entworfen werden müsste. Aber es zeigt die Spannungen, welche den Rahmen für die Institutionalisierung künstlerischer Forschung abgeben und diese zugleich unterlaufen.

 
Künstlerische Forschung als Übersetzung

Die Vielsprachigkeit künstlerischer Forschung beinhaltet, dass künstlerische Forschung ein Akt der Übersetzung ist. Sie findet in mindestens zwei Sprachen statt und kann manchmal sogar neue Sprachen hervorbringen. Sie spricht die Sprache der Qualität ebenso wie jene der Quantität, die Sprache des Singulären ebenso wie jene des Spezifischen. Sie bedient sich der Werte ebenso wie der Tauschwerte bzw. der Werte des Spektakels, der Disziplin ebenso wie des Konflikts. Und sie übersetzt zwischen alledem. Das bedeutet nicht, dass sie korrekt übersetzt – aber dennoch übersetzt sie.

An diesem Punkt muss betont werden, dass dies auch für sogenannte autonome Kunstwerke gilt, die keinerlei Anspruch darauf erheben, eine Art Forschung durchzuführen. Das heißt nicht, dass sie nicht quantifizierbar sind oder zum Bestandteil disziplinärer Praxen werden können, insofern sie auf dem Kunstmarkt über die Preisermittlung routinemäßig quantifiziert und in die Kunstgeschichten oder andere Wertsysteme einbezogen werden. Folglich existieren die meisten Kunstpraxen in der einen oder anderen Form als Übersetzung; doch diese Art von Übersetzung gefährdet nicht die zwischen KunsthistorikerInnen und GaleristInnen, zwischen KünstlerInnen und ForscherInnen, zwischen Denken und Empfindung etablierte Arbeitsteilung. Tatsächlich rührt vieles an konservativer Animosität gegenüber künstlerischer Forschung aus dem Gefühl der Gefahr her, dass diese Grenzen aufgelöst werden könnten, weshalb künstlerische Forschung in der alltäglichen künstlerischen Praxis oftmals als weder Kunst noch Forschung diskreditiert wird. Doch die Quantifizierungsprozesse mittels derer künstlerische Forschung evaluiert oder valorisiert wird, sind etwas andere als die traditionellen Quantifizierungsmethoden. Künstlerische Forschung als Disziplin legt nicht nur gewisse Standards fest und verschafft ihnen Geltung, sondern stellt vielmehr den Versuch dar, der Kunst eine andere Art von Wert zu entnehmen bzw. einen solchen zu produzieren. Abseits des Kunstmarkts entsteht ein Sekundärmarkt für jene Praxen, die keinen Fetischwert haben. Dieser sekundäre Wert wird über die Quantifizierung und Integration in (zunehmend) kommodifizierte Bildungssysteme festgelegt. Darüber hinaus kommt eine Art von sozialem Mehrwert ins Spiel, der in ein pädagogisches Kunstverständnis eingelassen ist. Kombiniert schaffen diese beiden Faktoren einen Zug in Richtung der Produktion von angewandtem oder anwendbarem Wissen bzw. angewandter oder anwendbarer Kunst, die für unternehmerische Innovation, soziale Kohäsion, für Stadtmarketing und tausend andere Aspekte des kulturellen Kapitalismus von Nutzen sein können. Aus dieser Perspektive betrachtet erweckt künstlerische Forschung tatsächlich den Anschein einer neuen Version von angewandter Kunst, eines neuen und weitestgehend immateriellen Handwerks, das an vielen verschiedenen Orten als Disziplin instituiert wird.

 
Heizkörper

Lassen sie mich zum Schluss zum Anfang zurück kommen: Wir wissen mehr über künstlerische Forschung als wir denken. Dies betrifft das beunruhigendste Ergebnis des Projekts um Der Bau in Linz. Es ist mehr als nur wahrscheinlich, dass nach dem Krieg Heizkörper aus dem verlassenen Konzentrationslager Mauthausen entnommen und in diesem Gebäude wieder installiert wurden. Sollte dieser in den historischen Unterlagen dokumentierte Plan umgesetzt worden sein, dann sind die Heizkörper immer noch dort und heizen seitdem still und leise das Gebäude. Ein Rundgang mit einem Experten bestätigte, dass die Heizkörper im Ostteil des Gebäudes niemals ausgetauscht worden waren und dass einige der Heizkörper zudem bereits zum Zeitpunkt ihrer Installation um 1948 herum zum Einsatz kamen. Die Machart dieser Heizkörper entspricht den wenigen Heizkörpern, die auf aktuellen Bildern des KZ Mauthausen zu sehen sind. Nun wurden in den Häftlingsbaracken selbstverständlich keine Heizkörper benutzt. In Betrieb waren sie in einigen Arbeitsräumen, wie etwa der Wäscherei, im Häftlingsbüro und im Häftlingsbordell, wo weibliche Insassinnen aus einem anderen Konzentrationslager arbeiten mussten.

Was aber schließen wir aus der Tatsache, dass die Räume der Abteilung für künstlerische Forschung (ihr Koordinationsbüro befindet sich der Website zufolge in Der Bau) demnächst mit eben jenen Heizkörpern geheizt werden könnten, die stumme Zeugen der Misere der weiblichen Insassinnen im Bordell des Konzentrationslagers waren? Ein der Website der Kunstuniversität Linz entnommenes Zitat lautet wie folgt: „Künstlerisch-wissenschaftliche Forschung gehört zu den Kernaufgaben der Kunstuniversität Linz, zumal künstlerische Praxis und wissenschaftliche Forschung hier unter einem Dach vereint sind. Die Gegenüberstellung bzw. Zusammenführung von Wissenschaft und Kunst verlangen insbesondere in methodischer Hinsicht, in Bereichen von Wissenstransfers und in Vermittlungsfragen nach intensiver Forschung und Entwicklung der Künste in einem Prozess. Kulturwissenschaften, Kunstgeschichte und Kunsttheorie, Medientheorie, verschiedene Vermittlungsstrategien sowie Kunst und Gender Studies im Kontext konkreter Kunstproduktion werden deshalb als wesentliche Bestandteile des Profils der Universität betrachtet.“ Was sind die Bedingungen dieser Forschung? Welche Biographie hat ihre historische Infrastruktur und welchen Beitrag kann eine Reflexion darüber leisten, um die Begeisterung für die Disziplin und für die Institutionalisierung zu durchbrechen und den historischen Fokus im Nachdenken über künstlerische Forschung zu schärfen? Klarerweise wird sich nicht bei jedem Gebäude herausstellen, dass es eine derart überraschende Infrastruktur beherbergt. Aber die generelle Frage bleibt bestehen: Was machen wir mit einer ambivalenten Disziplin, die unter derartigen Bedingungen institutionalisiert und diszipliniert wird? Wie können wir die historische und globale Dimension von künstlerischer Forschung hervorheben und die Perspektive des Konflikts betonen? Und wann ist es Zeit, den Vorhang herunterzulassen?

 

*)


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