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06 1999

Objekte, die urteilen: Latours Parlament der Dinge

Scott Lash

Übersetzt von Therese Kaufmann

Für eine nichtmoderne Verfassung

Bruno Latour argumentiert für die Rechte des Objekts. Er ist der Sprecher des „Parlaments der Dinge“. Latour zufolge hat sich die Moderne – teilweise aufgrund ihres systematischen Hangs dazu, im Dualismus von Subjekt und Objekt zu denken – systematisch geweigert, den Rechten des Objekts Beachtung zu schenken. Er behauptet, dass wir zu einer Anerkennung der Rechte, der Autonomie und der Handlungsfähigkeit des Objekts gelangen können. Dies ist dann möglich, wenn wir erkennen, dass die moderne Form der Klassifizierung nie mit dem korrespondierte, was in Theorie und Praxis wirklich passierte, und nie von den Konsequenzen dieser Praktiken Notiz nahm. Latour vertritt die Ansicht, dass die „Moderne“ nie mehr war als eine Form der Klassifizierung, eine Form der Taxonomie oder besser eine Ideologie, die nachwies, wie wir klassifizierten und einordneten. Er glaubt, dass wir mit der althergebrachten soziologischen Chronologie brechen müssen, in der das wilde Denken (la pensée sauvage) primitiver Klassifizierungen durch ein dualistisches modernes Denken (la pensée moderne) moderner Klassifizierung ersetzt wird; dass wir uns stattdessen damit auseinandersetzen müssen, worin unsere sehr unmoderne Form der Klassifizierung besteht, und gleichzeitig erkennen müssen, dass wir nie modern gewesen sind.[1] Erst dann werden Rechte und Repräsentation, die Rechte zu sprechen und repräsentiert zu werden, dem Objekt zugestanden und von diesem behauptet worden sein.

Latour versteht die Moderne, ihre vormoderne Vorläuferin und ihre nichtmoderne Nachfolgerin im Sinne von sich unterscheidenden „Verfassungen“. Diese Verfassungen sind rechtliche Rahmenwerke, die oft nicht mit de facto-Praxen übereinstimmen. Es ist wichtig, festzuhalten, dass er hier von einer „Verfassung“ statt von einer Form der Klassifizierung spricht, und zwar weil es bei diesen Rahmenwerken nicht nur um Klassifizierung und Epistemologie geht, sondern auch um politische Repräsentation. Latour vertritt die Ansicht, dass diese Unterscheidung zwischen politischer und epistemologischer Repräsentation eine der tendenziösen Dichotomien der modernen Verfassung ist. Er ist nicht der Erste, der dies anmerkt. Gayatri Spivak weist in ihrem klassischen Text „Can the Subaltern Speak?“[2] auf den ideologischen Charakter dieser Dichotomie hin, die tatsächlich darauf abzielt, die Möglichkeit subalternen Sprechens zu einzuschränken.[3] Wie Spivak denkt Latour, dass der künstliche Dualismus der Moderne auf die Trennung dieser zwei Formen von „Repräsentation“ und „Delegation“ zurückgeht, d. h. einerseits der politischen Repräsentation in den Parlamenten und im Staat, andererseits der epistemologischen (oder klassifikatorischen) Repräsentation und Delegation in den Wissenschaften.

Latour spricht von modernen und nichtmodernen Verfassungen, von denen jede vier „Garantien“ hat. Es gibt auch den impliziten Begriff einer vormodernen Verfassung, doch würden deren weniger codierte Konventionen nicht den Garantien entsprechen. Jede dieser Verfassungen richtet sich an vier gleichsam ontologische Bereiche: Subjekt, Objekt, Sprache und Sein. Der Bereich des Subjekts ist auch jener der Gesellschaft, der Gemeinschaften, von Kultur und Staat; der Bereich des Objekts ist jener der Dinge, der Technologien, der Tatsachen und der Natur; der Bereich der Sprache umfasst diskursive Praxen, Vermittlung, Übersetzung, Delegation und Repräsentation; und der Bereich des Seins schließlich umfasst Gott und die Götter, die Unsterblichen, die totemisierten Vorfahren – die Fragen der Existenz. Für Latour muss die Verfassung jeder Epoche ihre Konventionen und Garantien in diesen vier ontologischen Bereichen haben.

Die vier Garantien der modernen Verfassung sind für Latour: (a) dass die Natur (also Dinge, Objekte) „transzendent“ ist, oder universell in Zeit und Raum; da, um entdeckt zu werden; (b) dass die Gesellschaft (das Subjekt, der Staat) „immanent“ ist, also fortlaufend „künstlich“ von BürgerInnen oder Subjekten hergestellt wird; (c) dass „Übersetzungsnetze“ zwischen diesen ersten beiden Bereichen „verbannt“ sind, d. h. die „Blockierung zwischen den beiden Regierungsgewalten“ gesichert ist; (d) dass ein „gesperrter Gott“ in einer „Schiedsfunktion“ dieses Dualismus wirkt.[4] Was nun eigentlich dieser konstitutionelle Dualismus im Gegensatz zum Gesetz ermöglicht und unterstützt, ist die Erfindung und Erneuerung einer Heerschar, einer Vermehrung von Quasi-Objekten, Hybriden, die die Kategorien und Garantien der Moderne komplett zerstören. Wir Modernen schließen unsere Augen vor der Hybridität der Maschinen, der Technologien und anderer Quasi-Objekte, vor den „Monstern“, die so geschaffen werden. Wir Modernen neigen dazu, sie in den konventionellen dualistischen Kategorien zu klassifizieren. Doch nichtsdestoweniger erschaffen wir diese Hybriden, diese Monster, in einem nie vorhergesehenen Ausmaß. Außerdem haben unsere dualistischen (antihybriden) Kategorien die Produktion und Erneuerung dieser sich massenhaft vermehrenden Quasi-Objekte begünstigt. Latour sagt, dass der Zeitpunkt gekommen ist, an dem diese Quasi-Objekte, Monster wie Gentechnologie, Elektronengehirne und Ozonschichten, so omnipräsent geworden sind, dass wir ihre Existenz nicht länger leugnen können. Wir sollten somit erkennen, dass wir nicht modern sind und es nie gewesen sind.

Der Punkt ist paradoxerweise, dass es dieser Dualismus ist, der die Vermehrung von Hybriden ermöglichte, die sein Prinzip zerstören. Lassen Sie uns dies genauer betrachten. Der zentrale Dualismus der Moderne besteht darin, dass die Natur transzendent ist, während Gesellschaft und Subjekt immanent sind. Transzendent zu sein bedeutet, nicht konstruiert zu sein, es bedeutet, universal zu sein in Zeit und Raum. Es bedeutet gewissermaßen, real wie im sozialwissenschaftlichen Realismus zu sein, objektiv wahr zu sein. Die Verfassung der Moderne geht davon aus, dass Natur, wissenschaftliche Tatsachen und Technologien und andere Objekte und Dinge in diesem Sinn transzendent sind. Allerdings hat z. B. die Wissenschaftssoziologie auf dessen mythischen Charakter hingewiesen, indem sie die Immanenz der Natur darlegte und bewies, wie Fakten und Theorien selbst konstruiert sind. Die Natur ist darüber hinaus nicht völlig transzendent, sondern auch zum Teil, im Sinne einer raumzeitlichen Universalität, immanent. Wissenschaftliche Theorien und Fakten verfügen nur über eine bestimmte zeitliche Dauer und einen bestimmten Grad an räumlicher Verbreitung. Die Verfassung geht davon aus, dass Gesellschaft und Subjekt im Sinne ihrer Konstruiertheit immanent sind und dass individuelle und kollektive Subjekte künstlich und deshalb fragil sind, dass sie nur einen Moment lang bestehen, den Moment ihrer Konstruktion. Die Wahrheit ist eine andere, behauptet Latour. Die Gesellschaft ist teilweise transzendent: Solche Kollektivitäten von Menschen sind über die Zeit vor allem dauerhaft „durch [die] Rekrutierung immer zahlreicherer nicht-menschlicher Wesen“[5], d. h. durch die Rekrutierung von Natur, Objekten, Dingen und Technologien. Deshalb ist das, was wie die transzendentalen Objekte (und die Natur) der Moderne aussieht, tatsächlich der Mix aus Transzendenz und Immanenz der Nichtmoderne; sie sind in der Tat nicht vollständige Objekte, sondern das, was Michel Serres „Quasi-Objekte“ nennt. Was aussieht wie die immanenten, ausschließlichen „Hier-und-Jetzt“-Subjekte (und Gesellschaften) der Moderne, ist selbst zum Teil transzendent durch die eigene erweiterte zeitliche Dauer und räumliche Reichweite: Sie sind nicht vollständige und immanente Subjekte, sondern teilweise transzendente „Quasi-Objekte“.

Die moderne Verfassung ist somit durch zwei Garantien für diese beiden getrennten Bereiche von Subjekten und Objekten, von Gesellschaft und Natur, gesetzgebend. Lassen Sie uns die dritte Garantie der Verfassung, in Bezug auf Sprache oder Diskurs, betrachten. Sie „verbietet“ die Existenz von „Übersetzungsnetzen“. Das bedeutet, dass Sprache, Repräsentation oder signifizierende Praktiken nur Teil der „Reinigungsarbeit“ sind, ohne jeden Bezug zur „Vermittlungsarbeit“. Auch diese Garantie hat den Raum für ihre eigene Zerstörung geöffnet. Deshalb hat die „offizielle Reinigungsarbeit“, obwohl sie letztere leugnet, „die inoffizielle (linguistische and darstellende) Arbeit der Vermittlung“ erlaubt. Die Annahmen der modernen Verfassung, dass „Wissenschaft und Technologie außerhuman“ sind, verschleiern tatsächlich die unterdrückte und inoffizielle Arbeit, die die „Zwischenglieder“, die weder völlig menschlich noch nichtmenschlich sind, vervielfachen.[6] Die benötigte Diskursform ist Latour zufolge eine „symmetrische Anthropologie“, ein Set sich einschreibender Praxen, die die Asymmetrien des Realismus ebenso wie des Konstruktivismus infrage stellen. Positivismus und Realismus blicken hier allein auf die Kausalität durch das transzendente Objekt, während der Konstruktivismus – inklusive der meisten anthropologischen und wissenschaftlichen Arbeiten – nur die Konstruktion durch immanente Subjekte betrachtet. Beide reproduzieren die Trennung der Bereiche. Latours symmetrische Anthropologie bietet der kausalen Handlung sowohl von Subjekten als auch von Objekten, bzw. von „Quasi-Subjekten“ und „Quasi-Objekten“, Platz.

Bei der Betrachtung von Latours Verfassung der Nichtmoderne werden wir feststellen, dass die Garantien in den dritten und vierten, also den diskursiven und existenziellen Bereichen – die Garantien in den Bereichen von Sprache, Gott und Religion – ebenso wichtig sind wie Garantien hinsichtlich der Subjekte und Objekte, der Gesellschaften und der Natur. Deshalb bestehen die Garantien der nichtmodernen Verfassung in den Bereichen eins und zwei in der „Untrennbarkeit von Quasi-Objekten und Quasi-Subjekten“: der Bevölkerung eines „dritten Stands“, dessen Platz sich zwischen dem Transzendenten und dem Immanenten befindet. In diesem Reich sind „Natur und Gesellschaft eine und dieselbe Produktion aufeinander folgender Zustände von Kollektiven, von Gesellschaften/Naturen“. Jede Institution, die „die kontinuierliche Entfaltung [solcher] Kollektive und ihr Experimentieren mit Hybriden“ stört, würde als schädlich angesehen. Nun ist die „Vermittlungsarbeit“ nicht länger marginalisiert, sondern sie wird „damit zum Zentrum“. Die Netze (von Quasi-Subjekten und Quasi-Objekten) „treten aus der Verborgenheit heraus“[7].

Der Bereich der Sprache ist ebenso wichtig. Diskurs in der Moderne bedeutet die Reinigung von Sprache, während der nichtmoderne Diskurs Praktiken der Vermittlung umfasst. Der Schlüssel zu einem nichtmodernen Gebrauch der Sprache liegt darin, die Verbannung der Übersetzungsnetze zu zerstören, das Verbot, „frei die Assoziationen kombinieren zu können“[8], zu beenden. Die Garantie der modernen Verfassung, dass Sprache Reinigungsarbeit leisten muss, „verbietet das Archaische“: Sie ist das Gesetz für das Vergessen von Geschichte. Die nichtmoderne Verfassung wird es der Sprache ermöglichen, Geschichte in einer Zusammenstellung neuer Assoziationen, die das Archaische und das Neue verbinden, zurückzubringen. Was schließlich die Existenz anbelangt, so teilte die moderne Verfassung Gott einem ausschließlich heiligen Bereich zu, während die anderen drei Bereiche sicher im Profanen situiert wurden. In der vierten Garantie wird die Nichtmoderne dem faustischen Subjekt entgegenwirken, indem sie die Götter zurück in den Bereich des Profanen bringt. Die nichtmoderne Verfassung bringt Gott, das Religiöse, das Sein und das Existenzielle direkt zurück in dieses Reich der Mitte der Quasi-Objekte, Quasi-Subjekte, Hybriden und Netze. Diese Maßnahmen zur Wiedererlangung von Geschichte und Sein, ebenso wie die Anerkennung der raumzeitlichen Dauer und der teilweise transzendenten Natur des Reichs der Mitte, werden die „wahnsinnige Vermehrung“ der Hybriden ersetzen; sie werden durch „ihre geregelte und gemeinschaftlich entschiedene Produktion“ zu einer „ausgeweiteten Demokratie“[9] führen. Somit wird in der nichtmodernen Verfassung das vorher faustische Subjekt in einer neuen Bescheidenheit, einer neuen Endlichkeit wiederhergestellt.

Latours nichtmoderne Verfassung besteht aus „Aktanten“. Der Begriff des Aktanten stammt von Benevistes Theorie der Erzählung. Menschen und Nichtmenschen spielen die Rollen in diesen Erzählungen. Insofern als sie solche Rollen spielen, sind sie „Aktanten“ im Narrativ. Latours nichtmoderne Quasi-Objekte und Quasi-Subjekte und sogar seine Diskurse fungieren als solche Aktanten. „Der Diskurs ist […] eine Population von Aktanten, die sich mit den Dingen und Gesellschaften mischen […].“[10] Diese Aktanten – diese Monster, diese Hybriden, die das Reich der Mitte bevölkern – übersetzen, vermitteln und erweitern die Netze, sie „bahnen Netze“: Sie bilden „Akteur-Netzwerke“. Manchmal spricht Latour von verschiedenen Typen von Aktanten: Quasi-Subjekten, Quasi-Objekten, Diskursen und sogar „existenziellen“ Aktanten. Aber grundsätzlich bestehen nichtmoderne (ebenso wie vormoderne) Aktanten aus vier verschiedenen Repertoires, vier Arten „ontologischer Substanz“. Jedes dieser Monster, jeder dieser Aktanten umfasst Subjektressourcen, Objekt-(oder Natur-)Ressourcen, Diskursressourcen und existenzielle Ressourcen. Und jeder besteht aus jeweils verschiedenen Maßnahmen. Deshalb sind Maschinen Hybriden mit den akzentuierten Ressourcen des Quasi-Objekts oder haben Gedichte als Aktanten die prononciertesten linguistischen und existenziellen Ressourcen.[11] In der Moderne nahm jede dieser Ressourcen einen eigenen Bereich ein. Gott ist von der Welt „gesperrt“ und nur in der Reformation (und Gegenreformation) wirklich transzendent: Gott war zu diesem Zeitpunkt getrennt und völlig unterschieden vom Sozialen, von Natur und Sprache. Subjekt und Objekt übernahmen ihre Autonomie, ebenso wie die Sprache, wie wir in den verschiedenen Theorien der Semiotik – von Saussure bis zu Peirce und sogar Barthes – und ihren Annahmen über die Autonomie des Signifikanten sehen können. Dem folgte eine weitaus weniger differenzierte vormoderne Verfassung, in der die „Vormodernen die Mischwesen aus Göttlichem, Menschlichem und Natürlichem mit Begriffen sättigen“[12]. Dies kennt man gut von den klassischen Theorien der Modernisierung. Doch Latour stellt die nächste Frage: Was ermöglicht die Entstehung dieses hybriden, sich vermehrenden Dualismus im Westen? Seine Antwort auf die Frage der „großen Trennung“ besteht darin, dass wir im Westen die einzige Kultur sind, die „die Natur mobilisiert. Nicht allein […] ein Bild oder eine symbolische Repräsentation der Natur, sondern die Natur als solche; oder zumindest die Natur, wie die Wissenschaften sie kennen […]“[13]. Deshalb schreibt Lévi-Strauss, dass das wilde Denken „auf dem Umweg der Kommunikation zur physischen Welt Zugang findet“, während der Westen „auf dem Umweg der Physik zur Welt der Kommunikation Zugang findet“. Das wilde Denken zuerkennt „zugleich physische und semantische Eigenschaften“ und nimmt „bloße Manifestationen des physischen Determinismus fälschlich für Nachrichten“; es behandelt „die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften des Tier- und Pflanzenreichs […], als seien es Elemente einer Nachricht“, es entdeckt dabei „Signaturen“, also „Zeichen“, in ihnen.[14]

 
Wesen, die Morphismen verweben und Objekte verfolgen

Latour ist kein Konstruktivist. Für ihn fällt der Konstruktivismus unter dieselbe alte Verfassung wie der Realismus. Latour unterscheidet sich in zwei Ansätzen vom Konstruktivismus. Erstens versteht er Objekte weniger als durch Subjekte verursacht, sondern sieht sie als Träger bestimmter Eigenschaften von Subjekten. Objekte verfügen für ihn somit über eine Handlungsfähigkeit: nicht eine kausale Handlungsfähigkeit wie im Naturalismus, sondern eher die Form der Handlungsfähigkeit, über die Subjekte verfügen. Sie haben Rechte, Pflichten, können urteilen, ermessen, vermitteln. Geradeso wie Subjekte. Somit sind Latours Objekte nicht primär durch Subjekte verursacht, sondern Subjekten ähnlich. Zweitens ist Latour nicht ausschließlich Wissenschaftssoziologe. Er ist Wissenschafts- und Technologiesoziologe. In seinem Vergleich von Hobbes und Boyle konzentriert er sich z. B. nicht auf Boyles Theorie, sondern auf die Luftpumpe, auf die Technik, die die Theorie vermittelt. Dasselbe gilt für seine Arbeit zu Pasteur: Es geht vor allem um das Labor, nicht um die wissenschaftlichen Fakten. In ähnlicher Weise hat sich Michel Callon auf die Texte konzentriert, die über das Experiment geschrieben wurden.[15]

Nun hatten Technologien nie den transzendentalen Status, den Wissenschaft und wissenschaftliche Fakten und Theorien besaßen. Technologien konnten immer sehr schwer auf die Pole Subjekt und Objekt beschränkt werden. Früher wurden sie mit Mühe, wie beispielsweise im „Technikdeterminismus“, auf die Objektrolle reduziert. Aber mit der wachsenden Bedeutung der Gen- und Informationstechnologien ist dies kaum mehr möglich. Technologien sind zunehmend hybrid geworden: weder Subjekt noch eindeutig Objekt. Die WissenschaftssoziologInnen mögen durch die konstruktionistische Möglichkeit versucht sein, aber Latour als Wissenschafts- und Technologiesoziologe kann nicht länger Konstruktionist sein. Er muss nichtmodern sein.

Latours Objekte sind also nicht nur konstruiert. Sie selbst verursachen weniger, als sie selbst konstruieren. Sie konstruieren durch „Vermittlung“ und „Delegation“. Wie versteht Latour das? Er versteht menschliche soziale Praktiken, in den Wissenschaften und im Alltag, als Prozess der „Sortierung“. Dies erinnert an Durkheims, Mauss’ und Bourdieus Verständnis von Menschen als „klassifizierende Tiere“, was Kants dritte Kritik in Erinnerung ruft, in der das bestimmende Urteil eine (sehr bedeutsame) Form des reflexiven Urteils ist. Das bestimmende Urteil ist besonders wichtig für Latours moderne Verfassung, deren „Reinigungsarbeit“ darin besteht, „die Hybriden [zu] zivilisieren“, zu „reinigen“, indem sie gewaltsam entweder der Gesellschaft oder der Natur zugewiesen werden. Latour verlangt, dass wir diese Form dualistischer Vermittlung als nur eine Vermittlungsform ansehen und dass der Mensch oder anthropos nicht länger als reines, bestimmt urteilendes Subjekt gegenüber einem Sartre’schen „Praktisch-Inerten“ definiert werden darf, sondern der Humanismus stattdessen mit unserer nichtmodernen Vermittlungsarbeit zu tun hat. Menschen sind nach Latour „Analogie-Maschinen“. Der Mensch ist ein Weber von Morphismen: Nicht nur des Anthropomorphismus, sondern auch von „Zoomorphismen, Theomorphismen, Technomorphismen und Ideomorphismen“. Wir benützen Nichtmenschen nicht nur als Repräsentationen oder Analoga, die Nichtmenschen selbst werden zu Analogie-Maschinen, werden selbst zu Webern von Morphismen. Der klassische Humanismus hat herkömmlicherweise die Dinge ihrer Macht beraubt, sie als „Delegationen und Sendungen“ ausgeschaltet. Aber der nichtmoderne Humanismus „teilt sich“ mit diesen „anderen Mandaten“, durch die „Umverteilung des Handelns auf alle Mittler“. „Das Menschliche“, fährt Latour fort, „ist gerade in der Delegation, im Pass, in der Sendung, im ständigen Austausch von Formen.“ „Die menschliche Natur ist die Gesamtheit ihrer Delegationen und Repräsentanten, ihrer Gestalten und Boten.“[16]

Das ist meines Erachtens der Schlüssel zu Latours Theorie und zu seinem Buch. Er sagt, dass die Objekte selbst Richter sind; die Objekte selbst fällen ein reflexives Urteil und weben Morphismen. Einen Morphismus zu weben bedeutet mehr, als nur zu repräsentieren: Es bedeutet auch „Pass“, „Sendung“. In der Sprache der Computergrafik heißt es, „etwas zu morphen“, die Gestalt zu verändern,[17] es heißt also, den eigenen Morphismus zu schaffen und dann zu kommunizieren. Durch diese Kommunikation wird ein Netz oder Netzwerk gewoben. Für Latour bedeutet das Urteil immer auch die Kommunikation dieses Urteils, es ist nie reine Repräsentation oder reine Tatsache. Es ist eine Aussage und deren Sendung. In seinen Auswirkungen ist es mehr Sprechakt als bloße prädikative Äußerung. Es ist parole, nicht verstanden als Rede, sondern als Mitteilung: Sie schließt die Sendung immer mit ein. Und die Sendung webt ein Netz, hilft, ein Netzwerk zu bauen. Hier gehören die Quasi-Objekte zu den wichtigsten „Mittlern“. Vermittlung selbst bedeutet natürlich weitaus mehr als nur Repräsentation. Repräsentation umfasst die in der Bildhauerei, Malerei, dem Roman, dem Gedicht entstehenden Praktiken. Selbst der Film ist mehr Repräsentation als Vermittlung. Aber charakteristischerweise brechen die spätmodernen globalen kulturellen Formen mit der Logik der Repräsentation. Oder, eher noch, kann diese spätmoderne Kultur, die zu Recht im Sinne von „Medien“ verstanden wird, nie repräsentieren ohne Sendung, ohne Vermittlung oder Kommunikation. Tatsächlich haben heutige „Ökonomien der Zeichen und Räume“, vor allem in ihrer Informationskapazität, viel mehr mit Vermittlung als mit Repräsentation zu tun. Das Primat der Vermittlung hat in der zeitgenössischen Kultur jenes der Repräsentation ersetzt. Die zeitgenössische Kultur ist also eine Kultur der Bewegung. Eine Kultur sich bewegender (Quasi-)Objekte.

Hier könnte sich Latours Ansatz in einem Widerspruch auflösen. Obwohl wir in seiner nichtmodernen Utopie zu dem Verständnis gelangen, dass wir und die nichtmenschlichen Wesen Analogie-Maschinen sind, reflexiv urteilende Entitäten, verlangt er von uns als SozialwissenschaftlerInnen nicht, dies zu tun. In diesem Sinn glaube ich, dass seine Theorie selbst nicht ausreichend reflexiv ist, d. h. auf sich selbst nicht ohne Widersprüche angewendet werden kann. Latour verlangt von uns als SozialwissenschaftlerInnen in der Nichtmoderne nicht, reflexiv zu urteilen und zu senden, sondern stattdessen „der Spur des Objekts zu folgen“. Ich behaupte, dass kulturelle Aktivitäten analogen Urteilens nicht für die Nichtmoderne, sondern für die Moderne typisch sind. Latour erkennt das, sagt aber dann, dass wir dies mit einer dualistischen Ideologie des bestimmten (logischen) Urteilens zudecken würden. Doch im Prozess der Bewegung in die zunehmende Hybridität der Ordnung globaler Information könnten wir uns in einer vollkommen anderen Gesamtheit kultureller Praktiken wiederfinden: Wir betreiben „Objekt-Suche“.[18] Versichernd, dass Aktanten gleichzeitig real, sozial und diskursiv sind, ermutigt uns Latour, „alle […] Ressourcen zusammenzuführen und gemeinsam einzusetzen, um die Quasi-Objekte […] zu verfolgen“. Er ermutigt uns, beim Reich der Mitte der Monster und Hybriden zu beginnen und sie zu verfolgen, um zu sehen, wie sie als immanent oder transzendent vergegenständlicht wurden. Wenn wir dem Objekt folgen, entdecken wir das Netzwerk. Er pflichtet Michel Callons Diktum bei, dass wir uns „in die mittlere Position versetzen, wo [wir] gleichzeitig die Zuschreibung der nicht-menschlichen und der menschlichen Eigenschaften verfolgen“ können. [19] Dass wir so die Arbeit der Vermittlung verfolgen, wie Quasi-Objekte im Reich der Mitte als Subjekte und Objekte stabilisiert werden. Er sagt, dass wir die Arbeit der Vermehrung der Hybriden verfolgen und die Quasi-Objekte oder Netzwerke beschatten sollten.[20]

Dieses „Beschatten“ oder Verfolgen klingt viel mehr nach der Arbeit eines Detektivs als nach der eines Richters. Und vielleicht ist es genau das, worum es im Zeitalter globaler Informationskultur geht. Wir Nichtmodernen sind vielleicht überhaupt nicht „Richter“, sondern „Sucher“, „Verfolger“. Wir befassen uns weniger mit Repräsentation als mit Sendung, mit dem Signal. Wir sind nicht länger Vormoderne des Symbolischen, nicht ikonisch wie die Modernen, sondern haben uns in eine indexikalische Ordnung der Nichtrepräsentation bewegt. In der wir dem Objekt folgen. In der nicht nur SozialwissenschaftlerInnen, sondern alle „Verfolger“ sind. Ob wir im Netz oder in 500 Kanälen surfen, Hypertext freilegen oder die Türen und Schubladen in interaktiven Grafiken auf CD-ROM öffnen, in jedem Fall geht es weniger um Repräsentation oder das Symbolische als um Information und Sendung. Wir folgen dem Netzwerk durch die Website. Dort gibt es weder Auralität (das Symbolische) noch Vision (das Ikonische), sondern Taktilität, Indexikalität im Zentrum des Signals und der Informationsökonomie.[21] Nicht nur wir verfolgen die Objekte, zeichnen ihre Netzwerke nach. Wie wir im Kapitel über Virilio sehen,[22] kann das Objekt uns verfolgen. Die Netzwerke können unser Gefängnis sein. In meiner Auseinandersetzung mit Benjamin[23] geht es um die Objektsuche als allegorische und metonymische Praxis, indem wir Objekte reflexiv der zeitgenössischen Kultur entnehmen und dann in unsere eigene allegorische Ordnung wieder einbetten, eine Ordnung, die nicht- und postnarrativ ist. Eine Ordnung der Suche, des Verfolgens, die weniger mit der Repräsentation eines linearen Narrativs oder sogar der Problematisierung von Repräsentation durch ein nichtlineares Narrativ zu tun hat, sondern stattdessen mit der Irrelevanz von Repräsentation: der Irrelevanz des Narrativs. Es hat mit dem zu tun, was Lefebvre einen „Weg“ nennt, einen materiellen Weg, einen indexikalischen und taktilen Weg, dem wir folgen, den wir dann verlassen und wieder aufnehmen. Vielleicht produzieren wir auf diese Weise Sinn und Bedeutung in der zeitgenössischen Kultur. Wobei festzustellen ist, dass wir die meiste Zeit durch Praxen der Orientierung Sinn produzieren, die keine Bedeutungsproduktion mit sich bringen. Wir Nichtmodernen sind nicht Vermittler, sondern materialistische „Verfolger“, Spurensucher. Wir finden nicht Kant’sche Regeln, sondern „Wege“. Wir schaffen unsere Hybriden nicht durch Vermittlung als Analogie-Maschinen, sondern als „Verfolger“, als AllegoristInnen.

 
Dieser Text erschien im Original in Scott Lash, Another Modernity, a Different Rationality, Oxford, Malden/Mass.: Blackwell 1999, S. 312–338. Mit freundlicher Genehmigung durch den Verlag.



[1] Bruno Latour, Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Berlin: Akademie-Verlag, 1995. Die „Soziologie (und Anthropologie) der Dinge“ hat eine beachtliche Tradition. Da ist natürlich die Gegenüberstellung von Gebrauchswert und Tauschwert bei Marx zu nennen. Es gibt etwas unvermindert Dinghaftes in Durkheims „sozialer Tatsache“, die ebenso Ding wie Struktur ist. Mauss’ Gabe lieferte in gewisser Weise die stärkste Basis für diese Analytik der Dinge. Marx’ Gebrauchswert versus Tauschwert folgt stark dem Kant’schen Rahmen von Zweckmäßigkeit versus Instrumentalität. Ebenso ist dies in der gegenwärtigen Anthropologie der Dinge bei Appadurai und Kopytoff in deren Gegenüberstellung von „Singularität“ und „Ware“ der Fall. Vgl. Arjun Appadurai, „Commodities and the Politics of Value“, in: Ders. (Hg.), The Social Life of Things: Commodities in Cultural Perspective, Cambridge: Cambridge University Press, 1986; Igor Kopytoff, „The Cultural Biography of Things: Commoditization as Process“, in: Ebd. Allerdings bricht das anthropologische Argument stark mit den transzendentalen und universalistischen Annahmen des Marxismus und bei Kant und wendet sich hin zu symbolischen Werten für spezifische Kulturen. Dementsprechend können auch Daniel Millers „Analysen materieller Kultur“ in etlichen seiner Bücher verstanden werden, z. B. in A Theory of Shopping, Cambridge: Polity Press, 1998.
Die Logik des vorliegenden Texts bricht radikal mit diesen aporetischen Gegenüberstellungen, selbst mit einer Aporie der Geschenkgesellschaft versus Tauschgesellschaft. Die Inspiration dafür kommt teilweise von Baudrillard. Nicht von Baudrillards Nostalgie für den Mauss’schen symbolischen Tausch, sondern von seiner Theorie des Objekts. Und vor allem von seinem Konzept des Objekts, das einerseits nicht kenntlich ist für das Subjekt und folglich keine Instrumentalität darstellt; sondern ein Objekt, das auch und ausdrücklich keine Finalität ist. Daher rührt auch die Bedeutung des Konzepts der Umkehrbarkeit für Baudrillard. Was keine Finalität darstellt, ist für ihn umkehrbar. Baudrillards Objekt verführt. Finalitäten verführen nicht. Sie sind erhaben oder schön, aber sie verführen nicht. Vom Erhabenen zu sprechen bedeutet immer noch, die Sprache der Aporetik zu sprechen. Das Erhabene ist integraler Bestandteil der zweiten Moderne, nicht der globalen Informationskultur. Der „Zeichen-Wert“ verführt. Der Zeichen-Wert hat nichts zu tun mit dem mit Konsum verbundenen Zustand. Baudrillards Konsumkultur ist eine Kultur der Verführung. Sie ist keine Kultur der Kommodifizierung. Baudrillard verweigert die Analysen der kritischen Theorie der Massengesellschaft auf der Basis der Gegenüberstellung von Ware und Nutzwert oder Entfremdung und Authentizität. Die Quasi-Objekte in Latours Akteur-Netzwerk-Theorie sind ebenso eindeutig keine Finalitäten. Und auch keine Instrumentalitäten. Sie vermitteln, sie urteilen, sie sprechen. Vgl. Jean Baudrillard, Von der Verführung, München: Matthes & Seitz, 1992; „Dead Symbols“, Interview mit Jean Baudrillard, in: Theory, Culture & Society 12, 4, 1995.

[2] Im engl. Original „Let the Subaltern Speak“; der Titel des einflussreichen Texts von Spivak lautet hingegen „Can the Subaltern Speak?“ (Anm. d. Ü.).

[3] Gayatri Spivak, „Can the Subaltern Speak?“, in: Cary Nelson/Lawrence Grossberg (Hg.), Marxism and the Interpretation of Culture, Champaign-Urbana: University of Illinois Press, 1988, S. 271–313 (dt.: Gayatri Chakravorty Spivak, Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation, Vorwort: Hito Steyerl, übersetzt von Alexander Joskowicz und Stefan Nowotny, Wien: Turia + Kant, 2007).

[4] Latour, Wir sind nie modern gewesen, S. 185 f.

[5] Ebd., S. 185; vgl. auch Donna Haraway, Modest_Witness@Second_Millennium.FemaleMan©_Meets_OncomouseTM, London: Routledge, 1997. In ihrer Konzentration auf Mikroben, Einheiten genetischer Information etc. verknüpft Haraway anders als Latour ihren „Nichthumanismus“ mit einer systematischen Periodisierung von etwas, was eigentlich Wissensrahmen sind. Ihre aktuelle Periode, die von ihrem Denken über Mikrobiologie, Immunologie und genetisches Engineering abgeleitet ist, beläuft sich auf die systematische Formulierung eines Epistems, das eindeutig posterior zu Foucaults modernem Epistem ist. PhilosophInnen neigen dazu, bezüglich des Transzendentalen und des Universalen sowohl räumlich als auch zeitlich zu denken. AnthropologInnen denken oft in Bezug auf Differenz und Besonderheiten räumlich – also zwischen Kulturen –, aber in Bezug auf Universelles zeitlich. In diesem Sinn denkt Latour stark anthropologisch und behauptet, dass wir nie modern waren, sondern nur dachten, wir wären es. Und tatsächlich, wie wir heute sind, ist, wie wir immer waren. Haraway wird in ihrer Periodisierung hinsichtlich zeitlicher Differenz denken. Dies ist eine sehr soziologische Analyseform. Das einzige Problem ist, dass SoziologInnen, und die vorliegende Analyse ist keine Ausnahme, oft dazu neigen, die räumliche Differenz aus den Augen zu verlieren. Sie neigen dazu, zeitlich zu denken, aber eine Art westliches Modell über verschiedene Kulturen zu universalisieren.

[6] Latour, Wir sind nie modern gewesen, S. 176.

[7] Ebd., S. 186.

[8] Ebd., S. 188.

[9] Ebd., S. 189.

[10] Ebd., S. 122; vgl. Emile Beneviste, Problèmes de la linguistique générale, Paris: Gallimard, 1966.

[11] Vgl. Latour, Wir sind nie modern gewesen, S. 120 f.

[12] Ebd., S. 59.

[13] Ebd., S. 131.

[14] Ebd., S. 131 f.

[15] Vgl. Michel Callon, „Techno-Economic Networks and Irreversibility“, in: John Law (Hg.), A Sociology of Monsters, London: Routledge, 1991, S. 132–164. Werner Rammert liefert Elemente einer allgemeinen soziologischen Theorie der Technik. Er stellt fest, dass die Verweigerung der Technikdeterminiertheit zu einem vollständigen Vergessen der Technik in den Sozialwissenschaften geführt hat. Wie Heidegger geht er von der Idee der Technik im Sinne der vier Ursachen bei Aristoteles aus. Rammert lehnt Heideggers Definition des Wesens der Technik ab, das die Bedeutung des Seins zugleich versteckt und hervorbringt. Er argumentiert stattdessen soziologisch für die Differenzierung von Technik in verschiedenen gesellschaftlichen Situationen. Beeinflusst von Latour und der Wissenschaftssoziologie, verzichtet er nichtsdestoweniger auf einen radikalen Konstruktivismus zugunsten eines pragmatischen Technikbegriffs. Dies ist ein Dewey’scher, stark eingebetteter und praxisorientierter Technikbegriff. Rammert weist auf die historische Entwicklung des Technikbegriffs als Substanz zur Funktion in der westlichen Philosophie hin. Er ist mit keinem der beiden einverstanden und ersetzt den modernen funktionalistischen Schwerpunkt des „Zweck-Mittel-Konzepts“ durch seinen pragmatischen Schwerpunkt des „Medium-Form-Verhältnisses“. Technik wird hier zu einer Vermittlerin, die nicht notwendigerweise nur ein Mittel ist, sondern ein Medium. Und der Unterschied zwischen den Medien ist in diesem Kontext von größter Bedeutung. Dies gilt besonders für die Differenz zwischen biologischen Körpern, physischen Dingen und symbolischen Zeichen in der heutigen Informationsgesellschaft. Dieses Modell ist von großem potenziellem erklärendem Wert für die Unterscheidung von Technik in der Industriegesellschaft und der Informationsgesellschaft ebenso wie für die Analyse von Biotechnologie, Hochtechnologie etc. in unserem – nach Rammert – zunehmend durch die Technik vermittelten gesellschaftlichen Leben. Vgl. Werner Rammert, „Die Form der Technik und die Differenz der Medien: Auf dem Weg zu einer pragmatischen Techniktheorie“, in: Ders. (Hg.), Technik und Sozialtheorie, Frankfurt a. M. 1998, S. 293–320, 318 ff.

[16] Latour, Wir sind nie modern gewesen, S. 175, 183 f.

[17] Ich danke Vivian Sobchack für die Gespräche über das Thema. Vgl. Vivian Sobchack (Hg.), Cinema, Television and the Modern Event, New York: Routledge, 1996.

[18] Die Anthropologie der Dinge mit ihren Gegensätzen von Singularität und Ware neigt zu einer Wiederholung der Kant’schen Aporie. Daniel Millers Modernity, an Ethnographic Approach: Dualism and Mass Consumption in Trinidad, Oxford: Berg, 1994, beginnt damit, diesen Dualismus infrage zu stellen. Howard Morphy öffnet in seiner Arbeit über westliche und afrikanische Kunst diese Kategorien radikal, indem er das Objekt nicht nur als Singularität versus Ware versteht, sondern auch als Artefakt, Kunst etc. Vgl. Howard Morphy, Aboriginal Art, London: Phaidon, 1998.

[19] Latour, Wir sind nie modern gewesen, S. 92, 129.

[20] Ebd., S. 92.

[21] Sherry Turkle, Life on the Screen, London: Weidenfeld and Nicholson, 1996.

[22] Vgl. das Kapitel „Bad Objects: Virilio“ in: Scott Lash, Another Modernity, a Different Rationality, Oxford, Malden/Mass.: Blackwell, 1999, S. 285–311.

[23] Vgl. das Kapitel „The Symbolic in Fragments: Walter Benjamin’s Talking Things“ in: Ebd., S. 312–338.

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