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05 2003

Das Babelfights-Syndrom. Kinoki Lumal

Hito Steyerl

In einer Passage von Empire sprechen Negri und Hardt über die Unübersetzbarkeit heutiger politischer Kämpfe. Früher habe der proletarische Internationalismus eine Sprache geschaffen, die Kämpfe und soziale Auseinandersetzungen in Moskau, Jakarta, New Delhi und anderen Orten gegeneinander kommensurabel und somit universalisierbar gemacht habe. Es sei möglich gewesen, die Kämpfe ineinander zu "übersetzen" und somit auch verschiedene lokale Auseinandersetzungen als Bestandteile ein und desselben Kampfes zu erkennen. Dies aber sei nach dem Fall der Berliner Mauer nicht mehr möglich. Die Demonstrationen am Tiananmen Platz, der Aufstand in Los Angeles 1992, die Streiks von 1996 in Korea und auch der Aufstand in Chiapas, der 1994 begann, waren jeweils unübersetzbar ineinander. Jeder dieser Kämpfe blieb lokal und spezifisch und löste keinen Zyklus von Aufständen andernorts aus. Es war für andere Revolutionäre nicht möglich, in diesen Auseinandersetzungen direkt ihre eigenen Anliegen zu erkennen. Auch eine interne Form der Kommunikation der Kämpfe war schwierig.

Es scheint also in der Arena linker Kämpfe eine Situation entstanden zu sein wie nach dem Turmbau zu Babel, als eine gemeinsame Sprache verloren ging, und sich die Erbauer in alle Winde zerstreuten. Dieses babylonische Durcheinander wird von Hardt und Negri als eines der wichtigsten politischen Paradoxa im so gefeierten Zeitalter der Information erkannt - soziale und politische Kämpfe seien darin so gut wie unkommunizierbar geworden. Was wir laut Empire zu brauchen scheinen, ist so etwas wie eine Babelfish-Übersetzungsanlage für in verschiedenen lokalen Idiomen gehaltene Kämpfe - also eine große Babelfights-Maschine.

In ihrer Analyse bleiben Negri und Hardt vage genug, um sich nicht auf konkrete Formen der Repräsentation von Kämpfen beziehen zu müssen. Dieses Paradoxon kann jedoch problemlos auf gegenwärtige Formen der audiovisuellen Repräsentation von sozialen Auseinandersetzungen bezogen werden. Als neue kosmopolitische Universalsprache der globalisierungskritischen Bewegung hat sich die Standardreportageform verschiedener Indymediaprojekte durchgesetzt, bzw. kommerzieller Projekte, die deren Engagement parasitieren. Als formale Praxis funktioniert sie ähnlich wie auf aktivistischer Ebene der Vorgang des Gipfelhoppings. Die Themen konzentrieren sich auf spektakuläre Brennpunkte, die Beobachtung beschränkt sich auf eine relativ kurze Zeitdauer, und egal wo man sich befindet, schaut es immer gleich aus. Die Sprache dieser Medienformationen ist so standardisiert, dass jedes Polit-Ereignis der Welt in die Kette Demo-Kulturevent-Ausschreitung-Polizeigewalt übersetzt werden kann.

Die Protagonisten sind durchgängig internationale Aktivisten, die mehr oder weniger blutüberströmt wackere Parolen in die Kamera brüllen. Historisch gesehen erinnert diese Entwicklung an die Phase, als die wilden antirealistischen und revolutionären Experimente eines Vertov und Majakowski allmählich durch die Hegemonialisierung des sozialistischen Realismus diszipliniert wurden. Auch jetzt: Heroen, Posen, Jargon auf allen Gipfeln dieser Welt. Aber obwohl diese Form der Artikulation sich als universal geriert, erweist sie sich an den Punkten, an denen sie scheitert, als bloße Anmaßung westlicher globaler Mittelschichten. Und das passiert an den Punkten, wo die Verständigung abreißt und Verwirrung entsteht.

Dies passiert auch regelmäßig bei den europäischen Vorführungen der Produktionen der Gruppe Kinoki Lumal. Nachdem Kinoki Lumal 1999 angefangen hat, in Chiapas ein Wanderkino zu betreiben und auf dem Land verschiedene Videobänder vorzuführen, produziert die Gruppe in wechselnder Zusammensetzung seit 2000 auch Videofilme. Die Themen umfassen Angelegenheiten von Belang für die indigene Bevölkerung und entstehen gemäß ihrem Bedarf. Es geht um Kaffeeanbau ebenso wie um den Marsch der Zapatisten nach Mexiko Stadt, oder auch um spirituelle Praxen verschiedener Indigenengruppen. Nun sollte man glauben, dass sich alles, was irgendwie mit Zapatisten zu tun hat, problemlos in die Reihe internationalen Gipfelschicks einreihen ließe. Denn die Public Relations Arbeit der Zapatisten, die sehr schnell die Wirkung des Internet mit der Produktion massenkulturell wirksamer Personality-Ikonen verschmolzen, war ebenso überraschend wie vorbildlich und generierte rasch einen neuen linken Mythos, der gleichermaßen auf der Popularität Zorros und Che Guevaras aufbaute. Was aber passiert, wenn die Commandantes ihre Skimützen abnehmen? Welche Situationen beherrschen ihren Alltag? Was kennzeichnet das Leben in einer Zone "niedrig intensiver Kriegsführung"? Hier setzt Kinoki Lumals Arbeit an - und gleichzeitig die Verstörung des Metropolenpublikums ein.

Denn was unter der Maske hervorkommt, sind alltägliche Indigene, und keine linken Superhelden. Sie schuften, sie verhandeln, sie quatschen, sie saufen, sie feiern und schleppen dabei ab und zu Götter herum. Die letzte Tätigkeit ist vor allem im jüngsten Film "Der alte Großvater Rilaj Mam" (77 min, 2002) zu sehen, wo minutiös die Schritte für ein Fest zu Ehren der Gottheit Rilaj Mam, der zentralen Gottheit der Tz´utuhil auf der anderen Seite der Grenze in Guatemala beschrieben werden. Dabei wird dokumentiert, wie dessen Figur hergestellt und vorbereitet wird und als Mittelpunkt der Feierlichkeiten funktioniert. In Zusatzinformationen ist zu erfahren, dass es sich bei diesen spirituellen Tätigkeiten um das "spirituelle Herz des Widerstands" der Indigenen handelt. Besonders glamourös wirken diese Tätigkeiten dabei für’s europäische Auge nicht, und vor allem wirken sie für dieses offensichtlich unverständlich und langweilig. Der europäische Zuschauer ist schnell enttäuscht darüber, dass er auf der Leinwand nicht sein indigen veredeltes Spiegelbild entdeckt, er fängt an, auf dem Kinosessel herumzurutschen und darauf zu warten, dass endlich wieder ein blutverschmiertes Bleichgesicht auftaucht, um ihm die Wahrheit über globale Unterdrückung zu erzählen. Mit dem Berichteten kann er nichts anfangen, da es weder in eine seiner eigenen Alltags-Praxen einzuordnen ist, noch in seine Ikonographie anerkannter Heldenfiguren hineinpasst. Es tritt dieselbe konsternierte Bestürzung ein, die umgekehrt auch zu erwarten wäre, wenn etwa die Kaffeekooperative "Che Guevara" sich sagen wir ein deutsches Autonomenplenum mit seinen sonderbaren und komplexen Ritualen anschauen müsste. Die Identifikation misslingt also, und somit tritt der Effekt ein, den Negri und Hardt beschrieben haben: das Babelfights-Syndrom, die Unkommunizierbarkeit globaler Kämpfe, ja sogar die Unfähigkeit dazu, das Unverständliche und für uns Seltsame überhaupt als Kampf zu erkennen.

Aber gerade dieses Scheitern der Kommunikation eröffnet die interessantesten Fragen: Wie kommt es, dass ausgerechnet innerhalb von Zusammenhängen, die die Politisiertheit jeder Lebensäußerung bis hin zum Pinkeln auf die Klobrille zum Leitmotiv gemacht hat, das Politische in so allgemeinen und verbreiteten Tätigkeiten wie Arbeiten und Feiern nicht erkannt werden kann? Ich gebe zu, dass ich es auch nicht erkennen kann. Was ich aber erkennen kann, ist, dass das besondere Verdienst dieses insistierenden Missverständnisses ist, den Universalitätsanspruch sich als global gerierender Kommunikationsformen in die Krise zu bringen. Die Frage ist also: Wie kommen diese Repräsentationen zustande? Innerhalb welcher sozialer Praxen werden sie produziert? Welches Machtgefälle herrscht zwischen diesen Bildern und den metropolitanen Darstellungen von Widerstand? Und inwieweit soll oder kann ich fordern, dass sie für mich transparent sind?

Die Filme von Kinoki Lumal entstehen innerhalb von Praxen, die soweit wie möglich partizipatorisch funktionieren.  Das bedeutet, dass als idealer Prozess angestrebt wird, dass die verschiedenen Gemeinschaften in Chiapas selbst Filme über das herstellen können, was sie interessiert und in Formen, die sie ansprechen. Im Prinzip ist das die Formel, die Linke auf aller Welt traditionell anspricht: das Kollektiv soll sich selbst artikulieren, was konkret bedeutet, dass eine Fiktion erzeugt wird, die diesem Vorgang so nah wie möglich kommt. Aber was, wenn es dann gar nicht brav das sagt, was man nach dieser Formel von ihm erwartet? Wenn es anfängt, von Göttern und Riten zu sprechen, die im Westen nicht nur unverständlich, sondern auch verstörend esoterisch wirken - und das, obwohl große Teile der dortigen Linken zur Zeit auf die neochristliche und kryptofranziskanische Bibel Empire schwören?

Dann lässt die Aufmerksamkeit ziemlich schnell nach - und auch der Hinweis auf die legitimierend wirkende Formel zur Produktion dieser kollektiven Stimme verliert ihre Gültigkeit. Wie Gayatri Spivak meinte: Die Subalternen sprechen nicht, und selbst wenn sie es tun und sich dafür aufs Äußerste anstrengen, werden sie nicht gehört werden, denn dann wären sie nicht mehr subaltern. Dass die Tzeltal und Tz´utuhil in dieser imperialen Wahrnehmungslogik die Position der Subalternen einnehmen, belegt die metropolitane Reaktion auf ihr Sprechen.

Anders scheint dies nach Berichten einiger Produzenten am Ort selbst zu sein, wo die Filme ein Faktor dessen werden könnten, was Negri und Hardt als interne Kommunkation der Kämpfe bezeichnen - auch in dem Sinne, dass die wie auch immer partizipativ angefertigten Repräsentationen Anlass zur Debatte, zu Kritik und Auseinandersetzung geben. Der oben erwähnte Film Rilaj Mam wurde in Guatemala Stadt etwa deswegen kritisiert, weil im Film zuviel Schnaps getrunken und dadurch der Alkoholismus legitimiert werde. In Chiapas allerdings führte der Film auch zu Debatten darüber, ob der Gott Rilaj Mam, dem eine schelmische Natur nachgesagt wird, vielleicht auch bei anderen indigenen Gemeinschaften Schabernack treibe. Dies wurde von seinen Betreibern mit der Aussage bestätigt, dass der Rilaj Mam nachts gern in der Welt herumfliege.

Es bleibt zu hoffen, dass er sich dabei demnächst auch in andere Weltteile verirrt - und eine Antwort auf eine dringliche Frage geben kann. Wieso wird eigentlich immer erwartet, dass die Metropolenlinke sich im Rilaj Mam wiedererkennen kann? Und wäre es nicht viel interessanter zu fragen, wie und ob sich der Rilaj Mam eigentlich in all den verstreuten merkwürdigen und esoterischen Ritualen wiedererkennt, die in diesen Breiten als widerständig gelten?

 

Mitglieder des Kollektivs Kinoki Lumal:

Joaquin Santiz Lopez, Manuel Guzman Ruiz, Juan Santiz Gomez, Alberto Vallejo Reyna und Thomas Waibel.

 

Kinoarbeiten Kinoki.Lumal

Videos: Kino-Mekapal, Dokumentation, 12min, 2000
Workshops, Dokumentation, 12min, 2000
Kapel, Kaffee, Dokumentation, 48min, 2000
Marsch der Farbe der Erde, Chronik, 6x16min, 2001
Kalender Haab, Dokumentation, 18min, 2001
Komitee Tepepul, Dokumentation, 7min, 2001
Der alte Großvater Rilaj Mam, Dokumentation 77min 2002
Muschel, Animation, 4min, 2002
Rote Höhle, Dokumentation, 17min, 2002
Filmreihen: monatliche Filmreihen in verschiedenen Dörfern in Chiapas und Guatemala

 

http://www.kinoki.at/

 

mailto:lumal@kinoki.at