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01 1999

Kunst in Zeiten der Globalisierung

Georg Schöllhammer

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journal
mundial

Die Auswirkungen der neuen neoliberalen Weltwirtschaftsordnung auf die Selbstdarstellung von deren ersten Handelnden, den monopolkapitalistischen Großkonzernen, hat Oliver Ressler in "The global 500" kritisch untersucht. Das Projekt, in das diese Untersuchung geframed war, ist in diesem Buch dargestellt: diese Handelnden beim Wort und beim Bild zu nehmen und ihnen das kritische Wissen um die kulturell sowie insbesondere sozial teils desaströsen Folgen für von ihnen abhängige Wirtschaften und Gesellschaften, insbesondere aber für die Subjekte, mit deren Arbeitskraft sie ihre Finanzimperien begründen können, in Form von Interviews entgegenzustellen. Resslers Arbeit braucht meines Erachtens keine kulturtheoretische Einordnung - ihre Didaktik und ihre Mittel sind selbsterklärend. Anstelle einer affirmativen Lektüre und der mimetischen oder ergänzenden Nacherzählung dieser künstlerischen Arbeit, erscheint es mir sinnvoller, näher auf einige Transmissionsschwierigkeiten einzugehen, die im Zug der Globalisierungsprozesse und der damit einher gehenden Rede von immer globaler (und nivellierter) werdenden Kulturräumen in Bezug auf die künstlerische Praxis und den Kulturbetrieb auftreten. Parallelen zwischen dem von Oliver Ressler analysierten Feld und dem, dem ich mich widmen will, lassen sich jederzeit lesen, ohne daß darauf gesondert hinzuweisen ist. Sie sind evident. Eine Ergänzung aus meiner Position als Kunstkritiker aber ist vielleicht doch noch wichtig: Im Gegensatz zu früheren Projekten hat Oliver Ressler diesmal vermehrt auch auf die Bearbeitung visueller Texte aus den Machtbetrieben gesetzt und ist damit einen Schritt weiter in der Dechiffrierung von Symbolkontexten gegangen.

Es ist mittlerweile zum Gemeinplatz geworden, die ökonomische Globalisierung als homogenisierendes, universalisierendes Modell zu sehen, das auch kulturelle Differenzen absorbiert und damit letztlich ablehnt. Dennoch basiert vieles von dem, was zum Beispiel lokal - mit Hinweis auf Tradition oder eine wie immer geartete verortete Kultur - gegen diese Tendenz als bewahrungswürdig ins Treffen geführt wird, auf ebensolchen Fundamenten - zum Beispiel auf den Mythen von unmedialisierten sozialen Beziehungen und kultureller Eigentlichkeit. Der Begriff von kultureller Differenz, der etwa in den Kulturparagraphen der Europäischen Union konstituiv ist, geht irgendwie davon aus, daß regionale Kulturen in sich für jeden, der an ihnen Teil hat, transparent sind. Aber auch der Begriff der Community, der in den Kunstdiskussionen der letzten Jahre so viel Bedeutung erlangt hat, beruht auf einem ähnlichen Konzept sozialer und kultureller Transparenz. Eine Community ist ihm nach ein sozial und kulturell homogener Raum, in dem jeder gänzlich über die Intentionen und die "Kultur" des oder der Anderen Bescheid weiß.

Wenngleich in einer räumlich oder sozial anderen Dimension kollabiert auch hier der Begriff von Differenz in einer totalisierenden Sichtweise, die in sich die Gefahr birgt, all das unbesehen auszuschließen, was nicht dieser Sichtweise konform ist. Die Normalisierung der europäischen Städte, um nur ein Beispiel der kulturräumlichen Konsequenzen neoliberaler Politiken und Ökonomien zu nennen, das in den Kunstfeldern in den letzten Jahren sehr stark thematisiert wurde, ist also keineswegs nur ein ökonomisch aufoktroyiertes Phänomen, sondern hängt eng mit diesen Transparenzgedanken, der im Communitygedanken ebenfalls mit begründet wird, zusammen. Das Prinzip der heterogenen kosmopolitischen Stadt wird durch das des Dorfes und seiner Überwachungsschemata ersetzt.

In einem Raum, in dem sich unterschiedliche und ungleiche Machtbeziehungen entfalten, wie dem kulturellen und ökonomischen der Gegenwart, existiert ein klar definierter Ort und eine Community in ihm ebenso wie eine lokale kulturelle Tradition natürlich nicht mehr in sich und aus sich selbst heraus als festes Bezugsfeld. Orte sind das Ergebnis kultureller, ökonomischer, ethnischer, technologischer und medialer Konstruktionen. Oliver Resslers Verdienst ist es, in seiner Arbeit die Symbolpolitiken hinter den Selbstrepräsentationen der Global Players im Wirtschaftsleben analysiert zu haben. Aus seiner Lektüre lassen sich eine Reihe von Parallelargumenten zu dem Feld gewinnen, dem sich diese Betrachtung widmet. Man braucht hier nur das offensichtlichste Motiv der Firma als Community zu nennen. Gemeinschaften konstituieren sich innerhalb hierarchisch organisierter Räume, innerhalb ungleicher Machtfelder. Kulturelle Konstruktionsprozesse und die dabei entstehenden Beziehungsfelder und zugrundeliegende Machtverhältnisse, die bei diesen Transporten weitgehend unberücksichtigt bleiben, wären daher genau das zentrale Thema, dem sich postkoloniale ästhetische Repräsentationspraxen zu widmen hätten.

Das aber vermeiden, anders als Oliver Ressler, die meisten von ihnen. Der amerikanische Anthropologe und Kulturwissenschaftler Arjun Appadurai erläutert in einem Interview mit Ressler sein Konzept der neuen globalisierten Raumordnungen. Appadurai hat immer wieder, auch an anderer Stelle, [1] mit seiner Unterscheidung von "locality" und "neighbourhood" dafür ein methodologisches Modell der Analyse dieser Räume bereitgestellt. Die Welt ist ihm nach überzogen von einem Muster entterritorialisierter Ethnolandschaften. Orte, die identitätsmäßig "aufgeladen" sind, fallen immer weniger mit den aktuellen Lebensräumen zusammen. Das, was herkömmlich mit dem Begriff des "Lokalen", älter gesprochen mit dem Begriff "Heimat" verbunden wird, erhält zunehmend virtuellen Charakter. Für Appadurai besteht der relevante Untersuchungsrahmen aus imaginierten Welten, die in einem kreativen Prozeß erschaffen werden. Diese Orte sind nicht als Replikat oder Imitat eines real existierenden, jedoch fernen und vom Migranten verlassenen Ortes zu verstehen. Die Erfahrung der Entterritorialisierung selbst ist es, die diese Neuschöpfung wesentlich mitzugestalten hätte.

Dem widersetzt sich aber bis heute der mächtige, alte, westzentrierte Kunstbetrieb. Er sieht in Kunst noch immer ein globales Paradigma, das die Interessen seiner metropolitanen Zentren befördert. New York läßt sich nach Soho in den 80ern jetzt durch den Umzug vieler Galerien nach West Chelsea einen zweiten Stadtteil über Kunst wohlstandssanieren. Um den Preis, daß die Fachöffentlichkeit das, was in diesen Galerien nun zur Umzugsfinanzierung als Ware angeboten wird, keinesfalls mehr als die Qualitätsprodukte einer lange stilbildenden Kunstmetropole würdigen will. Berlin rüstet mit einer ehrgeizigen Biennale, die den jungen Mainstream der Galerienkunst im schicken Ambiente präsentiert, auf Jugendlichkeit, mit den Baustellenkunstaktionen am Potsdamer Platz auf den öffentlichen Raum und mit der Holocaustgedenkstätte auf kulturelles Gewissen nach.

Das Konsumgut all dieser Anstrengungen, die Kunst, ist eine stilistisch institutionalisierte laue Mainstream-Postmoderne aus Malerei, Objekten, Installationen, großformatiger Fotografie, die sozusagen die Machtstellung des alten und in den Kunstboomjahren der 80er auch goldenen Dreiecks von Markt, Medien und Museen gegen die neuen Verhältnisse aufrecht erhalten soll, das sich in den letzten zwei drei Jahren rund um ein neues Personal herum wieder zu stabilisieren beginnt.

Das Globalismusfieber greift auch in diesem Machtkartell um sich. Selbst die Gralshüter westlicher Avantgarden wie der Schweizer Großkurator Harald Szeemann sind mittlerweile vom seinem Virus befallen. Als Leiter der Biennale von Venedig 1999 kaufte er aus Institutionen wie dem New Yorker P.S. 1 - neuerdings ja nur mehr die Dependance des MoMa - ganze Ausstellungen mit volksrepubliks-chinesischer Gegenwartskunst und verstreute sie in seinem Ausstellungsparcours. Aber auch viel von all dem anderen, das aus jungen Ateliers in Südostasien, Afrika und Lateinamerika auf Szeemanns - unter dem fast als neoliberales Traummotto zu lesenden Titel "Alles Offen" stehender - Weltkunstsammlung fand seinen Transportweg nach Venedig nur über die Vermittlung der großen und kleineren westlichen Handelshäuser.

Gegen diese neue Weltkunstidee des Hybriden erheben sich allerdings vermehrt kritische Stimmen. Sie argwöhnen hinter deren Konjunktur nichts weiter, als eine verfeinerte Version der alten postmodernen Strategie künstlerischer Begleitung einer differenzierten Angebotsökonomie von Lebensstilware in einem weltweit ökonomisierten kulturellen Umfeld. Sie sehen etwa in der Vielzahl von Ausstellungen zum Beispiel mit afrikanischer Gegenwartskunst, die in den letzten Jahren in Europas Kunsthäusern Besucherzahlen sicherten, einen ganz anderen Mechanismus am Werk: Als Bazar für nicht westliche Artefakte - der ganz die Bedürfnisse der mächtigen dieser globalen Märkte befriedigt - lieferten diese Ausstellungen sozusagen immer feinere Versionen.

Für die neuerdings hofierten KünstlerInnen aus Afrika, Lateinamerika oder Asien bedeutet das: Um sich auch in solchen Zusammenhängen erfolgreich durchzusetzen und gleichzeitig lokale und spezifischen ästhetische - und politische - Anliegen verstehbar zu machen, ist ein Balanceakt notwendig. Bilden doch gerade die lokalen Bezugspunkte ihrer Kunst oft die unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg. Dieser Balanceakt wird in der gegenwärtigen Konjunktursituation immer schwieriger.

Es sind nämlich vor allem auch die Jugendlichen, Migrantenkinder der zweiten oder dritten Generation in London, Paris, Los Angeles, New York oder anderen "global cities", auf die überbrachte Identitätsmuster nicht mehr passen, und deren gesellschaftliche Positionierung eines "Dazwischen" als typisches Phänomen unserer Zeit gelten muß, die die Liebkinder des glokalen Kunstveranstaltungswesens geworden sind. Ihre Identitäten scheinen wie gebaut für die Notwendigkeiten des europäischen Weltkultur-Ausstellungsbetriebes: Sie tragen die genetischen Züge des ethnisch anderen, bringen ganz offenbar das kulturelle Kapital der familiären oder sozialen Erfahrung von Bruch und Kontinuität, das Wissen um eine andere soziale oder historische Konstruktion und ein komplexes Netz an Erfahrungen in ihre Arbeit ein. Die Frage des Dazu(wozu?)gehörens wird für sie zur existentiellen Herausforderung.

Viele der Ausstellungen und Handelstransporte des unter seiner neuen Selbstbezeichnung "glokalen" Kunstbetriebs haben aber auch das Verdienst der Sichtbarmachung von bislang im Westen unbelichteter metropolischer Kunstszenen. Aber selbst dann tragen sie oft wesentlich zur Verdunkelung der noch immer herrschenden Einschluß- und Ausschlußverhältnisse im translokalen Kunstbetrieb bei.

Die brennende Frage nämlich ist: lassen sich lokale Potentiale überhaupt nach einem Transport in den Ausstellungs- und Kunstbetrieb der westlichen Metropolen noch lesbar halten?

Wie solche Lokalitäten von KünstlerInnen gebaut werden und wie die Veränderung einer politischen Situation auf transnationaler Ebene, wie ein Effekt des Globalisierungsprozesses direkt auf die Repräsentation solcher Lokalitäten im Kunstbetrieb einwirken kann, läßt sich an vielen Beispielen beschreiben. Ich möchte hier ein Beispiel wählen, das signifikant ist, nicht nur weil es von einer realen kulturellen politischen, ökonomischen und medialen Grenze handelt, sondern auch von der späteren Aneignung kritischer künstlerischer Strategien durch Institutionen und deren Umdeutung im Sinn eines fröhlichen postkolonialen Universalismus.

Um 1984 begann sich eine Gruppe aus lokalen KünstlerInnen, AktivistInnen, JournalistInnen und Leuten aus dem Bildungswesen in Koalition mit KünstlerInnen aus L.A, San Diego, New York und Mexico City in Tijuana und San Diego, an beiden Seiten der amerikanisch-mexikanischen Grenze in einer Reihe von Projekten, Performances, Ausstellungen, Infoabenden, Videoarbeiten, etc., in die die lokale Bevölkerung und die lokalen Medien eingebunden waren, mit dem Problem dieser Grenze auseinanderzusetzen, die eine der bestbewachten der Welt ist.

Es ging nicht nur um die Grenze als Ort der Provokation [3], der Disparität, des Aufeinandertreffens einer Supermacht mit einem Schwellenland, um die Ausbeutung der mexikanischen ArbeiterInnen in den grenznahen amerikanischen Fabriken, um die Menschen, die beim illegalen Versuch der Emigration ums Leben kamen, sondern um den leeren Raum der Grenze selbst, den es umzudeuten galt. Man knüpfte dabei nicht nur an die sehr lange mexikanische Tradition der Zusammenarbeit von Intellektuellen, KünstlerInnen und AktivistInnen an, wie im gleichen Zug an aktivistische Traditionen etwa der New Yorker Szene, sondern versuchte aus beiden Erfahrungen eine dritte, lokal umgesetzte zu machen. Englisch sprechende Chicanos und AmerikanerInnen, aber auch hispanische MigrantInnen auf der einen Seite und Leute aus Tijuana, die sich keineswegs als Chicanos fühlten, auf der anderen waren beteiligt. Eine paradigmatische Situation. Das Motto war u.a.: We cross, because we cross in different identities. Die aktivistische Arbeit dauerte über mehrere Jahre und wurde vor allem von der amerikanischen Seite heftig und vielfach behindert. Es war die Zeit der Verhandlungen über das amerikanische Freihandelsabkommen NAFTA. Als dies in den 90ern geschlossen wurde, änderte sich die Repräsentation und das Verhältnis der amerikanischen Institutionen zu den Aktivitäten des Border Arts Workshop grundlegend. Obwohl klar war, daß es bei NAFTA um den freien Verkehr von Gütern und nicht von Menschen ging - im Gegenteil, die Mitte der 80er noch durchlässige Grenze wurde immer stärker befestigt. Zwar wurde der Grenzübertritt für Geschäftsleute wesentlich erleichtert, für den Rest aber erschwert.

Auf beiden Seiten änderte sich aber die Repräsentation der Grenze. In Mexiko brachte man offiziell Chicano-KünstlerInnen in die Stadt, um die Bevölkerung sozusagen mit der nördlichen Bevölkerung von Mexikanern bekannt zu machen und bediente sich der Strukturen des Border Arts Workshop. In den USA wiederum wurde das Label Border Arts Workshop zu einem Festivallabel uminstrumentiert, und zwar nicht von den KünstlerInnen, sondern von einer Reihe von Kulturinstitutionen. Plötzlich gab es Geld in Hülle und Fülle, KünstlerInnen mit großen Namen wurden eingeladen, sich an diesen Aktivitäten zu beteiligen und die kritische Auseinandersetzung mit der Grenze mutierte zu einer touristisch umwegrentabeln und für Werbezwecke und die Promotion gut nachbarschaftlicher Beziehungen genutzten Veranstaltungsreihe. Zunehmend wurden die ursprünglich Beteiligten ausgeschlossen oder verließen die Initiative freiwillig.

Gerade diese Geschichte zeigt, daß viele Projekte des globalisierten Kunstbetriebes, dann wenn sie in den Institutionen landen, blind sind, was die Fragen nach Einschluß und Ausschluß aus der Gesellschaft betrifft, die Rechte von Gruppen und die Art und Weise, auf die binäre Modelle wie öffentlich/privat, aktiv/passiv von ihnen auch entworfen werden, um BürgerInnenschaft zu differenzieren. Damit entbinden sich diese Arbeiten auch der Aufgabe, adäquat das Konzept vorzustellen, das vorzustellen sie vorgeben. Nation und Staat als die Begriffe, vor denen BürgerInnenschaft symbolisch, aber auch konkret in Initiativen aus dem Kunstraum dargestellt wird, müssen eben auch gegenüber den vielen subnationalen Grenzziehungen aufmerksam sein, die unter neuen ökonomischen Bedingungen entstanden sind

Appadurai hat neben seinem Begriff der Lokalitäten auch noch einen anderen, den Begriff "neighbourhood" - Nachbarschaft -, in die Diskussion eingeführt. Dabei handelt es sich um die virtuelle oder aktuell räumliche Realisierung von Lokalität über soziale Beziehungen. Nachbarschaften entstehen nicht nur in Auseinandersetzung mit den ökologischen und ökonomischen Gegebenheiten, sondern vor allem in Kontrast und in Absetzung gegenüber anderen Nachbarschaften, anderen "ethnoscapes". Appadurais Überlegungen über die soziale Konstruktion von Lokalität sind Folge eines Nachdenkens über die Konsequenzen eines "global cultural flow". Das Lokale, der Ort, ist demnach eine an sich fragile soziale Errungenschaft.

Techniken der Produktion von Lokalität jedoch wird immer noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Geht man in den Raum des Kulturbetriebes, ist ein gutes Beispiel dafür Osteuropa.

"Osteuropa funktioniert wie ein Symptom des hochentwickelten Westens, speziell was die Medien oder avantgardistischen Kunststrategien betrifft. Betrachtet man die Parallelen zwischen Ost und West, so findet man in osteuropäischen Medien und Kunstproduktionen wichtige Beispiele einer pervertierten und/oder symptomatischen Logik in bezug auf westliche Strategien und visuelle Repräsentationen, die auf verschiedene Weise miteinander verknüpft werden." schrieb die slowenische Theoretikerin und Videokünstlerin Marina Grzinic in springerin [4]. Grzinic hatte dabei wohl unter anderem einen ganz speziellen Aspekt dieser Logik im Blickfeld: die Importfunktion der Soros Centers. Der Finanzspekulant Georges Soros hat bekannterweise sein popperianisches Gewissen von der Entwicklung einer offenen Gesellschaft in Osteuropa flächendeckend mit einer finanziellen Unterstützungsaktion von Gesellschaftswissenschaften, Bildungsprogrammen, Sozialprogrammen und eben auch Zentren für Gegenwartskunst beruhigt. Über diese Centers werden Importe von Kunstdiskursen in lokale Szenen geleitet, die im Westen ihre Kritikfähigkeit schon bewiesen haben. Das, so beklagen zumindest viele auch der ProfiteurInnen dieser Aktivitäten, habe zu einer Aufmerksamkeitsverschiebung weg von lokalen Anknüpfungspunkten geführt, von denen aus auch auf symbolpolitischer Ebene, also in der Kunst, der Widerstand gegen den anhaltenden westlichen Imperialismus eigentlich zu entwickeln gewesen wäre. Der jetzt neu eingeführte Gebrauch westlicher Diskurswerkzeuge zwischen Cultural-Studies, Race- and Genderstudies oder ein universalisierender postkolonialistischer Ansatz bringe durchaus die Gefahr mit sich, daß die kulturelle Produktion vor Ort sich nur mehr nach deren Standards orientiere. Die Kunst, die daraus entstanden sei, sei eine Art lokal kolorierter Aufguß der medienkritischen Neokonzeptkunst des New York der späten 80er Jahre. Da aber nun die Soros Centers von Manifesta über documenta bis hin zu ganzen Journalschwerpunkten westeuropäischer Kunstmagazine die Anlaufstelle für kuratorische und journalistische Information geworden sind, ist vieles, was aus Osteuropa in den internationalen Ausstellungsbetrieb der letzen Jahre kam, genau durch diesen Filter gegangen. Auch weil die Centers die einzigen waren, die Kataloge finanzierten, Ausstellungsprojekte erarbeiteten und im Internet mit ihren Infoseiten hochpräsent sind, ja die Entwicklung von Internetkunst immer gefördert haben.

"Was wäre", fragt Grzinic weiter, "wenn man sich im Gegensatz zur Phantasie des Internet und seiner überwältigenden Globalität, wie sie sich im utopischen Traum einer (virtuellen?) Community in harmonischen und universellen Austauschverhältnissen darstellt, die osteuropäischen "Monster" nicht nur als "Monster" vorstellt, sondern als furchteinflößende NachbarInnen - zumindest einige der osteuropäischen KünstlerInnen, MedienaktivistInnen und -theoretikerInnen fallen unter diese Kategorie -, welche die philantropische westliche Ideologie des Teilens und des reinen Austausches ablehnen?"

Mit einem etwas unterschiedlichen Focus hat auch Martha Rosler schon Anfang der Neunziger auf die gefährlichen Repräsentationslasten eines globalisierenden fröhlich multikulturellen Kulturbetriebes hingewiesen: "Aus der Perspektive einer Industrie, die vom Diktat der Mode angetrieben wird, bedeutet die Ankunft der Identitätspolitik, des Multikulturalismus in der Kunstwelt nichts anderes, als die Einbindung einer Randgruppe von ProduzentInnen, die mit ihrem neuen Blick das öffentliche Interesse neu beleben. Eine Handvoll junger farbiger, schwuler oder lesbischer KünstlerInnen werden für eine unbestimmte Zeit in das System geworfen, bekommen Shows in internationalen Museen und Galerien. Einigen werden hochdotierte Förderungen und Stipendien angeboten. Eine kleinere Anzahl schon etwas älterer KünstlerInnen wird für Lehrstühle rekrutiert - woran natürlich diese Gründe für eine Berufung prinzipiell um nichts schlechter sind als andere, beeile ich mich beizufügen. Was die Mode ‚Multikulturalismus' von der Kunstwelt-Mode ‚Marxismus und Politkunst' der siebziger Jahre unterscheidet, ist der Umfang der Belohnungen. Mächtige Kultur-Institutionen wie die Rockefeller-Foundation und viele Universitäten, die sich um die ältere Version von politischer Kunst nicht gekümmert hatten, stiegen jetzt sehr schnell in das Sponsoring von Multikulturalismus ein, der ja doch eher die Forderung nach Integration als nach ökonomischer Neustrukturierung aufstellt. Multikulturalismus akzeptiert, daß KünstlerInnen in Wirklichkeit Communities jenseits der Kunstwelt repräsentieren. Wen aber repräsentieren dann KünstlerInnen, die an politischer Kritik arbeiten? Es ist natürlich gut möglich, daß beide - trotz der Verschiebung der Rhetorik - nur der gemeinsame Status einer vorübergehenden Modeerscheinung verbindet. Was aber sicher bleibt ist, daß diese marginalen Verschiebungen die ‚weiße' Machtstruktur aus KuratorInnen und höheren Chargen in den Museen nicht verändert." [5]

Die Statements von Grzinic oder Rosler belegen evident, wie fiktional diese angebliche Globalisierung des Kunstbetriebes ist. Eine überzeugende Konzeption von kritischer und politischer ästhetischer Praxis jenseits der Fallen des fröhlichen Multikulturalismus geht notwendigerweise mit einer radikalen Re-Definition des Begriffes politisch-kritische KünstlerIn einher. Oliver Resslers Arbeit an einer solchen Begriffsveränderung und sein Beharren auf der emanzipatorischen Fähigkeit einer solchen Arbeit auch im Kunstraum hat bei "The global 500" zu einer Aufmerksamkeitsverschiebung weg von lokalen Anknüpfungspunkten geführt, von denen aus auch auf symbolpolitischer Ebene, also in der Kunst, der Widerstand gegen den anhaltenden westlichen Imperialismus meist entwickelt wird. Denn, wenn, wie es der Gemeinplatz will, aufgrund des fortschreitenden Globalisierungsprozesses davon auszugehen ist, daß Ausstellende und Ausgestellte nicht mehr zwei verschiedenen sozio-kulturellen "Ganzheiten" angehören, sondern Teil einer globalen Ökonomie der gegenseitigen Verbindungen sind, wie läßt sich dann jene üblich gewordene Unterscheidung von intern und extern aufrechterhalten und in Modellen von Ausstellungen wie inklusion/exklusion beschreiben?


[1] vgl. das Interview von Christian Höller mit Arjun Appadurai in springerin - Hefte für Gegenwartskunst Heft 3/98.
Meine Argumentation folgt im weiteren auch: Peter J. Bräunlein & Andrea Lauser, Grenzüberschreitungen, Identitäten. Zu einer Ethnologie der Migration in der Spätmoderne. In: kea 10, 1997.

[2] Christian Kravagna hat in mehreren Publikationen (u.a. in springer Heft 3/97 und springerin Heft 3/98) und Vorträgen immer wieder auf diesen Sachverhalt hingewiesen.

[3] vgl. dazu auch Ursula Biemanns Videoarbeit "Performing the Border", 1999, und die Dokumentation des Projektes Money@Nations.access der shedhalle Zürich vom November 1998 und die Projektdarstellungen dazu in springerin Heft 2/99.

[4] Das am von Christian Höller konzipierten Symposion "translocation (new) media/ art" im Jänner 1999 in der Wiener Generali Foundation vorgestellte Manuskript ist zu lesen in: springerin, Heft 1/99.

[5] Martha Roslers "PlacePositionPowerPolitics", In: "The Subversive Imagination", Hg. Carol Becker, London 1994. Deutsch in: springer Heft 2/97

 

[aus: Oliver Ressler (Hg.), "The global 500", Edition Selene, 1999]