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03 2022

en commun – Solidarisch durch die Krisen

en-commun

Man hat mir vorgeworfen, ich sei eine Komplizin der Commune. Sicherlich. Ja, denn die Commune wollte zuallererst die soziale Revolution, und die soziale Revolution ist mir der liebste all meiner Wünsche."
(Louise Michel, Kämpferin in der Pariser Commune, die am 18.3. ausgerufen wurde)

 

"In Erwägung, daß da Häuser stehen. Während ihr uns ohne Bleibe lasst. Haben wir beschlossen, jetzt dort einzuziehen. Weil es uns in unsern Löchern nicht mehr passt."
(Resolution der Kommunarden, Bert Brecht)

 

Heute, am Jahrestag der Pariser Commune, haben wir in Wien ein Haus besetzt. Wir haben damit bewusst die kapitalistische Eigentumsordnung angegriffen, die die allermeisten Menschen vom gesellschaftlichen Reichtum ausschließt.


Die letzten zwei Jahre versetzten die Welt in einen extremen Ausnahmezustand, mit den staatlichen Maßnahmen ging eine starke Individualisierung unserer Lebensrealitäten einher. Viele von uns erfuhren erstmals, was soziale Isolation bedeutet und welche Folgen diese für die menschliche Psyche hat. Privater Raum entwickelte sich zum Lebensmittelpunkt und wurde das Sinnbild der ungleichen Wohlstandsverteilung. Während reiche Menschen in der Pandemie noch reicher wurden, traf die Pandemie die Menschen, die sich ohnehin schon in einer prekären Lage befanden, mit voller Wucht. Die Krisen, die dem Kapitalismus zwangsläufig inne liegen, rückten noch stärker in den Vordergrund. So wurde schnell klar, dass es sich nicht nur um eine gesundheitliche Krise handelt, sondern vor allem auch um eine soziale Krise. Deswegen wollen wir, als Zusammenschluss verschiedener linksradikaler Gruppen und Einzelpersonen mit der Kampagne „en commun – Solidarisch durch die Krisen“ zeigen, dass die vorpandemische Normalität schon abzulehnen war und dass Covid-19 diesen Umstand für uns nur noch verstärkt hat.

Die Einhaltung von Hygienekonzepten, wie beispielweise das Tragen von FFP2 Masken, Händewaschen und -desinfizieren, Abstandhalten, regelmäßiges Testen und die Impfung, sind zum Schutz vulnerabler Gruppen ohne Frage notwendig. Eine Differenzierung zu den staatlichen Coronamaßnahmen ist dabei unerlässlich, denn eine verfrühte Sperrstunde entzieht sich schlichtweg jeglicher wissenschaftlichen Grundlage und nützt der Pandemiebekämpfung nicht. Gleichzeitig blieben Betriebe und Skigebiete geöffnet. Bezeichnend für die Widersprüchlichkeit der staatlichen Pandemiebekämpfung waren gerade Betriebe mit besonders prekären Arbeitsbedingungen wie Schlachthäuser oder Postverteilerzentren. Diese waren nachweislich Brutstätten des Virus. Erneut zeigt sich die Absurdität des kapitalistischen Systems, denn in einem anderen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, in dem nicht nur Profite im Vordergrund stehen, könnten alle nicht-lebensnotwendigen Bereiche eingeschränkt werden, um eine Welle einzudämmen. Im kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem hingegen, in dem sich das staatliche Handeln am Profitstreben von Unternehmen orientiert, müssen sich Menschen weiterhin am Ort der Lohnarbeit infizieren. Indes waren der private und öffentliche Raum stark eingeschränkt durch die Coronamaßnahmen. Die Polizei zeichnete sich in der Vollstreckung dieser, wie so oft in der Vergangenheit, durch eine extrem repressive und willkürliche Vorgehensweise aus. Es zeigt sich erneut, dass auch in Sachen Pandemieeindämmung kein Verlass auf den Staat ist, der in seiner systemerhaltenden Funktion stets Profitinteressen in den Vordergrund stellen wird.
 


Während Schutzkonzepte, die wirklich der Pandemieeindämmung nützen, unverzichtbar sind, äußerte sich dadurch auch ein extremer Rückwurf ins Private. Austragungsort für bezahlte und unbezahlte Arbeit sind vermehrt die eigenen vier Wände. Privater Raum hat während der Pandemie enorm an Bedeutung gewonnen, zusätzlich zu seiner Funktion als Wohnraum wurde er zu Kinderbetreuungsstätte und Arbeitsplatz umfunktioniert. Zeitgleich steigen seit geraumer Zeit Mieten und werden für viele Menschen unleistbar. Leidtragende sind erneut insbesondere FLINTA*s. Patriarchale Gewalt nahm durch den Rückwurf in Private während der Pandemie stark zu und resultierte im schlimmsten Fall in einem Feminizid.Dabei muss die Unterdrückung – damit auch Gewalt – und doppelte Ausbeutung von FLINTA*s als zentraler Bestandteil des Kapitalismus erachtet werden.

FLITNA*s sind doppelt belastet, weil sie neben ihrer oftmals prekären Lohnarbeit zusätzlich unbezahlte reproduktive Arbeit verrichten. Reproduktive Arbeit steht in klarer Abgrenzung zu produktiver Arbeit (Lohnarbeit), findet oft im privaten Raum statt, ist unbezahlt und wird damit oft unsichtbar. Zu reproduktiven Arbeiten zählen beispielsweise Sorgearbeit, Betreuungsarbeit, Hausarbeit und Pflegearbeit; im Grunde alle Arbeiten, die abseits von Lohnarbeit dem Erhalt des kapitalistischen Systems dienen und vorwiegend von FLINTA*s verrichtet werden. Die Pandemie ermöglicht dabei gleichzeitig eine fortlaufende Zuspitzung und Festigung der bestehenden Verhältnisse. Darüber hinaus machen FLINTA*s den Großteil der Arbeitskräfte in kritischer Infrastruktur wie Lebensmittelhandel, Gesundheits- und Sozialbereich aus. Dies spiegelt sich in den prekären Arbeitsbedingungen wider, welche sich durch die Pandemie zunehmend verschärft haben.

Alle Lebensbereiche wurden mit dem Ziel der Pandemieeindämmung extrem eingeschränkt, gleichzeitig wurden Menschen, die nicht die Möglichkeit hatten im Home Office zu arbeiten, tagtäglich gezwungen, ein erhöhtes Infektionsrisiko auf sich zu nehmen. Dabei wurde Arbeits- und Leistungszwang der körperlichen Gesundheit übergeordnet.

Besonders betroffen waren und sind Menschen, die im Gesundheits- und Pflegebereich beschäftigt sind. Die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens und der damit einher gehende Profit- und Kostendruck ist unvereinbar mit der erforderlichen Pflege und Versorgung, die die Patient*innen benötigen würden. Die Verwirtschaftlichung von Krankenhäusern äußerte sich in zahlreichen Einsparungen wie beispielweise die Reduzierung von Intensivkapazitäten oder Kürzungen im Personalbereich. Das führte zu einer konstanten Überlastung der Arbeiter*innen und unzureichender Versorgung der Patient*innen. Covid-19 sollte hierbei lediglich als Katalysator verstanden werden, der die missliche Lage in dem sich das Gesundheitssystem ohnehin schon befand, zusätzlich verschärfte.

Zeitgleich ist der Zugang zum Gesundheitswesen und welches Leben als rettens- und lebenswert eingestuft wird, an Staatszugehörigkeit und Aufenthaltsstatus gebunden. Menschen die vor der Pandemie schon an den Rand der Gesellschaft getrieben wurden und systematischen Ausschluss erfahren haben, fanden sich durch Covid-19 in einer noch marginalisierteren Lage. Dazu gehören Menschen, die in Armut leben, wohnungslos sind, eine Behinderung haben, psychisch krank sind oder im Gefängnis sitzen. Genauso wie Menschen mit mangelnden Sprachkenntnissen, die von Rassismus, Antisemitismus und/oder Sexismus betroffen sind und insbesondere auch Menschen mit einem prekären oder keinem Aufenthaltsstatus.
 


Auch Menschen auf der Flucht wird während der Pandemie der Schutz vor dem Virus, sowie der Zugang zu medizinischer Versorgung und den Grundbedürfnissen des alltäglichen Lebens erheblich erschwert. In den gesellschaftlichen und politischen Debatten werden die katastrophalen Bedingungen, unter denen Menschen auf der Flucht leben, kaum thematisiert. Vielmehr setzt sich ein gesellschaftlicher Zustand der emotionalen Verrohung und Gleichgültigkeit fort. Die Sicherung nationaler Grenzen wird zur obersten Priorität, was gehäuft zu Pushbacks und rassistischer Polizeigewalt unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung führt. Europa schottet sich dabei in gewohnt menschenverachtender Manier ab und nimmt bewusst den Tod von Menschen im Mittelmeer und im polnisch-belarussischen Grenzgebiet in Kauf.

Die Hinwendung zum Nationalstaat als Ausgangspunkt für die Pandemieeindämmung stellt sich spätestens dann als lächerlich heraus, wenn ein Verständnis darüber herrscht, welches aufgezwungene Konzept hinter einer Nation steckt. Ein Virus wird keinen Halt vor konstruierten Grenzen machen.

Gefragt sind gleichberechtigte, kollektive und globale Überlegungen, um die Covid-19 Pandemie einzudämmen. Ein erster Schritt wäre die Patentfreigabe von Impfstoffen, um allen Menschen den Zugang zur einer Schutzimpfung zu ermöglichen, damit die Gesundheitssysteme entlastet werden und keine weiteren Menschenleben Profitinteressen zum Opfer fallen.
 


Aus unserer Sicht muss eine linksradikale Kritik an Coronaleugner*innen und staatlicher Coronapolitik die bestehenden Verhältnisse ablehnen und Alternativen aufzeigen. An diesem Punkt ist auch ein ehrliches Eingeständnis notwendig: Vergangene Versuche linke, progressive Perspektiven auf die Straße zu tragen, gescheitert sind, gerade deswegen ist ein weiterer Versuch unerlässlich. Im Zuge der Kampagne möchten wir verschiedene linke Analysen der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen und somit inhaltliche Auseinandersetzungen anstoßen; diese unterliegen allerdings stets unserem derzeitigen Wissensstand und sind somit immer bis zu einem gewissen Grad begrenzt. Wir beanspruchen deshalb keine absolute Wahrheit für uns.

Das Gefühl der Ohnmacht den Coronaleugner*innen wenig entgegensetzen zu können und den Frust über die bestehenden Verhältnisse, die durch das staatliche Corona-Missmanagement noch stärker ersichtlich wurden, müssen mit kollektiven, emanzipatorischen Lösungen beantwortet werden. Wir müssen raus aus der Beobachter*innenperspektive, Mitmachen ist gefragt! Denn nur durch gemeinsamen Austausch und die Verbindung sozialer Kämpfe kann eine bessere Zukunft für uns alle entstehen. Öffentlicher Raum muss wieder eingenommen werden und den wissenschaftsfeindlichen, menschenverachtenden und antisemitischen Diskursen der Coronaleugner*innen, muss ein Diskurs über Solidarität entgegengesetzt werden. Unser Solidaritätsbegriff geht dabei über den staatlich suggerierten – der nur die Einhaltung der Coronamaßnahmen vorsieht – hinaus und strebt ein befreite Gesellschaft zugunsten aller an. Raus aus der Ohnmacht – eine andere Welt ist möglich!