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07 2018

Die Casa Invisible bleibt!

Gegen die Räumung der Invisible, gegen Mall-aga, gegen die gefügige Stadt

Gerald Raunig

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Nach zweieinhalb Stunden Marsch durch die Stadt biegt die Demo um 22 Uhr abends in die Calle Larios, die zentrale Prunkstraße von Málagas Zentrum ein. Ein Gruß an den Wagen mit der Band, der den Zug für die längste Zeit angeführt hat, und die Demo setzt ihren Weg durch die Fußgängerzone fort. Plötzlich und unangekündigt beginnen die ersten sieben Reihen der superheroínas invisibles zu laufen, gar nicht so „unsichtbare“ Superheldinnen, überholen die sechs Mann Polizeikette und rennen den ganzen Weg hinauf zur Plaza de la Constitución, wo die Schlusskundgebung stattfinden soll. Ungefügige Flucht, Durchbrechen der Konsum- und Bewegungsmuster in der teuren Einkaufsstrasse, ungläubiges Staunen der Passant_innen und selbst der meisten Demoteilnehmer_innen darüber, was an diesem Tag alles möglich ist.

 

 

Wie ist das möglich in einer Stadt, die immer mehr dem Tourismus verfällt? Die klein beigibt bei der Auf- und Übergabe des Stadtzentrums an Spekulation, Gentrifizierung und Touristifizierung? Die Kultur als Attraktion im Städtewettbewerb und Marke in Diensten des Tourismus instrumentalisiert, vom hier geborenen Picasso bis zu den zahllosen mittelmäßigen musealen Institutionen? Wie ist das vor allem möglich in einer Stadt, die gerade auch ihr liberales Mäntelchen ablegt und versucht, die einzige soziokulturelle Oase in der durch-touristifizierten Wüste ihres Zentrums zu räumen?

Die Casa Invisible ist seit mehr als elf Jahren Garant für alternative Kulturen und Ökologien der Sorge, aber auch soziale Maschine für alles, was sich an Ungefügen trotz und inmitten der gefügigen Stadt so regt: feministische Cafés und Workshops, antirassistische und Refugees-Welcome-Gruppen, Konzerte, örtliche Versammlungen der PAH (Plattform gegen die Zwangsräumung), Meetings der Bewegung Málaga no se vende und des Sindicato Inquilinas, diskursive Veranstaltungen der Universidad Libre Experimental (ULEX), Tanz- und Theater-Workshops, Initiativen der Technopolitik, und vieles mehr. Das 2007 besetzte Haus aus dem 19. Jahrhundert mit dem wunderbar kühlen Patio ist eine Insel inmitten der vielfach verkauften, ein- und in Dienst genommenen Stadt. Eingebettet in eine teilweise unwirtliche Umgebung, ist die Casa invisible instituierende Praxis, neue Form der sozio-kulturellen Institution, generationenübergreifend, transversal und divers in allen Beziehungen.

 

 

Als landesweite Strategie hat die rechte, neoliberale Partei Ciudadanos Anfang des Jahres damit begonnen, in ganz Spanien die sozialen Zentren anzugreifen, gerade weil sie durch ihre Praxis der Besetzung die extreme Ökonomie der Aneignung und Extraktion der gefügigen Stadt durchbrechen. Dass es in vielen spanischen Städten solche Inseln gegen Besitz und Spekulation gibt, ist den Rechten ein besonderer Dorn im Auge. Im Fall von Málaga bedrängen die an der Stadtregierung beteiligten Ciudadanos den langjährigen Bürgermeister vom Partido Popular, dass er seine „Duldung“ der besetzten Invisible aufgibt und das Haus nach elf Jahren unter fadenscheinigen administrativen Gründen räumen lässt.

Doch die Invisible räumt man nicht so einfach. Schon am 10. März 2018 kommt es zu einer ersten bunten Demonstration, die gegen die drohende Räumung protestiert, und selbst ein andauernder und andauernd starker Regenguss ist kein Grund, die Aktionen abzubrechen und die Freude am Besetzen des öffentlichen Raums zu verlieren. Singing and dancing in the rain, mit Vorliebe vor dem Rathaus.

 

 

Am 19. Juli ist es dann nach neuerlichen und noch dringlicher anmutenden Ankündigungen der Räumung vonseiten der Gemeinde so weit, und eine noch größere Demonstration für die Casa Invisible zieht durch die Stadt. Unter Slogans wie «La Invisible se queda» (Invisible bleibt), «somos indesalojables» (Wir sind unräumbar), «La Invi no se toca» (niemand fasst die Invi an), treffen sich Tausende Menschen vor dem sozialen Zentrum und brechen zu einem gemeinsamen Marsch durch die Stadt auf. Besonderer Aufmerksamkeit kann sich der Bürgermeister Francisco (“Paco” oder “Paquito”) de la Torre erfreuen, wenn Sprechchöre wie diese in den Straßen schallen: «Dónde está Paquito, Paquito dónde está, Paquito está vendiendo lo que queda de ciudad» (Wo ist Paquito, wo ist Paquito? Paquito verkauft gerade die Reste der Stadt) oder «Paco escucha, La Invi está en la lucha» (Hör zu, Paco, die Invisible ist im Kampf). Dieser Kampf ist nicht nur ein Kampf für ein besetztes Haus und seine Nutzer_innen, sondern auch ein Kampf gegen die völlige Vereinnahmung der Stadt, gegen ein Mall-aga der muelle uno, die den Hafen in eine Mall verwandelt hat, gegen die fügsamen Oberflächen des Konsums von Kultur und Sozialität, die sich allen Ortens in der Innenstadt ausdehnen.

Doch Málaga no se vende, „Málaga steht nicht zum Verkauf!“, wie auch die seit einem Jahr sich in Madrid, Barcelona, Valencia, Sevilla ausbreitende und schon über Spanien hinaus reichende Bewegung gegen den Ausverkauf der Städte sich nennt. Und: Ohne die Casa Invisible ist Málaga nur mehr eine Mall, wie auf einem der Plakate der freakigen Guiri-Persiflage-Truppe aus dem Barrio Lagunillas zu lesen ist.

 

 

Die Problematik der gefügigen Stadt, die sich den An/ordnungen der Tourismusindustrie fügt und unterwirft, ist der breitere Hintergrund für den orden de desalojo, die Anordnung der Räumung der Casa Invisible durch die Administration der Stadt Málaga. Die wilde Verbreitung von Air B&B und apartamentos turisticos und die Gastronomisierung auch noch der letzten Parzelle im Zentrum bilden eine Seite dieses Hintergrunds, der ausufernde Ausbau einer völlig touristisch determinierten und scheintoten Museumslandschaft die andere. Statt sozio-kulturelle Zentren wie die Invisible zu fördern, versucht die Stadt ihnen das Leben schwer zu machen, oder gar unmöglich. Kein Wunder, dass die Demonstration auch am 19. Juli vor dem Rathaus eine Station einlegen muss …

 

 

Am Eingang des Rathauses halten die unsichtbaren Superheld_innen des Pink Blocks stolz die Räumungsanordnung der Invisible in die Höhe und in die Kameras, um sie schließlich vielfach zu zerreißen. Und man kann dies nicht zuletzt auch als implizite Ankündigung verstehen, dass die Drohung der Räumung auch umgekehrt werden kann.

 

 

Der Bürgermeister wird davon ausgehen müssen, dass die Räumung nicht in den klassischen Sommerlöchern der Feria im August untergehen wird, sondern im Gegenteil die Diskussion und Berichterstattung über den Umgang mit Ungefügen wie der Invisible sich ausdehnen wird bis in den liberalen Mainstream, dem er seine lange Zeit im Rathaus auch verdankt, bis in die alltäglichen Diskussionen in den Barrios, bis in die bourgeoisen Räume zwischen Plaza Merced und Calle Larios.

 

 

„No al desalojo“ – Nein zur Räumung! Bei Einbruch der Dunkelheit gelangt die Demo nach dem Spurt der superheroinas invisibles durch die Einkaufsstraße wieder vereint hoch zum Hauptplatz, der Plaza de la Constitución. Hier findet die Abschlusskundgebung statt, die noch einmal die Menge und die Diversität der Teilnehmenden sichtbar macht. Wieder hat sich die Erfindungskraft, das Vermögen der Urbanität, die Ökologie der Sorge gezeigt, die in der Demo, ihren unzähligen performativen Aktionen und visuellen Repräsentationen als Affirmation des Ungefüges zum Vorschein kommt: im Alltag oft unsichtbar, doch immer schon da, in den unregierbaren Poren der Umgebung, vor und vor der gefügigen Stadt.

Und schließlich wird als Schlussakt das Manifest der Invisible verlesen:

„Vor einigen Tagen erhielten wir eine Mitteilung der Stadtverwaltung, die die Räumung der Casa Invisible fordert. Sie geben uns 15 Tage Zeit, um das, was in 11 Jahren kollektiver Anstrengung aufgebaut wurde, allen Lebens zu entleeren; 15 Tage Countdown, um danach ihre Homogenität auszudehnen, aber wir werden es nicht zulassen.

Sie wollen jede Spur des Lebens löschen, das und nichts anderes wollen sie, denn das Leben ist unvorhersehbar, spontan; wo wenig erwartet wird, erscheint ein Strauch, der sich im Zement auftut, der Risse auftut. So ist die Invisible über diese 11 Jahre hin gewachsen, gegen alle Prognosen, in der Stadt wurzelnd, mit jedem Schritt ein lebenswertes Leben einfordernd. Und das ist es, was ihr Paradies aus Beton befleckt.

Alles was sie nicht kontrollieren und vorhersagen können, was ihren rein monetären Interessen entkommt, stört sie, und sie wollen es zensurieren, weil Kultur für sie Kapital ist, und weil unter dem Gesetz des Marktes nichts existiert, was nicht verkauft werden kann. Sie wollen eine flache Kultur, ohne Nuancen, ohne Kanten: nach Art von leicht reproduzierbaren, leicht klassifizierbaren, leicht verkäuflichen Postkarten und Souvenirs. Daher mühen sie sich damit ab, Folklore und neue Traditionen zu erfinden, mit denen sie die Gassen tagein, tagaus füllen, und den Alltag der Leute sträflich missachten, Leute, die sie nur mehr als Statist_innen gebrauchen können.

Die Invisible lernte, sich mit ihrer Umwelt in Beziehung zu setzen, zu verstehen, dass ihr Kampf nicht exklusiv war, und verband sich mit jeder Faser mit den nachbarschaftlichen Forderungen, die erfassen, dass ihnen auch das letzte Schlupfloch nicht vermarktbaren Lebens gestohlen wird, dass sie überall ausgeschlossen werden, wenn sie sich nicht wehren. Das machte die Invisible in den Augen der Stadtverwaltung und ihrer Untergebenen immer unbequemer. Also begannen sie zu lügen, vom Konflikt abzulenken, um sich nicht mit ihm abgeben zu müssen, die Existenz erzielter Einigungen abzuleugnen, im Versuch, ein Projekt, das sie nicht zu verstehen vermögen, zu ersticken. Aber sie täuschen niemanden mehr: sie sind die nützlichen Idiot_innen einer Industrie, die uns entmenschlicht und als Sklav_innen sieht, als unterworfen und auf unbegrenzte Zeit hin aufgerieben; ohne Zukunft im Würgegriff miserabler Löhne; ohne Zeit außer jener für Produktion und Konsum. Denn so trübt sich ihr Bild von der Stadt nicht, und es wird auch nicht von den Kameras der Tourist_innen eingefangen. Aber uns, die Unsichtbaren, lässt es verschwinden – und sie wollen uns einfach nicht sehen.

Gegen dieses Projekt der Stadt als permanenten Spektakels bietet die Invisible Ruhe, einen Raum für freie und geteilte Kreation, für gemeinsames Denken; einen Ort des Lebens mit der Unterschiedlichkeit und des Ausgehens von der Differenz.

Sie wollen uns verschwinden lassen, und bei jedem Versuch werden wir mehr!

In den letzten Monaten, seit diesem Regenguss, der nicht verhindern konnte, dass wir auf die Straße gingen, um vom Bürgermeister zu fordern, dass er seine Verpflichtungen einhält – weil wir jede einzelne unserer Verpflichtungen eingehalten haben –, seit jenem 10. März und bis heute, da wir wieder auf die Straße gehen, um die angekündigte Räumung zu verhindern, war das Patio des Hauses voll von neuen Gesichtern und neuen Projekten. Málaga ist einfach ohne Invisible nicht auszudenken, wir sind nicht fähig, uns das vorzustellen, und deswegen werden wir ihre Existenz weiterhin gegen die Megalomanie des Bürgermeisters und seiner Gehilf_innen verteidigen, gegen die, die die Stadt für exklusive Interessen verkaufen, gegen die, die uns vertreiben, gegen die, die lügen und zensurieren.

Die Invisible sind wir alle und jede_r einzelne von uns. Wir sind die, die heute hier sind und die Tag für Tag hinzukommen. Wir sind das, was sie nicht wollen. Wir sind gemeinsam. Und wir werden beweisen, dass wir unräumbar sind!

Die Invisible bleibt!“

 

 

Dank an alle Aktivist_innen und die wilde Ökologie der Casa Invisible, und vor allem an Kike España für Material, Diskussion und Co-Interpretation all der Zeichen und Bewegungen im un/sichtbaren Protest.