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08 2007

Aufstieg und Fall des -„New Institutionalism“.

Perspektiven einer möglichen Zukunft

Nina Möntmann

Übersetzt von Tom Waibel

Seit wenigen Jahren erst ist der „Neue Institutionalismus“ in kuratorischer Absicht begriffen worden, um einen „aktiven Raum“ zu schaffen, der „zum Teil Gesellschaftszentrum, Laboratorium und Akademie“ ist. Ich zitiere diese Eigenschaften aus dem Profil des Rooseum in Malmö, das unter der Leitung von Charles Esche und später Lene Crone Jensen eine der Modellinstitutionen für diese neue, experimentelle und multifunktionale kuratorische Methode gewesen ist. Am Höhepunkt dieser Aktivitäten und dieses Diskurses hat Jonas Ekeberg eine Publikation mit dem Titel „Neuer Institutionalismus“ herausgegeben, in der er darlegt, dass dieses Sujet, das er als einen Versuch bezeichnet, „die zeitgenössische Kunstinstitution neu zu definieren, [...] bereit, nicht nur den beschränkten Diskurs über das Kunstwerk als bloßes Objekt zu verabschieden, sondern auch die gesamten institutionellen Rahmenbedingungen, die mit ihm einhergegangen sind“, „weniger peripher als vielmehr zentral, ja sogar entscheidend für die zeitgenössische Kunstszene [ist].“[1] Dem Rooseum und anderen progressiven Kunstinstitutionen war es gemeinsam, Institutionen der Kritik zu sein, d.h. Institutionen, die jene institutionelle Kritik verinnerlicht hatten, die von KünstlerInnen in den 1970ern und 1990ern artikuliert wurde, und nun eine Selbstkritik entwickelten, die in erster Linie von KuratorInnen vorangetrieben wurde. Die KuratorInnen luden nicht mehr länger kritische KünstlerInnen nur ein, sondern veränderten selbst die institutionellen Strukturen, deren Hierarchien und Funktionen. Als Reaktion auf die aktuellen Entwicklungen formulierten diese „Institutionen der Kritik“ seit der Mitte oder den späten 90er Jahren eine Kritik des globalisierten und korporativen Institutionalismus und dessen KosumentInnenpublikums.

Seither sind diese Ansätze, obwohl sie durch die Öffnung für ein neues lokales Publikum erfolgreich waren, und in der Kunstwelt internationale Anerkennung gewannen, innerhalb sehr kurzer Zeit zurück gestutzt worden, und die Dinge haben sich dramatisch geändert. Einige Beispiele geben: 2004, während meiner Zeit als Kuratorin am NIFCA, dem nordischen Institut für zeitgenössische Kunst, habe ich mit den schwedischen Künstlern Mike Bode und Staffan Schmidt an dem Projekt „ Spaces of Conflict. An audio-visual research based essay on Institutional Spaces “· gearbeitet.[2] Das Projekt war auf enge Zusammenarbeit und Austausch mit den KuratorInnen und DirektorInnen von sieben internationalen Institutionen in Berlin, Oslo, Kopenhagen, Vilnius, Malmö und Helsinki gegründet. Es ist bemerkenswert, dass beinahe alle Institutionen, die von Bode und Schmidt portraitiert wurden – Rooseum, Kunst-Werke Berlin, Museum für zeitgenössische Kunst in Oslo, Zentrum für zeitgenössische Kunst in Vilnius, Kunsthalle Helsinki, x-room in Kopenhagen und das NIFCA selbst – sich jetzt in einer Periode tief greifender Veränderung befinden, die eine radikale Änderung der politischen Linie einfordert: Rooseum wird zu einem Ableger des expandierenden Moderna Museet in Stockholm, das Museum für zeitgenössische Kunst in Oslo ist mit anderen nationalen Museen in Oslo unter dem Dach des Nationalmuseums für zeitgenössische Kunst, Architektur und Design zusammengelegt worden, Vilnius erleidet schwerwiegende Budgetkürzungen, an vielen Orten wurden KuratorInnen und DirektorInnen ausgewechselt, was großen Einfluss auf die programmatische Vorgehensweiseder Institutionen hat, und im Fall von NIFCA selbst ist die Institution sogar ganz geschlossen worden. Die meisten dieser Institutionen sind scheinbar wie aufmüpfige Jugendliche zu Recht gewiesen worden.

Kurz gesagt, Kritikfähigkeit ist nicht gewünscht. Kritikfähigkeit hat die korporative Wende in der institutionellen Landschaft nicht überlebt. Das trifft  nicht nur auf jene  größeren Institutionen zu, die in offensichtlicher Weise als globale Markenfirmen geführt werden, wie das Guggenheim – das deutlichste Beispiel dafür, wie eine Institution von PolitikerInnen und SponsorInnen begriffen und inszeniert wird – sondern auch immer mehr mittlere und kleinere, wie etwa die deutschen Kunstvereine, die experimentell sein sollten, aber in steigendem Maß kuratorische- Programmierungen auffahren (müssen), die einer etablierten Kunsthalle ähnlich sind.

In Erwägung dieser Tatsachen sind die folgenden Fragen wesentlich: Was bedeutet „Neuer Institutionalismus“ heute? Gibt es noch immer so etwas wie eine Institution der Kritik, und was bedeutet das im gegenwärtigen Kontext? Kann die Diskussion über die Produktionsbedingungen innerhalb der Institutionen selbst geführt werden, und was sind die Konsequenzen für deren interne Strukturen, Funktionalitäten, Programmierungen und Projektionen? Oder, um Hito Steyerl zu zitieren: „Ist es nicht ziemlich absurd, zu argumentieren, dass eine Institution der Kritik in einem Augenblick existiert, in dem kritische Kulturinstitutionen unzweifelhaft abgeschafft werden, unterfinanziert sind, den Anforderungen einer neoliberalen Eventökonomie ausgesetzt werden, und so weiter?“[3]

Die gegenwärtige Situation, die mit dem Abbau des Wohlfahrtstaats Hand in Hand geht, bringt eine dringende Notwendigkeit an emanzipatorischen Aktionsformen im institutionalisierten Kunstbereich und damit auch an neuen Institutionen mit sich . Das bringt uns zunächst auf eine sehr grundlegende Frage zurück: Was erwarten wir gegenwärtig von einer Kunstinstitution? Wofür soll eine Institution stehen? Welches Begehren produziert eine Institution im Kunstbereich?

In seinem Essay für die Publikation „Kunst und ihre Institutionen“ analysiert der schwedische Philosoph Sven-Olov Wallenstein „institutionelles Begehren,“ das mit Kunstinstitutionen verknüpft ist, und entdeckt ein abgründiges Paradox mit der Frage: „Warum gibt es soviel Begehren nach Institutionen, und warum gibt der Versuch sie zu verwirklichen nur Anlass zu größerer Unzufriedenheit?“ Auf Guattari Bezug nehmend schließt er, dass „die Notwendigkeit von Möglichkeiten eine Illusion, oder eher eine nachträgliche Rationalisierung ist.“ Dagegen ist es die Institution selbst, die – wie er fortfährt – „eine bestimmte Begehrensstruktur produziert, einen bestimmten Raum ermöglicht, in dem Signifikanten und Begehren zirkulieren können, und in diesem Sinne ist es ebenso fruchtbar von einem vollständig ent-institutionalisierten Raum zu träumen, wie von einer Institution, die funktionieren könnte.“[4] Während dieses Argument einerseits nicht zu schlagen ist, kann andererseits die Schlussfolgerung – wie auch Wallenstein sagt – nicht darin bestehen, die Institutionen völlig beiseite zu lassen, um gänzlich in alternative Sphären einzudringen. Hier  stimme ich vollständig mit dem Künstler Gardar Eide Einarsson überein, der sagt: „Es ist ein klassisches demokratisches Problem, ob man sich engagieren soll, um etwas zu verändern, oder einfach ignorieren soll, um etwas anderes außerhalb zu etablieren (die klassische und in meinen Augen falsche Unterscheidung zwischen Alternativ und Oppositionell).“[5]

Angesichts dieses Dilemmas ist es erforderlich, transgressive Institutionen zu etablieren, die die gegenwärtige Entwicklung der Privatisierung in Frage stellen und unterbrechen, und die sich gleichzeitig an  anderen Disziplinen und Bereichen neben dem korporativen Geschäft des globalisierten Kapitalismus orientieren.

Auf der Suche nach partizipativen, Institutions-formenden Aktivitäten hat sich meine Aufmerksamkeit jüngst auf die institutionelle Situation in verschiedenen Regionen der südlichen Hemisphäre gerichtet, wo die wenigen offiziellen zeitgenössischen Kunstinstitutionen für junge KünstlerInnen weitgehend unzugänglich und als Teil der öffentlichen Sphäre disfunktional sind, und wo KünstlerInnen und KuratorInnen keinen leichten Zugang zu öffentlicher oder privater Finanzierung haben. Solche lokalen Umstände, in denen Zugangsmöglichkeiten zu institutioneller Infrastruktur fehlen, ermöglichen oft die Entstehung von Gemeinschaftsprojekten, die durch ihren Institutionen-formenden Charakter gekennzeichnet sind, wie Sarai oder Khoj in Delhi, PUKAR und crit in Mumbai, oder ruangrupa in Jakarta. Man findet vielfach kollektive und bisweilen interdisziplinäre Aktivitäten von KünstlerInnen, manchmal gemeinsam mit KuratorInnen, ForscherInnen, AktivistInnen, oder neue-Medien-ArbeiterInnen. Sie beginnen auf engem Raum und mit sehr lokaler Programmgestaltung, stellen ihre eigenen Arbeiten, oder die ihnen bekannter KünstlerInnen aus, oder sie benutzen  ihre Räume für andere soziale Ereignisse, wie etwa Diskussionen oder Feste. Anfangs besteht daher eine Art von gesellschaftlichem Zentrum oder Treffpunkt für FreundInnen aus dem Kunstbereich. In den Gegenden, von denen ich spreche,  übernehmen diese Aktivitäten einen quasi-institutionellen Status, der oft mit einer Ausweitung ihrer Tätigkeiten einhergeht. Dann beginnen sie, internationale Unterstützungen zu suchen, Residenciesaufzubauen, bieten Forschungsmöglichkeiten an, laden ausländische KuratorInnen und KünstlerInnen ein, organisieren Filmprogramme, geben Magazine heraus, und so weiter.

Meiner Ansicht nach müssen Institutionen in westlichen Ländern ihre Strukturen und Standards reduzieren, und die Räume aus zu vielen Codes und Kontexten herauslösen. Hier, wo wir einen institutionalisierten Kunstbereich vorfinden – und folglich die Möglichkeiten, an halb-öffentlichen Räumen teilzuhaben, aber auch die von den Kontrollmechanismen dieser Räume verursachten Schwierigkeiten – sind die Voraussetzungen deutlich anders . Hier bestehen an sich bereits viele Kategorien und Konventionen für alle Arten von Kunsträumen, und Alternativen werden immer am offiziellen System gemessen, das bereits existiert, und immer stärker von der Politik des Städtemarketing und Sponsoring bestimmt wird. Es mag paradox erscheinen, aber von dieser Perspektive aus gesehen haben wir tatsächlich weniger Handlungsspielraum und mehr Kontrolle. Daher wäre eine vorstellbare neue Institution der Kritik eine, die ihre  Teilnahme am (halb-)öffentlichen Raum beibehält undausdehnt , und zur gleichen Zeit offene, nicht einer Imagepolitik unterworfene Räume schafft und Abhängigkeiten negiert.

Sie könnte sich der vom Neo-Kapitalismus geschaffenen korporativen Globalisierung entgegenstellen, und stattdessen einen aktiven und unmittelbaren globalen Austausch von unterschiedlichen öffentlichen Gruppen und individuellen Stimmen, und damit auch eine Kritik an der Form des Nationalstaats ermöglichen. Sie müsste ihre Bandbreite vergrößern und genreübergreifende Zusammenarbeiten ebenso mit etablierten, wie mit alternativen Organisationen erwägen, und transdisziplinäre Aktivitäten ins Leben rufen. Diese vorstellbaren kritischen Institutionen könnten beispielsweise die Form eines international operierenden „organisierten Netzwerks“ annehmen, das verschiedene kleinere, unabhängige Institutionen und Aktivitäten verstärkt – seien diese alternativ, von KünstlerInnen betrieben, oder auf Forschung gegründet –  wie auch zeitlich begrenzte Plattformen innerhalb größerer Institutionen etablieren könnten.  Ned Rossiter beschreibt das Potential der „organisierten Netzwerke“ in Institutionen von sich schnell entwickelnder Modernität, die gerade erst „neu in das digitale Zeitalter starten,“ indem sie „ihre hierarchischen Organisationsstrukturen mit den flexiblen, teilweise dezentralisierten und transnationalen Strömen von Kultur, Finanz und Arbeit in Einklang bringen.“ Der Vorzug der „organisierten Netzwerke“ ist dagegen ihr Funktionieren als „technisch-soziale Formen, die gemeinsam mit der Entwicklung der digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien entstehen.“[6] Im Kunstbereich könnte diese neue Institution organisierter Zusammenarbeit als Informationspool dienen, als eine Schnittstelle für verschiedene transdisziplinäre Formen der Zusammenarbeit, in legalen Angelegenheiten als Gewerkschaft und als Einstieg fürs Publikum, um lokal Anteil zu nehmen und sich international auszutauschen.

Das transformative öffentliche Potential einer so strukturierten Institution liegt in der Schaffung von „ diasporischen öffentlichen Sphären,“ die von Arjun Appadurai beschrieben werden – der wie Ned Rossiter sein übertragbares Modell aus der Analyse des globalisierten Gebrauchs der elektronischen Medien ableitet – als ein „Phänomen, das Theorien vereitelt, die auf dem fortwährenden Vortritt der Nationalstaaten als Schlüsselindikator wichtiger sozialer Veränderungen beruhen.“[7] Genau darin liegt sowohl eine Internationalisierung, als auch eine Demokratisierung der Kunstinstitutionen und ihrer Forschungsmöglichkeiten, die nicht nur mit bestimmten dominanten Formen institutioneller Politik bricht und sie in Frage stellt, sondern auch „der Imagination eine neue Rolle im sozialen Leben“ erschließt.[8] Hinsichtlich der Finanzierung  sind Bahn brechende, neue private ebenso wie öffentliche Stiftungen gefordert, sich selbst erhaltende, unabhängige und machtvolle Alternativen zu schaffen – eine „Globalisierung von unten“, wenn man will.



[1] Joans Ekeberg (Hg.), New Institutionalism, Versted#1, Office of Contemporary Art, Norwegen, Oslo 2003. Zitiert aus der Einführung, S. 9 u. 14. Projekttitel im Original: “Spaces of Conflict. An audio-visual, research-based essay on institutional spaces“, (Anm. d. Übers.).

[2] Eine detaillierte Beschreibung des Projekts findet sich in: http://transform.eipcp.net/transversal/0106/moentmann/de

[3] Hito Steyerl: Die Institution der Kritik,

http://transform.eipcp.net/transversal/0106/steyerl/de

[4] Sven-Olov Wallenstein, Institutional Desires, in: Nina Möntmann (Hg.), Art and its Institutions, London: Black Dog Publishing, 2006, 114-123, Zitat S. 121.

[5] Gardar Eide Einarsson, zitiert nach Rebecca Gordon-Nesbitt, Harnessing the Means of Production, in: Jonas Ekkeberg (Hg.), New Institutionalism, Verkstedt#3/OCA, Oslo 2003, S. 59-87. Zitat S. 83.

[6] Ned Rossiter, Can Organized Networks Make Money for Designers? (http://summit.kein.org/node/309). Vgl. auch: Ned Rossiter, Organized Networks, Media Theory, Creative Labour, New Institutions, Rotterdam 2006.

[7] Arjun Appadurai, „Grassroots Globalization and the Research Imagination“, in: Globalization, Arjun Appadurai (Hg.), Durham u. London: Duke University Press, 2001, S. 4.

[8] Appadurai 2001, S. 4.