Cookies disclaimer

Our site saves small pieces of text information (cookies) on your device in order to keep sessions open and for statistical purposes. These statistics aren't shared with any third-party company. You can disable the usage of cookies by changing the settings of your browser. By browsing our website without changing the browser settings you grant us permission to store that information on your device.

I agree

07 2018

Migration und Integration

Zur Genealogie des zentralen Dispositivs in der Migrationsgesellschaft

Manuela Bojadžijev

Es gehört zu einem der Effekte von Migrationsbewegungen, Konfliktfelder auf dem Terrain des „national-sozialen Staats“ (Balibar) zu eröffnen und zu etablieren.[1] Die Konfliktfelder, die die Migration der 1960er und 1970er Jahre nach Westdeutschland geprägt haben, möchte ich in drei große Felder unterteilen. Sie haben zu massiven gesellschaftlichen und politischen Transformationen beigetragen: Erstens, die Praktiken der Einwanderung müssen selbst als politische Praxis interpretiert werden, insofern sie eine Autonomie gegenüber den staatlichen Migrationspolitiken entfaltet haben. Der Beitrag der Migrantinnen und Migranten zu den Arbeitskämpfen hat, zweitens, grundlegend zur Krise der fordistischen Gesellschaftsform beigetragen und öffnete, drittens, die enge Perspektive der Betriebskämpfe hin zu sämtlichen Lebensverhältnissen der Migration, hin zu Alltag und Reproduktion, zu Sprache und Kultur und nicht zuletzt hin zu den Wohnverhältnissen, die neben der Fabrik den entscheidenden Kristallisationspunkt migrantischer Kämpfe bildeten. Weitgehend unbekannt blieben die vielfältigen Praktiken, die sie im Laufe der Zeit entwickelten: Migrantinnen und Migranten ergänzten in wilden Streiks die Forderungen nach höheren Löhnen um allgemeine Fragen der Arbeitsorganisation; sie machten die miserablen Wohnverhältnisse in Baracken und die Vorenthaltung ihres privaten Lebens in Wohnheimen zum Thema; von ihnen gingen die ersten Hausbesetzungen und Mietstreiks aus; sie legten die Arbeit wegen des unzumutbaren und überteuerten Essens in den Kantinen nieder; mit der Losung „1 Mark mehr für alle“ machten sie lineare Lohnforderungen zur Basis für die Überwindung von Spaltungen innerhalb der Betriebe; sie gründeten Zentren, in denen sie Veranstaltungen zur Gesundheits- und Rechtsberatung organisierten; sie kämpften gegen die Reduktion des Kindergelds; sie wandten sich gegen Zuzugssperren in einigen Gebieten der Bundesrepublik; sie unterliefen den Anwerbestopp durch undokumentierte Einwanderung und legten die Familienzusammenführung großzügig aus; sie organisierten Bleiberechtskämpfe und setzten temporäre Legalisierungen durch; sie brachten die Benachteiligung ihrer Kinder bei der Bildung und die hohe Arbeitslosigkeit unter migrantischen Jugendlichen zur Sprache und nicht zuletzt widersetzten sie sich den rassistischen Anfeindungen, in dem sie in vielen dieser Kämpfe die institutionelle Grenze zwischen „Deutschen“ und „Ausländern“ in Frage stellten und das Gemeinsame in den Auseinandersetzungen fanden und erfanden. In diesen Auseinandersetzungen eröffnete sich zugleich eine neue Ausgangslage für ihre politische Organisierung, denn sie behaupteten immer wieder die Freiheit der politischen Betätigung, die durch das Streik- wie das Ausländerrecht eingeschränkt ist.

In mehrfacher Hinsicht bedeutet das Jahr 1973 einen Einschnitt für diese hier im Zeitraffer zusammengefassten Kämpfe der Migration[2] und für die sozialen und politischen Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland. Die Einwanderung erwies sich trotz Anwerbeverträgen als schwer regulierbar, der migrantische Massenarbeiter hatte rassistische Unterdrückung und Ausbeutung in Arbeits- und Wohnkämpfen in Frage gestellt. Nun erfolgte die Rekuperation. Mit dem Konzept der Rekuperation (ähnlich dem Begriff der „aneignende Enteignung“ von Raoul Vaneigem, 1963, oder dem von Sandro Mezzadra und Brett Neilson, 2013, jüngst ausgearbeiteten Begriff des „differentiellen Einschlusses“) geht es darum, Prozesse zu bestimmen, in denen subversive Praxis für die Modernisierung bestehender Verhältnisse funktionalisiert wird und schließlich nur als affirmierendes Moment erhalten bleibt. Gegenüber dem Begriff der Kooptation erlaubt das Konzept der Rekuperation Umrisse eines, in diesem Fall, selbstorganisierten Prozesses der Migrantinnen und Migranten auch noch in den Veränderungen zu fassen, die das Paradigma der Integration restrukturieren und konsolidieren. Rekuperative Praxen stehen repressiven nicht entgegen. Einerseits handelt es sich bei der Rekuperation um eine umgeformte Einschließung subversiver, selbstorganisierter Praxis, andererseits bringt sie neue Grenzziehungen von „Aufnahme und Ausschluss“ (Vaneigem, 1963, 142), Integration und repressiver Praxis hervor. Dies geschah nun an verschiedenen Fronten: Die Grenzen wurden mit dem Anwerbestopp in den bisherigen Modi geschlossen und das Migrationsregime wurde neu strukturiert, Arbeitsprozesse wurden reorganisiert und der Arbeitsmarkt auf neue Weise segmentiert. Die Forderungen in den migrantischen Kämpfen um bessere Bildungsmöglichkeiten und Wohnverhältnisse, die Selbstorganisierungen in Fragen von Recht und Gesundheit sollten im staatlichen Imperativ der Integration zum Stillstand gebracht werden; der rassistische Diskurs, hatte er bis etwa Mitte/Ende der 1960er Jahre vorwiegend exotisierende und paternalistische Züge angenommen, drückte sich nach und nach aggressiv, ausschließend und in Migrantengruppen hierarchisierenden Statements aus.


Einwanderung und Bürgerschaft

Die Einwanderung der Migrantinnen und Migranten hatte Fakten geschaffen, die es notwendig machten, ihren Rechtsstatus zu korrigieren. Die Debatten drehten sich zunächst um Kosten und Nutzen der Arbeitsmigration. Schon während der Rezession von 1966/67 begann eine Diskussion darüber, ob die langfristigen sozialen Kosten der Arbeitsmigration den unmittelbaren privatwirtschaftlichen Nutzeffekt für die Unternehmen nicht übertrafen. Zwischen 1968 und 1973 stieg die Zahl der Zugewanderten von 1,014 auf 2,595 Millionen an. Die Infrastrukturkosten der Migration gerieten immer mehr in den Vordergrund; befürchtet wurde, dass es zu sozialen Unruhen kommen könnte (vgl. Herbert 2001: 235). Für das Jahr 1973, also für jenes Jahr, in dem es die meisten von Migrantinnen und Migranten initiierten und mitgetragenen Arbeitskämpfe gab, lässt sich zeigen, wie die Debatten um die angeblich zu große Anzahl an Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland, und die Behauptung, dass damit die Infrastrukturprobleme Deutschlands zusammenhingen (zu wenig Kindergarten- und Schulplätze, Wohnungen) zum „Aktionsprogramm Ausländerbeschäftigung“ führen. Das Aktionsprogramm erschwerte eine Beschäftigung von „ausländischen Arbeitnehmern“ für die Unternehmen, indem die Vermittlungsgebühr erhöht wurde. Unter dem Deckmantel der Hilfeleistung für Zugewanderte und deren „angemessener Eingliederung“ sollte die erhöhte Vermittlungsgebühr für die Förderung von sprachlichen und beruflichen Bildungsmaßnahmen genutzt werden. Außerdem sollten die von den Unternehmen bereitzustellenden Unterkünfte strenger überprüft werden. Das „Aktionsprogramm Ausländerbeschäftigung“ sah zudem einen Kampf gegen „illegale Beschäftigung“ vor und der Zuzug in so genannte überlastete Siedlungsgebiete – nach der damaligen Definition Stadtviertel mit einem „hohen Ausländeranteil“ – sollte nach bundeseinheitlichen Vorgaben von der „Aufnahmefähigkeit der sozialen Infrastruktur“ abhängig gemacht werden. „Ausländerbeschäftigung“, so die Grundannahme des Aktionsprogramms, sei für das Entstehen gesellschaftlicher Konflikte verantwortlich.

Die Arbeitslosenrate des Jahres 1973 lag zwar unter der von 1955, dem Jahr des ersten Anwerbeabkommens, und die meisten Unternehmen vermeldeten auch in den folgenden Jahren weiterhin Bedarf an ausländischen Arbeitskräften. Aber trotz allem Druck, den die Arbeitgeber auf die Behörden und Ministerien ausübten, wurde am 23. November 1973 der vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) initiierte Anwerbestopp verhängt. Die Regierung legitimierte den Anwerbestopp als politische und ökonomische Notwendigkeit zur Verhinderung möglicher konjunktureller Einbrüche in der Zukunft. Bis Mitte der 1970er Jahre versuchte die Bundesregierung zunächst durch eine Reihe juristischer Maßnahmen Arbeitsmigrantinnen und -migranten zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer zu bewegen oder gar zu nötigen. Eine Serie neuer Auflagen bei der Aufenthaltsgewährung führte zur Verdrängung einer großen Zahl von einst Zugewanderten aus der Bundesrepublik und zielte zudem auf die Abschottung gegenüber den Migrationsbewegungen.

Neben einem auf höchstens drei Monate Aufenthalt befristeten Touristenvisum oder einem Antrag auf Asyl, war nun der Zuzug auf der Grundlage des Gesetzes zur Familienzusammenführung die einzige legale Möglichkeit, nach dem Anwerbestopp in die Bundesrepublik einzureisen, was Migrantinnen und Migranten großzügig auszulegen versuchten. Eine Reihe von staatlichen Praktiken sollte dieser Praxis entgegenwirken: Diskriminierungen etwa in der schulischen Erziehung, im Wohnungssektor, beim Kindergeld oder im Bereich der medizinischen Versorgung, die in den Kämpfen der Migration zur Sprache gebracht worden waren, verschlechterten die Bedingungen und Anreize der Familienzusammenführung. Mit allen erdenklichen Mitteln wurde versucht, einen dauerhaften Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern zu verhindern. Ausweisung von Migrantinnen und Migranten, die in Betriebs- oder Wohnkämpfen aktiv gewesen waren, war übliche Praxis. Darüber hinaus sollte die „Entlastung des Arbeitsmarkts“ durch eine Reihe von Instrumentarien ermöglicht werden. In Fällen, wo das Inländerprimat Geltung hatte, verlängerten Behörden die Arbeitserlaubnis nicht. Lief das Arbeitslosengeld aus, wurde die Aufenthaltserlaubnis entzogen und die Ausweisung bei Annahme von Sozialhilfe war sowieso Regel (außer bei EWG-Bürgerinnen und Bürgern).

Rechtlich war durch den Anwerbestopp und die repressiven Maßnahmen zur Verhinderung des dauerhaften Aufenthalts der „Gastarbeiter“ abgeschafft. In der Folge etablierte sich auch diskursiv – etwa in den Debatten des Bundestages – eine neue Kategorie, nämlich die des „Ausländers“ (vgl. Morgenstern 2002: 252ff.). Der größte Teil jener, die länger als fünf Jahre in der Bundesrepublik waren, erhielten mit einer Veränderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften vom Oktober 1978 eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis, die ihren Status weniger prekär gestaltete. Im gleichen Jahr änderte sich auch die Arbeitserlaubnisverordnung, sodass Ausländerinnen und Ausländer nach achtjährigem Aufenthalt eine unbefristete Arbeitserlaubnis erhielten. Mit dieser Rekuperation, die einige der Zugewanderten zu „Ausländern“ machte, andere zur Rückkehr in die Herkunftsländer nötigte oder in die Illegalität zwang, wurde rechtlich ein ausschließender Einschluss installiert. Darüber hinaus kam es bis Ende der 1970er Jahre zur weiteren Klassifizierung und Hierarchisierung von Ausländerinnen und Ausländern, die nicht nur durch die Länge und den Status des Aufenthalts, durch den Abschluss einer Schul- oder Ausbildung in der Bundesrepublik oder durch Deutschkenntnisse differenzierte. Auch Kategorien konturierten sich deutlicher, wie etwa EG-Staatsbürger, „Illegale“ und „Flüchtlinge“, wobei letztere immer stärker in den Vordergrund der gesetzlichen Restriktionspraxen traten.

Die Rekuperation der Kämpfe der Migration fand in hohem Maße durch Versuche der Abschottung der Grenzen statt. Dies war nur möglich, weil anders als etwa in den Kämpfen des Feminismus, Zugewanderte als „Ausländer“ nicht Teil der national strukturierten Gesellschaft sind und somit die staatliche Disposition eine solche repressive Form annehmen konnte. Der Versuch, die national homogene Integrität der Gesellschaft aufrechtzuerhalten, musste sich aber den Herausforderungen durch die Kämpfe der Migration und der faktischen Einwanderungssituation stellen. Die sich neu hierarchisierenden Bürgerrechte sortierten die politische Zugehörigkeit und trugen zugleich die Spuren der Kämpfe der Migration und der Aneignung von Rechten in sich. Mit der Einwanderung und in den sozialen Auseinandersetzungen erzwangen Zugewanderte eine Transformation des politischen Systems und stellten durch ihre soziale Praxis die formale Institution und Beschränkung der Bürgerrechte infrage.

Die rechtliche Reorganisation hatte für Zugewanderte besondere Konsequenzen. Es ging für sie nun auch darum, den Aufenthalt unter den neuen rechtlichen bzw. entrechteten Bedingungen auch in ökonomischer Sicht anders zu sichern. Der rechtlich prekäre Status der migrantischen Arbeitskräfte korrelierte mit ihrer sozialen und ökonomischen Position. Die migrantischen Arbeiterinnen und Arbeiter waren de facto qua Prekarisierung zu einem festen Bestandteil des Arbeitsmarktes geworden. Ein großer Teil bildete das untere Segment der industriellen Arbeiterklasse und verfügte obendrein nicht über die gleichen und vollen Bürgerrechte. Der Status „Ausländer“ und die damit verbundenen neuen Bürgerrechte untermauerten rechtlich, politisch wie ideologisch den weiterhin temporär begrenzten bzw. jederzeit begrenzbaren Charakter des Aufenthalts. Dieses neu instituierte Verhältnis von Inrechtsetzung und Entrechtung regulierte eine neu konstituierte, ethnisierte Klasse. Repression und Integrationsforderungen dienten zur Kontrolle dieser Klasse. Zugleich war es möglich, nicht nur die internationale, sondern auch die sektorale Mobilität innerhalb der Produktion zu begrenzen. Das hatte Effekte auf die Zusammensetzung der Arbeiterklasse und die Haushaltsstrukturen. Veränderungen im Produktionsprozess, wie etwa die Automatisierung und Informatisierung des Produktionsprozesses, strukturelle Erwerbslosigkeit, langfristige Prekarität, illegale Beschäftigung, Zwang zur Mobilität und Teilzeitarbeit etc. charakterisierten die Transformation ebenso wie die Krise der Institutionen des Wohlfahrtsstaats und der Familie, die zentrale Bedeutung für die Reproduktion der Arbeitskraft hatten. Arbeitslosigkeit, die Migrantinnen und Migranten durchschnittlich stärker betraf, so sie nicht in die Herkunftsländer „exportiert“ werden konnten, rief ökonomische Unternehmungen auf den Plan. Um den Aufenthalt trotz Entlassungen zu sichern, machten sich im Verlauf der 1970er Jahre viele Zugewanderte selbstständig, gründeten Gewerbe wie Änderungsschneidereien, Lebensmittelgeschäfte, Export/Import-Läden, betrieben Handel, eröffneten Buchläden, Restaurants und Cafés. Die neue Selbstständigkeit verknüpfte für einen Teil der Migrantinnen und Migranten den Willen, in der Bundesrepublik zu bleiben, mit der Hoffnung, ökonomisch erfolgreich zu sein und auf diese Weise den Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt zu entkommen. Für einen anderen Teil stellte sie die Möglichkeit dar, der Arbeitslosigkeit auszuweichen und auch noch Familienmitglieder und Freunde in die teilweise informellen Arbeitsverhältnisse einzubinden. So entstand zugleich eine migrantische Infrastruktur, die die Ebene des Alltags und der alltäglichen Praktiken einschloss. In diesem Zusammenhang erweiterten sich die in der Migration ausgebildeten sozialen Netzwerke und Solidaritätszusammenhänge. Diese Netzwerke unterstützten unter anderem jenen Teil der Einwanderung, der in die Illegalität verdrängt wurde – was sowohl jene, die ohne Papiere eingereist waren, wie jene, die ihren Aufenthaltsstatus verloren hatten, betreffen konnte. Die in die Illegalität verdrängten verdingten sich mehrheitlich auf Baustellen, in der Landwirtschaft, im Dienstleitungsbereich, d. h. im Gaststättengewerbe, in der Hausarbeit oder in der Gebäudereinigung.


Imperativ der Integration

Zur Voraussetzung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an Familienangehörige und zu ihrer Verlängerung im Rahmen der Regelung des Familiennachzugs erhöhte die damalige sozialliberale Regierung die vorgeschriebene Quadratmeterzahl pro Ausländer im öffentlichen Wohnungssektor auf 12 m². Auch für Zugewanderte, die Wohnungen auf dem privaten Wohnungsmarkt gemietet hatten, galt der Nachweis einer solchen „ordnungsgemäßen und zureichenden Wohnung“ (vgl. Morgenstern 2002: 250). Von 1975 bis 1977 wurde diese Verordnung mit der bereits erwähnten Zuzugsquote für Migrantinnen und Migranten in „überlasteten Siedlungsgebieten“, auch „Ballungsgebiete“ genannt, kombiniert (vgl. Samp 1978: 4). Bereits im September 1972 hatte ein ressortübergreifendes Planungsteam der Stadt Berlin ein Modell für die Ausländerpolitik unter dem Titel „Eingliederung der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien“ erarbeitet. Vorgesehen war ein „bedarfsorientiertes Integrationsmodell“, das den Bedarf auf dem Arbeitsmarkt zunächst durch deutsche und erst dann durch ausländische Arbeitskräfte gedeckt sehen wollte, letztere sollten unter „Erhaltung (...) der allgemeinen Sicherheit und Ordnung“ eingegliedert werden.

Wohlfahrtsverbände, Kommunen, Gewerkschaften und Kirchen unterstützten Integrationspolitiken, und übten öffentlich Druck auf Parteien aus, administrative Konsequenzen aus der – wie es nun hieß – „faktischen Einwanderungssituation“ zu ziehen. Zeitgleich gab es massive Bestrebungen seitens verschiedener staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure, das Postulat aufrecht zu erhalten, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist. Einerseits ging es darum, Einwanderung auf keinen Fall zu institutionalisieren, andererseits wurden mit der Forderung nach Anerkennung der „faktischen Einwanderung“ auch die Forderungen nach politischen Maßnahmen zur Integration der Eingewanderten stärker. Diese Positionen artikulierten sich im öffentlichen Diskurs in den Parolen von „Eingliederung ja“ und „Einwanderung nein“. „Eingliederung auf Zeit“ lautete schließlich die breit geteilte Formel, die es zuließ, die Option auf eine Rückkehr in die Herkunftsländer beizubehalten und zeitgleich die zur Sicherung des „sozialen Friedens“ als notwendig erachteten Integrationsmaßnahmen zu legitimieren. Da die Ära der „Gastarbeiterbeschäftigung“ verabschiedet worden war, stellte „Integration“ den gesellschaftlichen Kompromiss dar, der politisch zwischen ökonomischen Interessen, die weiterhin auf die Beschäftigung von „ausländischen Arbeitnehmern“ drangen, und nationalistischen Tendenzen, die jede weitere Einwanderung verhindern wollten, geschmiedet werden konnte. Aufrechtzuerhalten war mit diesem Kompromiss die Behauptung, Deutschland sei kein Einwanderungsland und könne auch nie eines werden.

Integration wird Ende der 1970er Jahre zum Imperativ. Die soziale, nicht rechtliche Integration stellt sich als Fortschritt, Emanzipationsakt, als Gewährung eines Rechts dar. Zugleich suggeriert die Annahme einer so genannten kulturellen oder nationalen Identität der Migrantinnen und Migranten, ihre Integration bleibe immer oberflächlich und unvollständig. Der Erhalt der kulturellen Identität in Kombination mit der Vorenthaltung von Rechten deutet zumindest an, dass ihnen letztlich das Bleiberecht verweigert werden sollte und ihre Rückkehr perspektivisch anzuvisieren ist, was die Formel „Integration auf Zeit“ letztlich bedeutet. Der Begriff „Ausländer“ markiert zudem, dass es sich um einen Bevölkerungsteil handelt, der zwar in Deutschland lebt, aber nicht Teil der deutschen Gesellschaft ist. Die Vorstellung der kulturellen Identität, die sich in diesen Aussagen bereits artikuliert, findet später im Konzept des Multikulturalismus seine Ausarbeitung.

Integration bezeichnete im Kontext der ausländerpolitischen Maßnahmen der 1970er Jahre eine Rekuperation der Widerstandspraktiken und Kämpfe der Migrantinnen und Migranten. Selbstverständlich lässt sich der Imperativ der Integration nicht schematisch als funktionale Politik, als schlichte „Antwort“ des Staates auf die migrantischen Forderungen und sozialen Auseinandersetzungen verstehen. Es lassen sich aber zahlreiche Hinweise dafür zusammentragen, dass in den Zugewanderten tatsächlich zunehmend eine politische und soziale Gefahr gesehen wurde. Es galt, diese entweder zu integrieren und zu befrieden oder sie auszuweisen. Integration und Abschottung sowie Ausschließung sind so zu den tragenden Pfeilern der Ausländerpolitik ausgebaut worden. Beide Aspekte – Integration und Abschottung – wurden in Form einer Drohung verknüpft: Integration könne nur gewährleistet werden, wenn der Anwerbestopp aufrechterhalten bliebe, denn Deutschland könne „einen weiteren Zustrom ausländischer Arbeitnehmer nicht verkraften“, so Albrecht Hasinger bei der Beratung zu den „Zukunftschancen der Kinder ausländischer Arbeitsnehmer“ im Bundestag am 14. Juni 1978 (zit. Morgenstern 2002: 257). Trotz der genannten Veränderungen im Migrationsregime und aller Maßnahmen der Abschottung und Verdrängung verringerte sich während der 1970er Jahre die Zahl der Zugewanderten insgesamt jedoch keineswegs, sondern erhöhte sich. Von 1973 bis 1979 blieb die Zahl der ausländischen Wohnbevölkerung stabil und nahm ab 1979 zu, so dass 1980 offiziell eine Million mehr Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland lebten als noch 1972, also vor dem Anwerbestopp (Fathi 1996: 28). Bei diesen Zahlen muss außerdem beachtet werden, dass Personen ohne Papiere darin nicht berücksichtigt sind. In dieser Hinsicht sind letztlich alle staatlichen Abschottungsbemühungen fehlgeschlagen. Die in der Migration aufgebauten sozialen Netze waren offenbar in der Lage, weitere Einwanderung zu organisieren.


Dispositiv der Integration

Wie aber können wir uns die Rekuperation durch den Imperativ der Integration vorstellen, wenn es sich nicht um eine schematisch verstandene „Antwort“ handelt? Benannten Migrantinnen und Migranten in ihren Kämpfen die Ausschlussmechanismen ihrer Kinder aus dem nationalen Schulsystem, so tauchte dies als Maßnahme zur Prävention möglicher zukünftiger „Konfliktherde“ im Integrationsforderungskatalog wieder auf. Diesmal aber umgekehrt zur Artikulation in den Kämpfen der Migration: Es geht nicht mehr um ein Recht auf Bildung, sondern um die Pflicht der sogenannten zweiten Generation, sich sprachlich, kulturell und „staatsbürgerlich“ für ein unbefristetes Aufenthaltsrecht zu qualifizieren. Kämpften Zugewanderte in den Mietstreiks um angemessene Wohnverhältnisse, tauchte dies in der administrativen Verordnung, ein Wohnraum von mindestens 12 m² pro Person müsse zur Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis gewährleistet werden, repressiv und restriktiv wieder auf. Forderten Migrantinnen und Migranten eine soziale Infrastruktur zur Artikulation und Repräsentation ihrer „Bedürfnisse“, schlägt sich dies in den 1970er Jahren in der institutionalisierten Form der „Ausländerpädagogik“ nieder, die „Ausländer“ als neues Klientel funktionalisiert.

Integration als Dispositiv verstanden ermöglicht es uns, in der theoretischen Anlage und folglich der Analyse drei Dimensionen zu verbinden, die diesen Begriff Michel Foucaults für eine Machtanalytik tauglich machen, um ein Netz zwischen Kräften, Praktiken, Diskursen, Macht und Wissen zu bezeichnen (vgl. Foucault 1999). Das Dispositiv der Integration desartikuliert die kollektiven Ansprüche, verschiebt sie hin zu individuellen Anpassungsleistungen der Migrantinnen und Migranten und reduziert sie auf Infrastrukturprobleme, denen am besten mit Rückkehrförderung beizukommen sei. Vor allem aber ist die Forderung nach gleichen Rechten aller im Dispositiv der Integration vollständig absorbiert. Auf die Fragen, die sich in den Kämpfen artikuliert haben, gibt das Dispositiv durch deren Reinterpretation entgegengesetzte Antworten und übersetzt die Forderung nach Kollektivrechten in individuell zu erbringende Leistungen. Die Bevölkerung erscheint auf dubiose Weise neu homogenisiert, Rechte und Pflichten scheinen neu verteilt. Dennoch bauen sich Asymmetrien erneut auf. Die ungleichen sozialen Positionen der verschiedenen „Partner“ korrespondieren mit dem Grad, nach dem ihnen politische und soziale Rechte vorenthalten bleiben. Das Recht, zumal es im Begriff der Integration vermittelt ist, kann so zwar niemals vollständig suspendiert sein, bleibt aber unrealisiert und daher seine Suspension ständig virulent. Die Einbettung in den nationalen Rahmen administrativer und zivilgesellschaftlicher Maßnahmen hat zu einer Stillstellung dieser Konjunktur autonomer Kämpfe der Migration beigetragen. Ausschließung und Integration drängten den möglichen Widerstand in den Hintergrund. In der Kompromissformel der Integration hat sich die in den Fabriken thematisierte Spaltung der Arbeiterklasse längst zu institutionalisieren begonnen. Die langsame Entstehung des staatlichen Integrationsdispositivs seit dem Beginn der 1970er Jahre trennt die Migrantinnen und Migranten vom historischen Prozess der Migration. Zugleich kann es als Versuch gedeutet werden, die Geschichte und Erinnerung jener Arbeitergeneration zu zerstören, die antirassistische Forderungen erhob und Erfahrungen im Kontext zahlreicher sozialer Auseinandersetzungen gemacht hatte. Die Kämpfe der Migration konnten niemals vollständig stillgelegt werden. Sie sollten fortan und in einem neuen Anlauf andere Wege finden, den Restriktionen der Einwanderungsgesetze und Aufenthaltsbedingungen, der Reorganisation des Produktionsprozesses und den rassistischen Diskriminierungen im Alltag zu begegnen. Ihre Geschichte, so weitgehend unbekannt wie sie bis heute geblieben ist, kann als Bestandteil der heutigen Situation gelten, sie gehört bereits zu unserer Erfahrung.


Literatur

Abdallah, Mogniss (2002): Kämpfe der Immigration in Frankreich: Übergänge in die Politik und soziale Transformationen. In: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 17(1), S. 101–124.

Bojadžijev, Manuela (2008/2012): Die windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration. Münster.

Demirovic, Alex/Bojadžijev, Manuela (Hrsg.) (2002): Konjunkturen des Rassismus. Münster.

Fathi, Ali (1996): Die bundesrepublikanische Einwanderungspraxis im europäischen Vergleich mit Großbritannien und Frankreich. Politische Ansichten von Berliner Einwanderern zur deutschen Einwanderungspraxis und zu den Auswirkungen der Vereinigung Europas. Berlin.

Foucault, Michel (1999): In Verteidigung der Gesellschaft. Frankfurt am Main.

Herbert, Ulrich (2001): Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge. München.

Mezzadra, Sandro/Neilson, Brett (2013): Border as Method, or: The Multiplication of Labor. Durham, North Carolina.

Morgenstern, Christine (2002): Rassismus – Konturen einer Ideologie. Einwanderung im politischen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland. Hamburg.

Samp, Kurt (1978): Weniger Rechte für Ausländer. Schubladenentwürfe des Bundesministeriums. In: express, Nr. 12, S. 4.

Vaneigem, Raoul (1995) [1963]: Basisbanalitäten II. In: Der Beginn einer Epoche. Texte der Situationisten. Hamburg, 122–148.

 

 

---

[1] Der Beitrag basiert auf den Überlegungen und Untersuchungen aus dem 2012 in zweiter Auflage (Erstauflage: 2008) erschienenen Buch der Autorin „Die windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration“ (Münster). Darin wurde neben einer Herausarbeitung der historischen Formen und Praktiken migrantischer Selbstorganisation in der Bundesrepublik Deutschland versucht theoretisch herauszuarbeiten, wie Rassismus historischen Konjunkturen (vgl. Demirovic/Bojadžijev 2002) unterliegt, die maßgeblich mit dem Widerstand gegen Rassismus zusammenhängen.

[2] Den Begriff der „Kämpfe der Migration“ habe ich der Arbeit Mogniss Abdallahs (vgl. etwa 2002) entlehnt. Er macht die Traditionen und Schwierigkeiten in den Selbstorganisierungen der Migrantinnen und Migranten (jenseits von Gewerkschaften, politischen Organisationen und Parteien) in Frankreich zum Hauptgesichtspunkt seiner Arbeit.