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02 2008

Euro-Slowenischer Nekro-Kapitalismus

Marina Gržinić

Übersetzt von Tom Waibel

Der Übergang von einer sozialistischen Republik innerhalb des ehemaligen Jugoslawien (Sozialistische Bundesrepublik Jugoslawien) in eine unabhängige, neoliberale, kapitalistische Gesellschaft hat auch die „Krankheit“ des zeitgenössischen Kapitalismus mit sich gebracht. Slowenien hat dementsprechend in den 17 Jahren seiner Unabhängigkeit eine Geschichte von Ausschlüssen und Aussiedlungen hervorgebracht, die einerseits direkt mit Prozessen der „Entführung von Kreativität“ durch verschiedene ökonomische, politische, ideologische und institutionelle Kräfte der Macht in Slowenien, und andererseits mit traumatischen und obszönen Vorgangsweisen verbunden sind, die für erschreckende Beispiele der Verletzung grundlegender Menschenrechte in Slowenien und im weiteren Europa angesehen werden können. Es ist notwendig diese Punkte genau zu formulieren und zu politisieren, um sie als antidemokratische und rassistische Prozesse in Slowenien und damit im weiteren europäischen Raum sichtbar zu machen. Was in Slowenien vor sich geht, ist nicht weit von Prozessen der Diskriminierung, Deportation, usw. entfernt, die der EU-Politik ähnlich sind. Ein Beispiel für diese Politik ist eine Aussage über neue Grenzsicherheitsmaßnahmen, die von der Europäischen Kommission am 14. Februar 2008 vorgestellt wurden. Brüssel hat vorgeschlagen allen ausländischen BesucherInnen Europas Fingerabdrücke abzunehmen und jede Ein- und Ausreise elektronisch zu registrieren. Einige dieser Kontrollmaßnahmen werden in größeren Flughäfen von Großbritannien, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden bereits angewendet. Ein europäisches Grenzüberwachungssystem der Land- und Meeresaußengrenzen ist eine weitere Möglichkeit, um die innere Sicherheit zu erhöhen, sagten Beamte in Brüssel. Mehr gemeinsame Operationen von Mitgliedstaaten würden auch die Rolle der EU-Grenzkontrollagentur Frontex erweitern.

Darum ist meine These eine doppelte: der Fall Slowenien kann nicht richtig verstanden werden, wenn er nicht einerseits um das Symptom und die Neuartikulierung des Prozesses der Nekro-Politik (Achille Mbembe) der heutigen Europäischen Union und andererseits um das Symptom und die Neuartikulierung des turbo-faschistischen Prozesses (Žarana Papić) in den post-jugoslawischen Territorien (die Papić hauptsächlich in Serbien analysiert hat) erweitert wird. In „Necropolitics“ (2003) diskutiert Achille Mbembe die räumlichen Eingrenzungen des Ausnahmezustands als geopolitische Eingrenzungen von Zonen und die noch aktuellere Mobilisierung der Kriegsmaschine. Mbembe schließt seinen Essay mit dem Argument, dass das Konzept der Biopolitik besser durch Nekro-Politik ersetzt werden sollte. Ich beziehe mich auf dieses Symptom und auf dessen Neuartikulierung durch Santiago López Petit, der in seinem Essay „Zivile Demokratie: Eine Form von Kontrolle“ den Begriff Artikulation sowohl als Prozess als auch als deren Resultat verwendet.

Auch wenn es den Anschein hat, dass diese beiden Prozesse sehr unterschiedlich sind, und es nicht möglich ist, die Plattform einer gemeinsamen, wenn auch verborgenen Genealogie zu errichten, glaube ich doch, dass diese Prozesse verbunden und darum noch wirkungsvoller sind, weil sie Teil der größeren Raumpolitik der Europäischen Union sind. Dieser Raum kann, wenn ich auf Nataža Govedićs Analyse der Dogma-95-Filmbewegung Bezug nehme, als „wundervoller Faschismus und hässliche Freiheit“ beschrieben werden. Bilden nicht die neu vorgeschlagenen Schengen-Grenzsicherheitsmaßnahmen eine solche neue Lebensbedingung in der heutigen EU genauestens ab?

Die post-jugoslawische Situation ist kein Zustand per se, d.h. kein von der gegenwärtigen Lage im neoliberalen, globalen Kapitalismus losgelöster Zustand. Im Gegenteil, ich kann ausreichend begründen, dass die Situation nicht „außerhalb“ dieses Rahmens, sondern ganz in dessen Inneren liegt.

Ich werde die Veränderungen darstellen, die die Position der zeitgenössischen Kunst, ihre Institutionen und den Kunstmarkt heute betreffen, aufgrund derer die zeitgenössische Kultur in ein zutiefst repressives Feld innerhalb der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft verwandelt wird. Einerseits begegnen wir heute im Feld der zeitgenössischen Kunst einer vollständigen Institutionalisierung. Die Praxen von Kritik und Theorie zeitgenössischer Kunst und Kultur sind Teil einer äußerst mächtigen Kunstinstitution, in der eine Mischung von jüngeren und älteren Generationen nach Möglichkeiten „sucht“, andere Formate von Kunst und Kritik zu organisieren. Aber in Wirklichkeit hängen alle jene, die für eine neue Generation gehalten werden, letztlich von den alten Strukturen ab; wenige Namen organisieren den Raum, vorwiegend Männer und wenige Frauen (die Unterscheidung der Gender wird unwichtig, da beide Gruppen, überwiegend oder möglicherweise ausschließlich Mitglieder der weißen Mittelschicht, der Macht des Kapitals unterworfen sind, das durch multinationale Unternehmen, Banken, Versicherungsgesellschaften und mächtige Familienbetriebe entscheidet, wer Teil des Kerns wird und wer von Zeit zu Zeit aus der jüngeren Generation ausgewählt wird, um die Kunstszene aufzufrischen). Sie alle sind auch für die Auswahl (der künftigen KuratorInnen) und die Organisation der meisten mächtigen und bekannten Festivals, Biennalen und anderen Formen weltweit wichtiger Kunst- und Kulturpräsentation verantwortlich. Sie sind für staatliche und einflussreiche Vereinigungen und Stiftungen auf nationalem und internationalem europäischen Niveau zuständig und gehören auch sichtbaren und weniger sichtbaren Gremien an, die miteinander verbunden sind und sich gegenseitig unterstützen.

Die Gründe dafür sind sehr einfach: die zeitgenössische Kunstinstitution ist von Geld, Markt und SammlerInnen abhängig und wird ihre Macht nicht aufs Spiel setzen; allen gemeinsam ist die Ideologie des neoliberalen Kapitalismus; das ist die Ideologie vom guten Leben, wie Suely Rolnik sagen würde: Sie sind im Teufelskreis luxuriöser Subjektivitätsproduktion und Zugehörigkeit zur Elite der Mittelschicht gefangen, reisen herum und besuchen Kunstfestivals, essen und trinken gut und haben Spaß. Das ist allen diesen Strukturen gemeinsam, unabhängig davon, ob es sich um eine private, staatliche, halbprivate oder halbstaatliche Struktur handelt. Alle haben nur eine einzige Absicht: Macht und noch mehr Macht auf der Grundlage einer anderen Kanalisierung der neoliberalen Ideologie, die dieses Begehren nach dem guten Leben durch die Verwendung von Worten wie Demokratisierung, Effizienz und Entwicklung ins Vokabular einer schicken Theorie übersetzt. Kurz, es ist möglich zu sagen, dass aufgrund der Globalisierung und der Informations- und Kommunikationstechnologie beispielsweise die Menge an Information und die Menge an Kritik und Analyse proportional ansteigt.

Daher ist es wichtig festzuhalten, dass das Leben heutzutage ebenso im post-jugoslawischen Zustand wie auch im ehemaligen Ostblock den von führenden kapitalistischen Staaten bestimmten „Standards“ entsprechend organisiert wird. Wenn es so ist, dann muss die wirksame Biopolitik, die dieses Leben verwaltet, möglicherweise intensiviert werden. Daher sollten wir anstelle von Biopolitik in Mbembes Worten von Nekro-Politik sprechen. Biopolitik beinhaltet die Artikulation von Politiken des Lebens, während Leben (das keine Bedeutung mehr hat und vom gestalteten Leben entblößt ist) für das Null-Niveau der Intervention aller und jeder Politik angesehen wird. Aber derzeit wird der Mehrwert des Kapitals durch die Logik des Todes (und toter Welten) begründet und kapitalisiert. Daher besteht in den führenden kapitalistischen Gesellschaften die Logik nicht im Maximum des Lebens, sondern im Minimum für das Überleben und manchmal nicht einmal das. Diese Logik organisiert den gegenwärtigen, neoliberalen, globalen, kapitalistischen, sozialen Körper. Das erzwungene Minimum kann durch eine Analyse aller im Augenblick in Europa stattfindenden Kämpfe festgehalten werden; von den Forderungen, die Prekarisierungsprozesse, den Verlust des Sozialstaates, die Sozial- und Gesundheitsversicherung zu kontrollieren, ganz zu schweigen von der Politik der Verstärkung der Kontrollmaßnahmen an den Schengengrenzen im gesamten EU-Raum. Die neu vorgeschlagenen Maßnahmen zur Kontrolle der Schengengrenze werden für jene Trennungslinien angesehen, die den Prozess und die Politik des Todes regulieren. Diejenigen, die an den EU-Grenzen aufgehalten werden, sind bereits lebende Tote, die nichts zu verlieren haben, nicht einmal das Leben. Die verschärfte und koordinierte Immigrationspolitik der EU mit der Möglichkeit, den Status von Immigranten und aller anderen festzulegen, ist nichts anderes als eine Politik, die eine Anordnung eines Systems ermöglicht, um alle diese Körper ohne Leben (wenn sie abgewiesen werden) an den Schengengrenzen zu töten, auszulöschen und loszuwerden.

In seinem 2006 veröffentlichten Essay „Leben und Sterben lassen: Koloniale Souveränitäten und die toten Welten des Nekro-Kapitalismus“ diskutiert Subhabrata Bobby Banerjee mit Bezug auf Agamben und Mbembe wie einige gegenwärtige kapitalistische Praktiken zu dieser Nekro-Politik beitragen. Nekro-Politik ist mit dem Begriff des Nekro-Kapitalismus verknüpft, d.h. der zeitgenössische Kapitalismus, der die Formen der organisatorischen Akkumulation zur Verfügung stellt, die die Enteignung und die Unterwerfung des Lebens unter die Macht des Todes mit sich bringt. Die nekro-kapitalistische Eroberung des Sozialen impliziert neue Regierungsformen, die von den Normen der korporativen Rationalität beraten und im Management von Gewalt, Sozialkonflikt und Multituden angewendet werden. Kein Konflikt ist tolerierbar, der die obersten Voraussetzungen der kapitalistischen Rationalisierung herausfordert – Wirtschaftswachstum, Gewinnmaximierung, Produktivität, Effizienz und dergleichen.

Ich glaube, dass Nekro-Politik in alle Politiken implementiert werden muss, die die Bedingung der Bildung des sozialen und politischen Raums der post-jugoslawischen Realität festlegen. Arbeiten wir diese Elemente detailliert aus.

In Slowenien wurde die Nekro-Politik in zwei ganz bestimmten Situationen in Bewegung gesetzt. Einer dieser Fälle, der „internationalisiert“ und eingehender politisiert werden muss, ist der Fall der so genannten „ausgelöschten Personen“ oder auf Slowenisch „izbrisani“. Am 26. Februar 1992, acht Monate nach der Erklärung der Unabhängigkeit von Jugoslawien, löschte die neue Republik Slowenien etwa 28.000 BewohnerInnen aus ihren Zivilregistern. Das ereignete sich lange nachdem die Feindseligkeiten zwischen Slowenien und Jugoslawien beendet waren, daher kann der Krieg nicht als Entschuldigung für die massenhafte Aufhebung des legalen Status dieser BewohnerInnen benutzt werden. Diese Leute, die als izbrisani, oder die „Ausgelöschten“ bekannt wurden, sind SerbInnen, KroatInnen, bosnische Moslem/a, albanische KosovarInnen, Roma und andere nicht-ethnische SlowenInnen aus verschiedenen Teilen des ehemaligen Jugoslawien, die in Slowenien viele Jahre lang, manche von ihnen Jahrzehnte lang, gelebt und gearbeitet haben. Ihre BürgerInnenschaftspapiere wurden konfisziert, zerstört oder ungültig gemacht und das bedeutete, dass alle anderen offiziellen Dokumente auch ungültig wurden. Als Ergebnis sahen sie sich des Rechts auf Arbeit, Sozialversicherung, ja sogar des Rechts, ein normales Leben zu leben, beraubt. Es gibt viele Namen für diese massive Menschenrechtsverletzung durch den slowenischen Staat: sanfter Genozid, administrativer Genozid, administrative ethnische Säuberung, ziviler Tod, massenhafte Entnationalisierung und so weiter. Das sind alles Namen für soziale und politische Eliminierung durch die De- und Re-Territorialisierung, und sie sind ein Lehrbuchfall für zeitgenössische nicht Biopolitik, sondern Nekro-Politik. Als Resultat dieser Politik verließen etwa 12.000 (von annähernd 30.000) Mitglieder der angegriffenen Gruppierungen Slowenien. Die 18.350 „Ausgelöschten“, die in Slowenien blieben, existieren zwischen zwei Toden: dem physischen – denn ohne Papiere können sie nicht normal funktionieren – und dem symbolischen, der aus dem schrecklichen psychologischen Druck entsteht, aus dem sozialen Kontext ausgeschlossen zu sein, abgeschnitten von den eigenen Familien und allen Manifestationen des öffentlichen Lebens.

2003 sprach sich der slowenische Verfassungsgerichtshof für die Ausgelöschten aus und forderte, dass die ausgelöschten Personen anerkannt und wieder in den Status gebracht werden, den sie vor der Löschung am 26. Februar 1992 innehatten. Die Mitte-Rechts-Koalition, die sich derzeit in Slowenien an der Macht befindet, widersetzte sich der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs. Ende Oktober 2007 stellte die Regierung der Republik Slowenien einen Verfassungsrechtsentwurf in Bezug auf die ausgelöschten Personen vor, der in die Grundsatzerklärung der Unabhängigkeit der Republik Slowenien implementiert werden soll. Mit diesem Entwurf  schafft die jetzige slowenische Regierung unterschiedliche Kategorien von ausgelöschten Personen, diskriminiert die Ausgelöschten völlig, ermöglicht den neuerlichen Statusentzug, leugnet die Verantwortlichkeit der staatlichen Körperschaften für die Auslöschung und annuliert die Rechte auf Entschädigung der ausgelöschten Personen.

Anstatt den ausgelöschten Personen endlich ihr gestohlenes Leben zurückzugeben versucht die Regierung noch mehr verfassungswidrige, ungesetzliche und diskriminierende Prozeduren einzuführen. Der Entwurf ist eine Maßnahme, mit der die derzeitige slowenische Regierung die Forderung der EU in Brüssel „lösen“ möchte, die erklärt hat, dass das Problem der Ausgelöschten behoben werden muss, bevor Slowenien 2008 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. (Vgl. die Erklärung über den Fall, die vom Friedensinstitut Ljubljana http://www.mirovni-institut.si/Main/Index/en/ herausgegeben wurde).

Diese Situation ist auch mit der Position derer verknüpft, die nicht ausgelöscht wurden, sondern ArbeiterInnen aus den ehemaligen jugoslawischen Republiken sind und unter äußerst prekären Umständen leben; sie sind das neue „Lumpenproletariat“, das etwa nicht einmal in die Gewerkschaftsforderungen nach besserem Leben eingeschlossen ist, die heute dem neoliberalen, kapitalistischen, slowenischen Staat und dessen Regierung gestellt werden.

Ein anderer solcher Fall, der „internationalisiert“ und eingehender politisiert werden muss, ist derjenige der Strojans, einer Großfamilie von 31 Roma, davon 14 Kinder, die am 28. Oktober 2007 gezwungen wurden, ihr Land zu verlassen, als die lokale Bevölkerung von Ambrus und anderer umliegender Dörfer deren Wohnungen umstellte, drohte, sie zu töten und ihre Vertreibung forderte. Während die Polizei die Menge zurückhielt, verhandelten slowenische Regierungsbeamte den „Blitzkriegs“-Abzug der Familie. Aufgrund der Rolle der Regierung im Abzug der Strojan-Familie zählt der Vorfall einigen Rechtsgruppen zufolge zu einem der schwerstwiegenden Angriffe in diesem Jahrzehnt auf eine Roma-Gemeinschaft in Europa.

Wenn wir demnach diese beiden „Situationen“ verbinden, ist es offensichtlich, dass das Nachdenken über die Geschichte der Kritik an Kunst- und Kulturinstitutionen nur im Zusammenhang mit den sozialen und politischen Sphären in Slowenien möglich ist. Daher ist die wichtigste Herausforderung der zeitgenössischen Kunst- und Kultursituation in Slowenien die Entwicklung solcher Analyse und Kunstprojekte, die es möglich machen, durch diese Ereignisse den so genannten „nur der Kreativität gewidmeten autonomen Raum zeitgenössischer Kunst und Kultur“ politisch und sozial zu universalisieren. Auf der lokalen Ebene von Kunst und Kultur ist es erforderlich, die universale (auch die EU betreffende) Frage der Ausbeutung durch das Kapital zu entdecken. Diese Ausbeutung ist auch in den kleinen Gruppen einer spezialisierten neuen Generation von KuratorInnen und KünstlerInnen sichtbar, die nicht fähig sind, die Frage nach dem „Lumpenproletariat“* des neoliberalen, globalen Kapitalismus mit der perversen Kommerzialisierung und Spezialisierung der Kunst als dem Ort des guten Lebens, an dem Kunst nur eine Frage von Trends und Marken ist, vollständig und transversal zu verknüpfen. Mehr noch, diese lokalen Prozesse werden auf unterschiedlichen Ebenen von außerhalb des post-jugoslawischen Zustands verstärkt und institutionalisiert und vom neoliberalen, globalen System in Europa unterstützt. Diese spezialisierten und betriebswirtschaftlich motivierten Netzwerke, die sich durch verschiedene Kanäle, Gruppen und Positionen etablieren, werden in den meisten Fällen aufgefordert, an den Präsentationen der Europäischen Union teilzunehmen, die ihrerseits auch in das Markenzeichen dessen verwandelt werden, das als „normalisierter“ interkultureller Dialog angesehen wird, der Grundwert des EU-Status.

In seinem bereits erwähnten Essay schreibt Santiago López Petit, dass der Diskurs über ziviles Verhalten zwei Elemente einschließt und erfordert: das erste ist Kriegszustand, ein kapitalistischer Mechanismus, der auf Krieg gegründete Ordnungen hervorbringt, und das zweite ist postmoderner Faschismus. Ziviles Verhalten, so argumentiert Petit, ist ein falscher Weg, um die Intervention des größten Teils der Bevölkerung in die soziale und politische Sphäre zu bestimmen, solange zeitgenössische, neoliberale, globale, kapitalistische Staaten versuchen, solche Interventionen zu entpolitisieren, indem sie den „Bürger, der auf die Straße uriniert“ und die „Protestierenden, die versuchen die sozialen Bedingungen zu verbessern“, in dieselben Gruppen von BürgerInnen verwandelt; der Staat qualifiziert sie einfach als zwei Typen von Kriminellen.

Im Fall der ausgelöschten Personen und im Fall der Roma-Familie Strojan sehen wir genau diese zwei Bedingungen zusammenfallen. Sie sind auch in einem niemals endenden Ausnahmezustand präsent. Der von Petit definierte Kriegszustand ist ein kapitalistischer Mechanismus, der Ordnung auf der Grundlage von Krieg hervorbringt und eine fortwährende Individualisierung des Feindes erfordert. In der Praxis ist das ein Krieg, der sich beispielsweise in Slowenien vom Krieg gegen Armut bis zum Krieg gegen die Journalisten erstreckt, die 2007 eine Petition an die EU-Institutionen gesandt haben, in der sie die Mediensituation in Slowenien zum gegenwärtigen Zeitpunkt, an dem sich die slowenische Regierung mit den so genannten Tycoons oder Ultra-Kapitalisten im Krieg befindet, als totalitär beschrieben. Petit sagt, dass der postmoderne Faschismus Differenzen anerkennt, um sie zur Vereinheitlichung der Ordnung zu gebrauchen. In diesem Kontext ist, wie Petit argumentierte, die Verteidigung der persönlichen Autonomie tatsächlich eine Form der Kontrolle; Wahlfreiheit bedeutet, dass sich nichts wirklich verändert.

Petit zufolge ist Demokratie heute praktisch die Neuartikulierung des Kriegszustands und des postmodernen Faschismus. Das sind die beiden wichtigsten Merkmale nicht nur im post-jugoslawischen Zustand, sondern auch in der EU, wenn wir nur an das erwähnte Ziel denken, die Kontrollpolitik zu verändern. Wie auch immer, Petit argumentiert, dass jede Demokratie eine besondere Artikulation dieser beiden Angelegenheiten implementiert. Heute fördert, realisiert und artikuliert der Staat im neoliberalen globalen Kapitalismus eine starke Politik von ent-gouvernementalisierten Sektoren, dessen, was in der Vergangenheit für öffentliches Leben angesehen wurde, für Sozial- und Gesundheitsprogramme von allgemeinem Interesse, die nach Jahrzehnten von Klassenkämpfen (im Kapitalismus wird nichts geschenkt) für die Mehrheit der BürgerInnen angelegt wurden. Die Idee des europäischen Sozialstaates wirkte auch im jugoslawischen Kontext zur Zeit des Sozialismus. Heute fährt dieser Ent-Gouvernementalisierungsprozess mit der vollständigen und kompletten Privatisierung all dieser öffentlichen Bereiche fort. Um diese vollständige Privatisierung und die Rolle des Staates im neoliberalen, globalen Kapitalismus abzudecken, der nur die Agentur des Kapitals und der die Nekro-Politik vorantreibenden multinationalen Interessen ist, wird eine ganze Anordnung ideologischer Praktiken wiederum im gesamten Territorium der EU implementiert. Um die nekro-politischen Praktiken durch die Blut und Boden-Ideologie zu verschleiern, pochen die Staaten und deren Apparate unter jeweils besonderen Bedingungen und durch besondere Sprachen auf Nationalstolz und nationale Rechte des 19. Jahrhunderts für SlowenInnen, KroatInnen, SerbInnen ebenso wie für FranzösInnen und Deutsche, usw.

Um zu einem Schluss über den post-jugoslawischen Zustand als Zustand der Besonderheit, aber auch als vereinheitlichendes Moment zu gelangen, das, wie Louis Althusser sagen würde, den gesamten Raum von Post-Jugoslawien überdeterminiert und direkt mit der EU verknüpft, werde ich die ökonomische, soziale und politische Situation in Slowenien als Turbo-Neoliberalismus bezeichnen. Durch die Vorstellung einer Ideologie des Neoliberalismus mit deutlichen turbo- und klerikal-faschistischen Mustern, zerstört er geradlinig und auf allen Ebenen jegliche Form eines möglichen Sozialstaates.

 
Nachweise:

Subhabrata Bobby Banerjee, „Live and Let Die: Colonial Sovereignties and the Death Worlds of Necrocapitalism“, in: boderlands ejournal 2006, Bd. 5, No. 1, 2006.

Nataža Govedić, „Nataža Govedić, What a Wonderful Fascism: Claiming the Real in Lars Von Trier and Dogma 95“, in: Filozofski vestnik, Sondernummer The Body, Hg. von Marina Gržinić Mauhler, Institut für Philosophie ZRC SAZU, Ljubljana 2002, S. 167–179.

Marina Gržinić, „Rearticulation of the state of things“, in: Reartikulacija, Ljubljana, selbst-organisierte künstlerisch-politisch-theoretisch-diskursive Plattform, No. 3, März 2008.

Achille Mbembe, „Necropolitics“, in: Public Culture, Bd. 15, No. 1, Winter 2003, S. 11–40.

Santiago López Petit, „A civic democracy: a new form of control“, in: Panel de Control. Interruptores críticos para una sociedad vigilada, Hg. Fundación Rodriguez + ZEMOS98, Sevilla 2007, S. 184–187.

Žarana Papić, „Europe after 1989: ethnic wars, the fascisation of social life and body politics in Serbia“, in Filozofski vestnik, Sondernummer The Body, Hg. von Marina Gržinić Mauhler, Institut für Philosophie ZRC SAZU, Ljubljana 2002, S. 191–205.

Suely Rolnik, „The Twilight of the Victim: Creation Quits Ist Pimp, to Rejoin Resistance“, in: Zehar, No. 51, San Sebastian 2003.