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01 2006

Notizen zur Institutionskritik

Simon Sheikh

Translated by Hito Steyerl

Der Begriff der „Institutionskritik“ scheint auf eine direkte Verbindung zwischen einer Methode und einem Objekt hinzuweisen: Die Methode ist dabei die Kritik und das Objekt die Institution. In der ersten Welle der Institutionskritik der späten 1960er und frühen 1970er – die schon seit langem von der Kunstgeschichte gefeiert wird und an sie verwiesen wurde – konnten diese Begriffe offensichtlich noch konkreter und enger definiert werden; die kritische Methode war eine künstlerische Praxis, und die Institution, um die es ging, war die Kunstinstitution, vor allem das Kunstmuseum, aber auch Galerien und Sammler. Institutionskritik nahm auf diese Weise viele verschiedene Formen an, etwa Kunstwerke und Interventionen, kritische Schriften oder (kunst-)politische Aktivismen. In der so genannten zweiten Welle, die in den 80ern begann, wurde der institutionelle Rahmen allerdings etwas erweitert, um die Rolle des Künstlers oder der Künstlerin (das Subjekt, das die Kritik ausübte) als institutionalisierte ebenso mit einzuschließen wie eine Untersuchung anderer institutionalisierter Räume (und Praxen) außerhalb des Kunstraums.[1]

Beide Wellen sind heute selbst Teil der Institution Kunst, in Form der Kunstgeschichte und -ausbildung ebenso wie in einer allgemeinen entmaterialisierten und post-konzeptuellen Kunstpraxis der Gegenwartskunst. Es ist hier jedoch nicht mein Ziel, den Sinn der Institutionskritik als eines historischen Kanons zu diskutieren oder zu erschließen, noch auch am Schreiben eines solchen Kanons teilzunehmen (ich werde dieses Unternehmen respektvoll den Texte zur Kunst- und October-Magazinen dieser Welt überlassen). Stattdessen möchte ich auf eine Übereinstimmung zwischen beiden Wellen hinweisen, die die gegenwärtige „Wiederkehr” der Institutionskritik drastisch verändert zu haben scheint, die eine dritte Welle darstellen mag oder auch nicht. In jeder der historischen Formen ihres Auftauchens war Institutionskritik eine Praxis, die meistens, wenn nicht ausschließlich, von Künstlern und Künstlerinnen ausgeübt wurde und gegen die (Kunst-)Institutionen gerichtet war, und zwar als eine Kritik ihrer ideologischen und repräsentativen sozialen Funktion(en). Kunstinstitutionen, die das Werk der KünstlerInnen enthielten oder auch nicht, wurden in den Worten Robert Smithsons als Räume kultureller Einsperrung und Festschreibung wahrgenommen und daher als etwas, das ästhetisch, politisch und theoretisch anzugreifen war. Die Institution wurde als Problem (für Künstler und Künstlerinnen) dargestellt. Im Gegensatz dazu scheinen die institutionskritischen Diskurse der Gegenwart vor allem von KuratorInnen und DirektorInnen derselben Institutionen propagiert zu werden, und sie optieren eher für als gegen sie. Das heißt, sie stellen keine Anstrengung dar, gegen die Institution zu opponieren oder sie sogar zu zerstören, sondern zielen eher auf deren Veränderung und Festigung. Die Institution ist nicht nur ein Problem, sondern auch eine Lösung!
Es gab also eine Verschiebung in der Verortung von Institutionskritik, nicht nur im historischen Zeitablauf, sondern auch hinsichtlich der Subjekte, die die Kritik inszenieren und ausüben – sie hat sich vom Äußeren ins Innere verschoben. Interessanterweise hat Benjamin Buchloh den historischen Moment der Konzeptkunst als eine Bewegung von der Institutionskritik und der „Ästhetik der Administration zur Kritik der Institution“ beschrieben, und zwar in einem berühmten und kontroversen Essay, der bezeichnenderweise „Conceptual Art 1962–1969: From the Aesthetics of Administration to the Critique of Institutions“ hieß. Während Buchloh sich auf das Auftauchen des Konzeptualismus konzentriert, ist seine suggestive Unterscheidung heute, da die Institutionskritik buchstäblich von ästhetischen AdministratorInnen, das heißt MuseumsdirektorInnen, KuratorInnen usw. ausgeübt wird, zutreffender denn je.[2] Andrea Fraser geht, indem sie den Ball von Buchloh aufnimmt, noch einen Schritt weiter. In ihrem kürzlich geschriebenen Essay „From the Critique of Institutions to an Institution of Critique“, behauptet sie, dass eine Bewegung zwischen dem Inneren und dem Äußeren einer Institution nicht länger möglich ist, da die Strukturen der Institution völlig internalisiert wurden. „Wir sind die Institution“, schreibt Fraser und schließt daraus, dass es eher darum geht, kritische Institutionen zu schaffen – die sie „eine Institution der Kritik“ nennt, die durch Selbstbefragung und Selbstreflexion entsteht.[3] Fraser schreibt auch, dass Kunstinstitutionen nicht als autonomes Feld gesehen werden sollten, das vom Rest der Welt getrennt ist, in dem selben Sinn, in dem „wir“ nicht von der Institution getrennt existieren.

Während ich sicherlich jedem Versuch zustimmen würde, Kunstinstitutionen als Teil eines größeren Ensembles sozioökonomischer und disziplinarischer Räume zu sehen, bin ich nichtsdestotrotz verwirrt vom gleichzeitigen Versuch, die Kunstwelt in das gegenwärtige (politisch-ökonomische) Weltsystem zu integrieren und gleichzeitig auf einem „Wir“ des Kunstfelds selbst zu beharren. Wer ist genau dieses „Wir“? Wenn die Kunstwelt als ein Teil einer generellen Institutionalisierung sozialer Subjekte (die ihrerseits die Institution internalisieren) wahrgenommen wird, was und wo sind dann die Demarkationslinien, die über Einlass, Sichtbarkeit und Repräsentation bestimmen? Wenn eines der Kriterien für Institutionen durch die Ausschlüsse gegeben ist, die durch sie vorgenommen werden (wie sie jeder Sammlung inhärent sind), dann ist die Frage die, welche Subjekte außerhalb der Institutionalisierung verortet werden, nicht etwa durch einen bewussten Akt oder Exodus, wie bestimmte Kunstbewegungen dachten und wünschten, sondern durch jene Ausschlüsse im Zentrum der Institutionen, die es ihnen erlauben, sich selbst zu institutionalisieren. Offensichtlich würde dies einen erweiterten Begriff von Institutionskritik erfordern, der irgendwie außerhalb der Geschichte der Institutionskritik liegt, so wie sie hier diskutiert wird.

Um also zum Thema zurückzukehren, nämlich der Institutionskritik als einer Kunstpraxis: Was heißt es, wenn die Praxis der Institutionskritik und -analyse sich von KünstlerInnen auf KuratorInnen und KritikerInnen verschoben hat und wenn die Institution von KünstlerInnen und KuratorInnen gleichermaßen internalisiert wurde (durch die Ausbildung, durch den kunstgeschichtlichen Kanon, durch tägliche Praxis)? In Begriffen der negativen Dialektik analysiert, würde dies die totale Kooptierung der Institutionskritik durch die Institutionen bedeuten (und in Implikation und Erweiterung: die Kooptierung des Widerstands durch die Macht) und so die Institutionskritik als kritische Methode völlig obsolet machen. Institutionskritik als kooptierte wäre wie ein Bakterium, das den Patienten – die Institution – zeitweilig geschwächt haben mag, aber nur um das Immunsystem dieses Patienten auf lange Sicht zu stärken. Diese Schlussfolgerung hinge jedoch von Vorstellungen von Subjektivitäten, Handlungsfähigkeiten und Räumlichkeiten ab, die die Institutionskritik eigentlich dekonstruieren wollte. Sie würde implizieren, dass die historische Institutionskritik irgendwie „ursprünglich“ und „rein“ war, und so die Authentizität der Subjekte bestätigen, die sie ausübten (im Gegensatz zu den „institutionellen“ Subjekten), also in der Konsequenz eine der Ideen reaffirmieren, die Institutionskritik verhindern wollte, nämlich den Begriff von authentischen Subjekten als solchen (wie sie durch den oder die Künstlerin repräsentiert werden, der oder die durch die Institution verdinglicht wird). Wenn Institutionskritik tatsächlich ein Diskurs der Aufdeckung und Entmystifizierung der Art und Weise war, wie das künstlerische Subjekt ebenso wie der künstlerische Gegenstand von der Institution inszeniert und verdinglicht wurden, dann läuft jedes Narrativ, das bestimmte Stimmen und Subjekte (wieder) als authentisch voraussetzt, als mögliche Inkarnationen bestimmter Politik- und Kritikformen, nicht nur dem Projekt der Institutionskritik selbst zuwider, sondern käme auch ihrer ultimativen Kooptierung, oder genauer: ihrer feindlichen Übernahme gleich. Institutionskritik handelt letztendlich nicht primär von den Intentionalitäten und Identitäten von Subjekten, sondern von der Politik und den Einschreibungen von Institutionen (und daher auch davon, wie Subjekte immer schon von den Fäden spezifischer und spezifizierbarer institutioneller Räume durchzogen sind).

Stattdessen muss man versuchen, die Momente der Institutionskritik zu historisieren und danach Ausschau zu halten, auf welche Weise sie erfolgreich war, indem sie in die Ausbildung von KünstlerInnen und KuratorInnen integriert wurde, das heißt in das, was Julia Bryan-Wilson als „das Curriculum der Institutionskritik“ bezeichnet hat.[4] Institutionskritik wäre dann nicht als eine historische Periode oder als ein Genre innerhalb der Kunstgeschichte wahrzunehmen, sondern eher als ein analytisches Werkzeug, eine Methode räumlicher und politischer Kritik und Artikulation, die nicht nur auf die Kunstwelt angewendet werden kann, sondern auf disziplinäre Räume und Institutionen im Allgemeinen. Eine Institutionskritik der Institutionskritik, dessen, was als „institutionalisierte Kritik“ bezeichnet werden kann, muss demnach die Rolle der Ausbildung und Historisierung berücksichtigen sowie die Frage, wie institutionelle Selbstkritik nicht nur zur Befragung der Institution und dem, was sie instituiert, führt, sondern auch zum Kontrollmechanismus innerhalb neuer Formen der Gouvernementalität wird, und zwar genau durch diesen Akt der Internalisierung. Und dies ist der erweiterte Begriff von Institutionskritik, den ich oben kurz erwähnt habe und der das Vermächtnis der historischen Bewegungen ebenso sehr werden könnte wie eine Orientierung für das, was so genannte „kritische Kunstinstitutionen“ zu sein behaupten.



[1] Vgl.auch James Meyer: „Whatever Happened to Institutional Critique?“, der versucht, statt einer Kunstgeschichte der Institutionskritik eher eine Genealogie zu schreiben; wiederabgedruckt in Peter Weibel, Kontext Kunst, 1993.

[2] Vgl. Benjamin Buchloh, „Conceptual Art 1962–1969: From the Aesthetics of Administration to the Critique of Institutions“, in: October 55, 1990, 105–143. Eine gekürzte deutsche Version des Textes ist veröffentlicht als "Von der Ästhetik der Verwaltung zur institutionellen Kritik. Einige Aspekte der Konzeptkunst von 1962-1969", in Marie Luise Syring (Hg.),  Um 1968. Konkrete Utopien in Kunst und Gesellschaft, Köln: DuMont 1990, 86-99.

[3] Andrea Fraser, „From the Critique of Institutions to an Institution of Critique“, in: Artforum, September 2005, XLIV, No. 1, 278–283.

[4] Vgl. Julia Bryan-Wilson, „A Curriculum of Institutional Critique“, in: Jonas Ekeberg (Hg.), New Institutionalism, Oslo: OCA/verksted 2003, 89–109.