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08 2001

Alles nur Theater? - Alles nur Politik.

Oliver Marchart

International solidarisieren sich Künstler mit den inhaftierten Mitgliedern der VolxTheaterKarawane. Mit gutem Grund: Auf dem Spiel steht die Möglichkeit symbolischer Politik, die Verteidigung der Meinungs- und Bewegungsfreiheit schlechthin.

 

Zu Beginn der Debatte um die VolxTheaterKarawane stellte sich die Öffentlichkeit die Frage: Alles nur Theater? Handelt es sich wirklich nur um Gaukler? Inzwischen scheint diese Frage beantwortet. Die Dame mit dem eisernen Grinsen, die zu anfangs die Aktivisten vor laufender Kamera kriminalisierte, scheint sie bejaht zu haben. Und selbst das Innenministerium, das die Karawane - wie alles Oppositionelle in Österreich - observierte und möglicherweise infiltrierte, scheint zum Schluss gekommen zu sein: Alles nur Theater. Das trifft sich gut bei einer Theaternation wie Österreich. So ist es nicht verwunderlich, dass niemand die Gegenfrage stellte. Die Frage nämlich: Alles nur Politik?

Denn dem aktionistischen Straßentheater, in dessen Tradition die VolxTheaterKarawane steht, geht es nicht um bürgerlichen Kunstgenuss, sondern um eine politische Botschaft außerhalb der Theaterinstitutionen. Es ist keineswegs "nur Theater", sondern zielt direkt ins Feld der Politik. Zwar bedient es sich künstlerischer Strategien, um politisch zu intervenieren, betreibt aber deshalb nicht "nur" Theater, nicht "nur" Kunst.

In Österreich kam es im Zuge der Antiregierungsdemonstrationen zu einer Fülle solcher theatraler Interventionen, die von gleichermaßen arroganten wie ahnungslosen Wendephilosophen als "antifaschistischer Karneval" bezeichnet wurden.
Ungeachtet der Diffamierungsabsichten seines Schöpfers Rudolf Burger sollte man den Begriff tatsächlich begrüßen und positiv wenden. Denn das Karnevaleske der Aktionen entsteht ja keineswegs aus individuellem Ausdrucksbedürfnis oder Spaß am Feiern, noch will es irgendwelchen herkömmlichen ästhetischen Kriterien genügen. Sein Kriterium ist vielmehr symbolpolitischer Natur.
Mit anderen Worten: Es geht um die symbolische Besetzung des medialen und politischen Raums. Öffentlichkeit soll durch möglichst drastischen Ausdruck erzeugt und damit Aufmerksamkeit auf die politische Botschaft gelenkt werden. Die "Straße" wird durch die Intervention des Straßentheaters vom bloßen Verkehrsweg zur Bühne der Öffentlichkeit.

Symbolische Aktionen
Der Boom, den karnevalistische Polit-Aktionen in Österreich wie auch in Genua und anderswo erfahren haben, sollte keineswegs überraschen. Denn der symbolische Mehrwert theatraler Aktionen steigt unter anderem mit der Bedeutung der Bildmedien. Deren immer stärker werdende Rolle schreit gleichsam nach plakativen symbolischen Aktionen. Auf diese Nachfrage trifft das Angebot der Theateraktivisten, das nun von der italienischen Polizei und Justiz kriminalisiert wird. So kommt es auch nicht überraschend, dass sich mit der VolxTheaterKarawane italienische wie österreichische Theatergruppen, ja selbst ein illustrer Literatur-Nobelpreisträger, der Theatermann Dario Fo, solidarisch erklärt haben.
Entgegen dem ersten Anschein geht es dabei um mehr als um "nur Theater". Ja umgekehrt, es geht nur und ausschließlich um Politik. Das heißt, es geht um die Verteidigung der Möglichkeit symbolischer Politik schlechthin. Denn wo deren Ausdrucksmittel - wie etwa Jonglierkeulen - als Waffen definiert und Theatergruppen zu kriminellen Vereinigungen abgestempelt werden, dort lässt sich öffentlicher Raum an sich nicht mehr erzeugen, die Straße nicht mehr zur politischen Bühne machen.
Aus diesem Grund ist die Freiheit der Kunst nur eine Unterkategorie der politischen Meinungsfreiheit und kann nur mit Letzterer zusammen verteidigt werden. Nicht weil sie "nur Theater" machen, hätten die Aktivisten der VolxTheaterKarawane längst freigelassen werden müssen, sondern weil ihr Recht auf Demonstrations-und Meinungsfreiheit unverbrüchlich sein sollte.

Gesinnungslisten
Leider ist dem real nicht so. Der Antiglobalisierungsbewegung wird mit der Einschränkung von Meinungs-, Ausdrucks- und Bewegungsfreiheit geantwortet. Und zwar in einem Ausmaß, wie man es seit der Terrorismushysterie der 70er-Jahre nicht mehr gesehen hatte. Otto Schily käme nichts gelegener als eine europaweite schwarze Liste politisch Unliebsamer. In der Bundesrepublik wurden anlässlich des Genua-Treffens grundrechtswidrige Ausreiseverbote verhängt und damit jedes Recht auf Bewegungsfreiheit - zum Zwecke politischer Meinungsäußerung - ignoriert.
An den Grenzen zu Italien wurden Menschen abgewiesen, weil sie bereits auf irgendwelchen arbiträren Listen standen. Eine dieser Gesinnungslisten, die das Innenministerium Italien übermittelt hatte, führte schließlich zur Verhaftung der VolxTheaterKarawane. Und schließlich greift Italien zur Kriminalisierung der Globalisierungsgegner auf die grundrechtseinschränkende Antiterrorgesetzgebung der 70er-Jahre zurück. In der Praxis erlaubt diese der italienischen Justiz, langjährige Gefängnisstrafen allein für politische Gesinnung auszusprechen.
Der österreichischen Regierung kam all dies gelegen, denn die Antiglobalisierer, die Italien jagte, deckten sich im Fall der VolxTheaterKarawane mit außerparlamentarischen Kritikern der ÖVP-FPÖ-Koalition. Deren Kriminalisierung wollte man elegant an die italienischen Freunde der Berlusconi/Fini-Regierung delegieren, denn die hatten ja die notwendigen Gesetze. Eine günstige Gelegenheit, Rache an seinen Gegnern zu üben, ohne sich die Hände dabei schmutzig zu machen. Dies scheint Ferrero-Waldner in jener Pressekonferenz gedacht zu haben, bevor sie ihr Grinsen wieder aufsetzte. Damit erwies sie sich als würdige Ministerkollegin Böhmdorfers. Hatte dieser die Kriminalisierung der parlamentarischen Opposition für bedenkenswert befunden, so befindet Ferrero-Waldner offenbar die Kriminalisierung der außerparlamentarischen Opposition für bedenkenswert.

Doch das eigentlich Alarmierende ist die immer klarer werdende Tatsache, dass österreichische Regierungskritiker, auch wo sie rein symbolisch und kulturell arbeiten, systematisch observiert, staatspolizeilich behandelt und auf schwarze Listen gesetzt werden. Und wo die Gelegenheit günstig ist, schreckt man offenbar nicht davor zurück, diese Listen zu ihrer Denunziation und Kriminalisierung auch einzusetzen. Alles nur Theater?

 
[erstveröffentlicht im Standard als "Kommentar der anderen" vom 11. August 2001]