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09 2021

Lob der "Monsterinstitutionen"

Montserrat Galcerán

Zu den neuesten sozialen und politischen Essaybänden in Spanien gehört das schöne Buch, das Raúl Sánchez Cedillo gerade unter dem Titel "Lo absoluto de la democracia" veröffentlicht hat und das von einem nicht minder schönen und rührenden Prolog Toni Negris eröffnet wird. Ein echtes Juwel, das der Verlag Subtextos aus Málaga, der wiederum mit der kürzlich eröffneten Buchhandlung Suburbia in der südspanischen Stadt verbunden ist, auf Spanisch publiziert hat und das zugleich auch auf Deutsch bei transversal texts erschienen ist. Ein Anstoß zu neuem Denken und freier Kultur.

Das Buch versammelt Sánchez Cedillos politische Artikel, die er in den letzten fünfzehn Jahren geschrieben hat, beginnend im Jahr 2007. Es handelt sich um Überlegungen, die sich vor allem um das Ereignis des 15M, den 15. Mai 2011 drehen. Der Autor entwickelt seine Texte auf der Grundlage von in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts von Félix Guattari und Gilles Deleuze erfundenen Konzepten, immer auch begleitet von der klugen Anleitung von Toni Negri, und ohne komplexen Themen im Zusammenhang mit Technopolitik oder den Theorien der Unbestimmtheit und Wahrscheinlichkeit aus dem Weg zu gehen. Eine Herausforderung, Politik mit einer neuen Brille zu lesen.

Im Gegensatz zu denjenigen, die das Ereignis 15M als einen Moment der Politisierung von Jugendlichen aus der Mittelschicht sehen, deren Zyklus bereits beendet ist, und zu denjenigen, die es auf einen Anstoß für Initiativen zum Zugang zu den Institutionen reduzieren, versteht der Autor es als einen Prozess der Politisierung und des politischen Handelns. In diesem Prozess gelang es, ein eigenes Ökosystem zu schaffen, das aus Versammlungen von Angesicht zu Angesicht und virtuellen Knotenpunkten bestand. 15M schuf ein Netzwerksystem oder, in den Worten des Autors, ein transdividuelles Netzwerksystem, das die Figur des "Individuums" als letztes Atom des Sozialen hinter sich lässt und den Sog des transdividuellen Netzwerks von Menschen, die sich gegenseitig unterstützen und füreinander sorgen, bestimmt. Es handelte sich um ein "Gefüge von Körpern und Maschinen", das in den Revolten des "arabischen Frühlings" und auf den Plätzen und Straßen von 2011 zu finden war.

In diesem Gefüge nimmt das Konzept der "Körper-Maschine" einen grundlegenden Platz ein, denn "was für den Operator im Netz von grundlegender Bedeutung ist, ist", wie der Autor in einem Interview sagt, "nicht das Individuum mit seiner Arbeitskraft, sondern die Körper, d.h. die Gehirne, die Emotionen, das Denken, der Gebrauch der Sprache, der Gesten". Auf sie wird eine noch nie dagewesene Gewalt ausgeübt, weshalb Sánchez Cedillo von 15M als einem "Aufstand der Körper-Maschine" spricht.

Dieses Netzwerk ist mit einem Informationsgenerator ausgestattet, der sich von den Generatoren der Mainstream-Meinung unterscheidet, "es hat es geschafft, ein expansives, aneignendes 'Wir' aufzubauen, eine Art organlosen Körper, der ein eigenes existenzielles, affektives Territorium besitzt, eine Singularität voller Mannigfaltigkeiten", die sich autonom und eigenständig ausdrückt und kein Interesse an Repräsentation hat.

Dieses transdividuelle Netzwerksystem passt wie die Faust aufs Auge in den Kampf gegen die abstrakte kapitalistische und informatische Maschine, die den Mehrwert aus allen menschlichen Beziehungen extrahiert, die ihrerseits die Grundlage und die Mittel des menschlichen Lebens sind. In Anlehnung an Negri und andere Autoren der italienischen Autonomie weist Sánchez Cedillo darauf hin, dass genau diese von der kapitalistischen Maschine parasitierten Handlungen und Tauschvorgänge die Säulen der anthropogenen Produktion sind, d.h. derjenigen, die das Leben der Menschen und des Planeten selbst reproduziert und erhält. Die lebendige Arbeit der miteinander verbundenen Bevölkerungen ist die lebendige Substanz des Kapitalismus selbst, von der er sich ernährt, die er fördert und zugleich ausbeutet.

Diese Überlegungen treiben die kommunistische Leidenschaft des Buchs voran. Ein Kommunismus, der sich nicht um kommunistische Parteien schart, wie Toni Negri im Vorwort betont. Wenn es für ihn, der in den 1930er Jahren geboren wurde, selbstverständlich war, den Arbeiterkampf auf das Modell der Arbeiterparteien auszurichten, trotz der Kritik, die in jenen Jahren bereits an ihnen geübt wurde, blickt die Generation von Sánchez Cedillo auf andere Erfahrungen, unter anderem auf die neue Zusammensetzung der lebendigen Arbeit in den kapitalistischen Zentren, die Immanenz des General Intellect in allen produktiven und reproduktiven Prozessen und die Entstehung einer neuen Subjektivität, die von den neuen Lebensbedingungen durchzogen ist: die allgemeine Prekarität, die Verschlechterung des Lebens auf der Erde und die Entstehung kognitiver und affektiver Netzwerke, die uns erhalten. Dies wäre der neue Horizont des Kommunismus.

Dieser "neue" Kommunismus verschmäht die institutionelle Dimension nicht, weil er weiß, dass er sich mit dem Kapital und dem Staat messen muss. Er strebt jedoch die Schaffung von Institutionen der Gegenmacht an, die der Autor als "Monsterinstitutionen" bezeichnet, weil sie auf eine Dynamik der Selbstorganisation reagieren, die Organisationsinstrumente schafft, die "respektable" Institutionen zu hybridisieren vermögen. Räume, in denen Menschen kämpfen, indem sie leben, oder leben, indem sie kämpfen, Räume, in denen sie gemeinschaftliche Lebensformen erfinden, Räume, in denen die bloße Tatsache, weiter zu existieren, an sich schon ein politisches Wagnis ist. Räume, die an sich schon von dem außergewöhnlichen Niveau zeugen, das die produktive Zusammenarbeit in unserer Gesellschaft erreicht hat, auch wenn der hegemoniale Diskurs weiterhin darauf besteht, die Figur des "Gewinners" im Dschungel des Markts um jeden Preis zu privilegieren.

Um diese neuen existenziellen und politischen Territorien zu theoretisieren, begibt sich der Autor in den Rahmen einiger der radikalsten und innovativsten Experimente seit 1968, die besetzten und selbstverwalteten Zentren, die kreativen Netzwerke der freien Software, die Forschungs-Aktionsgruppen oder die Hacker-Kooperativen...

Sánchez Cedillo greift "Deleuzes Vorstellung von der Institution als einer Erfindung, einem Kunstgriff, einer Schöpfung zur Befriedigung neuer Bedürfnisse auf, die die naturalisierte Struktur eines sozialen Milieus nicht zulässt. Wir sehen also, dass wir eine neue Gewerkschaft brauchen, eine neue Definition des politischen Unternehmens und der Partei usw. Und insofern ist die institutionelle Erfindung immer mit einem emanzipatorischen Moment, mit einer neuen politischen Schöpfung verbunden". Die Aussage, dass wir "neue Institutionen" brauchen, ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass wir diese Artefakte konstruieren müssen.

Aus diesem Blickwinkel heraus erschließt sich eine Analyse des Ereignisses 15M als polyedrische und autopoietische Bewegung, die nichts mit einem melancholischen Blick oder nostalgischem Feiern zu tun hat, sondern es vielleicht als ersten Ausbruch der kommenden Bewegungen situiert. Polyzentrische Strukturen und offene Netzwerke, die sich den starren Formen der Territorialisierung von Parteien entziehen.

Dieser Teil des Buches schließt mit einer eher situativen Analyse, die sich auf die Wechselfälle von Podemos und den munizipalistischen Zyklus konzentriert, ohne jemals die europäische Dimension unserer Lage im Süden der Region aus den Augen zu verlieren. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines Netzwerks europäischer Gegenmächte, das der Dynamik der europäischen Oligarchien Einhalt gebieten kann.

Die gesamte Analyse und die neuen Konzepte haben einen außerordentlichen Wert angesichts des hegemonialen neoliberalen Diskurses, der das Individuum und die traditionelle Familie als vorrangige Bezugspersonen in den Mittelpunkt stellt. Der Vorrang dieser Kategorien beim Nachdenken über die gegenwärtige Situation und ihre Verteidigung als naturalisierte Konzepte blockieren die Fähigkeit zur politischen Innovation, die es erfordert, mit institutionellen Neuerungen zu experimentieren, die dieser für unsere Gegenwart konstitutiven transdividuellen Dimension Gestalt zu verleihen vermögen. Daher die Bedeutung von Konzepten, die nicht mehr so neu sind, auch wenn sie der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind.

Dies sind nur einige wenige Skizzen zur Vielfalt der behandelten Themen mit ihren Lücken und Variationen. Es wäre nicht ehrlich, wie der Autor sagt, den Kapiteln als Ganzes eine Kohärenz zu geben, die sie nicht haben, da sie über einen langen Zeitraum und aus verschiedenen Blickwinkeln geschrieben wurden, aber es wäre ehrlich, anzuerkennen, dass sie uns in ihrer Vielfalt Anhaltspunkte bieten, um über eine kommunistische Zukunft im verschärften Kapitalismus unserer Zeit nachzudenken. Begrüßen wir diesen frischen Wind von einem der besten politischen Aktivisten unserer Zeit und einem so feinsinnigen und originellen Intellektuellen der neuen Generationen, der unbedingt weithin rezipiert werden sollte! Auch wenn die Terminologie für diejenigen, die nicht in das Denken von Deleuze und Guattari eingeweiht sind, neu erscheinen mag, wird sie niemanden gleichgültig lassen und es ermöglichen, über Politik mit Kategorien nachzudenken, die weit über die Banalitäten so vieler Talkshows hinausgehen und für das 21. Jahrhundert geeignet sind.