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12 2001

Fortschrittliche Stolpersteine. Oder was aus den programmatischen Überlegungen der "Kunst im öffentlichen Raum" in Hamburg seit "weitergehen" geworden ist.

Rahel Puffert

"weitergehen", unter diesem beziehungsreichen Titel startete die Kulturbehörde Hamburg, genauer: ihre Abteilung "Kunst im öffentlichen Raum", 1995 eine Projektreihe, zu der neun KünstlerInnen eingeladen wurden. Einzig noch immer fortdauernd, gut dokumnetiert, vielleicht auch am bekanntesten, fand auch der von Christoph Schäfer künstlerisch betreute und organisierte "Park Fiction" hier seinen Beginn. Wurde, wie berichtet [1], die konkrete Umsetzung der von den Bewohnern des Stadteils St. Pauli entwickelten Parkideen durch Sicherheits- und Ordnungsbedenken der Bezirks-PolitikerInnnen in den letzten Monaten blockiert, so soll laut eines jüngst erfolgten Senatsbeschlusses dem für Ende des Jahres anvisierten Baubeginn nichts mehr im Weg stehen. Immerhin. Und doch kein Grund, in Optimismus zu verfallen.

Denn seit einiger Zeit läßt sich auf kunstpolitischer Ebene in Hamburg eine merkwürdige Konfusion bemerken, die sich u.a. in Form von neuen Objekten im Straßenbild manifestiert. Erinnerungen an längst überwunden geglaubte Programmatiken der "Kunst im öffentlichen Raum" tauchten wieder auf und lassen fragen, in welche Richtung es nach "weitergehen" eigentlich weiterging und -geht.

Dabei war es nicht rein rhetorisch zu verstehen, wenn Hamburg sich selbstbewußt damit rühmte, Vorreiterin in Sachen "Kunst im öffentlichen Raum" zu sein, denn Spuren hinterliess das Engagement für diese Kunst bis in die behördliche Verwaltungsstruktur hinein.

Nach Bremen und Berlin reagierte 1981 auch die Hamburger Kulturbehörde auf die konzeptionellen Einschränkungen der sog. Kunst-am Bau-Regelung [2], und konnte einen eigens der "Kunst im öffentlichen Raum" vorbehaltenen Haushaltsposten durchsetzen, der ihr "das finanziell umfangreichste staatliche Auftragsprogramm für Kunst außerhalb der Museen" in der damaligen Bundesrepublik zusprach. Unabhängig von öffentlich geförderten Neubauten war es nun möglich, zusammen mit einer aus Experten zusammengesetzen Kunstkommission, Orte und Funktionen für die Kunst in der Stadt selbst zu bestimmen. Neben der Vergabe von Aufträgen (also etwa die in Deutschland etwas zwanghaft sich vollziehende Aufstellung von Mahnmälern), passte die Behörde noch in den 80ern ihre Konzepte für den Außenraum den Erfordernissen ortspezifischer Arbeiten an. Bei Großprojekten wie "Jenisch-Park" oder "Sieben Orte für Hamburg" wolle man, um den "Charakter der Autonomie der Kunst zu erhalten", Künstlern weitesgehenden Entscheidungsfreiraum überlassen. Und auch der 1989 in Folge eines Symposions publizierte Sammelband macht deutlich, dass die Auseinandersetzung mit Grundfragen der "Kunst im öffentlichen Raum" nicht nur historische Perspektiven oder die Sicht von Künstlern einbezieht, sondern die Rolle der Verwaltung ansatzweise kritisch reflektiert. [3]

Das, was Ende der 80er noch fast verdächtig nach sauber geschiedener Arbeitsteilung klingt, taucht 1994 als sub-optimaler "Grundwiderspruch zwischen autonomen Künstleranspruch und den Aufgaben, Funktionen und Abhängigkeiten öffentlicher Verwaltung als verlängerter Arm der Politik" im Programm von "weitergehen" wieder auf. In dekonstruktiver Bewegung versteht sich das als Experiment ausgewiesene Konzept als ein Jonglieren mit genau diesem Grundwiderspruch. Bewußt wird jede programmatische Vorgabe von Seiten der Behörde zugunsten eines offenen Prozesses vermieden, innerhalb dessen man die Grenzen der "Verschiebung von Produkt und Produktion" bzw. "Produktion und Vermittlung" neu ausloten will. In kritischer Absetzung zur kuratorischen Praxis eines Kasper König und der "Objektorientierung" der Skulpur.Projekte in Münster, folgt der Hamburger Entwurf der Einsicht, daß die Kunst "längst nicht mehr skulptural oder geographisch festzulegen" sei und die Praxis sich "entschieden zu prozeßorientierter und temporärer Arbeit" verlagert habe.

Wie der Selbstdarstellung von "weitergehen" zu entnehmen ist, werden den Diskurs prägenden Begriffsfelder [4] der 90er Jahre aber nicht nur aufgegriffen, um die Wahl für bestimmte KünstlerInnen zu legitimieren, sondern es wird versucht, sie gestaltgebend für die Gesamtstruktur der Kooperations- und Arbeitsformen zu gebrauchen. D.h.: die Leitfrage "Welche gesellschaftlichen Effekte erzielen künstlerische Projekte überhaupt?" wird mit geladenen Künstlern diskutiert und bearbeitet, die Kooperation mit dem Kunstverein Hamburg und Vertretern aus verschiedenen Feldern der kulturellen Praxis gesucht und erst 1997 beauftragt man sukzessive die KünstlerInnen mit der Realisierung ihrer Vorschlägen zu beginnen.

Der Plan von Fritz Rahmann, an der Autobahneinfahrt in großen Metallettern den Schriftzug "Kunst im öffentlichen Raum" zu plazieren, sollte - laut Folder - als dringender Appell an die Behörde selbst zu verstehen sein, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Liest man diese Arbeit im Kontext von "weitergehen" als direkte Antwort auf die Aufforderung zur Kooperation, so enthält sie gleichermaßen einen deutlichen Hinweis auf die Defininitionsmacht der städtischen Entscheidungsträger und die listig-renitente Zurückweisung der zugewiesenen Rolle. Widersprochen wird einer Freiheitsidee, die vom Künstler abverlangt, als einzelner politische Verantwortung zu tragen und stellvertretend Zeichen für etwas zu finden, was dem demokratische Auftrag der Behörde obliegt. Warum der werbende Schriftzug bisher nicht errichtet wurde, sondern lediglich sein Pendant, die Lettern "MÖBEL" im Kunstverein realisiert und präsentiert worden sind, darüber bleibt zu spekulieren.

Verwirklicht und anschließend der Rezeption anheimgestellt wurden jedenfalls mit der von R. Möller konzipierten Illustrierten "regina" - einer ironischen Appropriation von Frauen-Mode-Zeitschriften - und der übers Internet verbreiteten Gesprächsserie mit Medienexperten von Dellbrügge & de Moll unter dem Titel "Der Hamburg Ersatz" zwei neue Publikationsangebote. Nicht der lokale Außenraum, sondern die Strukturierung von Öffentlichkeit durch ortsunabhängige mediale Distributionswege waren Ausgangspunkt für die Zeitschrift- bzw. Netzseitenproduktion von Regina Möller und Dellbrügge & de Moll. Schade nur, dass die Problematisierung der medienspezischen Kommunikationsformen Internet / Illustrierte ausschließlich medienintern geschah, während die Distributionswege ihrer Produktíon von dieser Auseinandersetzung so gut wie unberührt blieben, bzw. sich auf herkömmliche Verbreitungswege stützten.

Anders liegt der Fall bei dem vielschichtig angelegten Projekt "Was so nahe liegt ist doch so fern" von Christoph Philipp Müller, das aus einer Serie von mit soziologischen Mitteln operienden Recherchen zur sogenannten "Kunstmeile Hamburg", der nach Kriterien des Marketings oder sogenannter Standortpolitik geplanten Zusammenführung verschiedenener Kunstinstitutionenen in der Nähe des Bahnhofs. Auch hier setzt das in Form einer Ausstellung zusammengetragene Material - Interviews, Texte, die Ergebnisse eines Fotowettbewerbs und deren Auswertung sowie die zusammengestellten Beiträge in dem Buch "Auf Schritt und Tritt" [5] vorwiegend auf diskursive Verbreitung. Aber anhand der formulierten Interessen, Vorstellungen, und Meinungen von Kulturpolitikern, Museumsdirektoren, Laien, Kunststudenten, sowie Theoretikern zur "Kunstmeile" entsteht ein nüchternes Bild derzeitiger Rezeptionsbedingungen, das vor allem als differenzierte Forschungsgrundlage brauchbar ist, obwohl oder gerade weil idealistisch überhöhte Ansprüche an die "Kunst des Öffentlichen" Relativierung erfahren.

Vergleichsweise naiv - ob nun gewollt oder nicht - ging Michael Sorkin vor, wenn er sein City Portrait für Hamburg mit dem Vorsatz kommentierte "etwas gutes für diese schöne Stadt zu entwerfen". Entsprechend zartstimmig fällt dann auch die alternative Stadtplanungsidee aus, die Sorkin unter dem Motto "global denken, lokal handeln" in Auseinandersetzung mit urbanen Wachstumsprozessen und als Kritik am "master-planning" zeitgenössischer Stadtentwicklung für die Bewohner Hamburgs entwickelte. Ausgehend von der Frage, wie "die Stadt über ihr eigenes Glück phantasieren" könne, forderte er Ausstellungsbesucher dazu auf, ihre Wünsche als von Skizze oder Text in einem eigens errichteten Planungsbüro abzugeben. Dass auf Partizipation angelegte Kunstpraxen durchaus alternative Formen von Öffentlichkeitsbildung generieren können, demonstriert das inzwischen vier Jahre anhaltende Projekt "Park Fiction" überdeutlich. Es zeigt aber auch, dass die Langfristigkeit sozialer Entscheidungsprozesse konzeptionell einbezogen sein sollte, besonders wenn es - wie auch bei Sorkim - darum gehen soll, das Planen von Städten als künstlerische Praktik zu begreifen.

Nichts desto trotz bleibt es problematisch, einzelne künstlerische Projekte anhand ihres konkreten, sichtbaren Veränderungspotentials in der "Wirklichkeit" zu messen, zumal im Zuge dessen allzu leicht Veränderungen auf symbolischer Ebene diskreditiert [6] und durch die Aufforderung eines ohnehin um sich greifenden aktionistischen Pragmatismus ersetzt werden. In jedem Fall trug "weitergehen" zur ausführlichen Reflexion kontextbezogener Praxen der Neunziger bei. Die das ehrgeizige Vorhaben begleitenden Symposien und Publikationen bieten eine Fülle an Material zur Weiterarbeit. Und zu experimenteller Praxis - ob von KünstlerInnen oder auf theoretischer Ebene - gehört Scheitern notwendig dazu.

Versteht man das Konzept "weitergehen" gemäß seines eigenen Wortlauts als eine solche experimentelle und modellhafte Forschung, die aus einem veränderten Begriff von "Öffentlichkeit" resultiert und auf der Suche nach möglichen Ansätzen den Rollenwechsel von Agenten im kulturellen Feld testet, dann läßt das Folgeprojekt eine Art vertiefende Fortsetzung bisheriger Arbeitsschritte erwarten.

Verschiedene Indizien sprechen aber eher dafür, dass mit AUSSENDIENST im Jahr 2000 keine Fortsetzung, sondern eher eine Abwendung von den bei "weitergehen" formulierten Ansprüchen passiert. Prozessorientierung und Temporalität weichen in dem neuen Programm ganz anderen Maßstäben: "Ein entscheidendes Kriterium für die Auswahl von Künstlern und Projekten war Sichtbarkeit". Fast entschuldigend wird noch hinzugefügt, dass interventionistische Kunstprojekte in AUSSENDIENST fehlten, weil "sie nach jahrelanger Arbeit erfolgreich beendet wurden oder gegenwärtig stagnieren". Auch setze die "Zusammenarbeit mit ethnischen Minderheiten, mit Obdachlosen oder Drogenabhängigen (...) eine intime Kenntnis der politischen Verhältnisse vor Ort" sowie "einer über die Dauer gängiger Kunstvorhaben hinausgehende Zeit" voraus. Bei AUSSENDIENST steht "ein" Benutzer im Vordergund und eine Werkform, die ihren Sinn "ohne Umweg über begriffliche Abstraktion" überträgt, schließlich könne "eine Bronceskulptur genauso Resonanz bei einer speziellen Interessensgruppe finden, wie das künstlerisch--soziale Engagemant bei einer gesellschaftlichen Randgruppe." Wie also könnte eine derartige Rezeptionssituation idealer Weise beschaffen sein? Der für den von Ronald Jones realisierten "Cosmic Garden" imaginierte Passant, läßt da wenig Zweifel mehr übrig: "Er genießt das Grün in einer kurzen Mittagspause oder während er auf den Zug wartet. Erfährt er dann, dass ein ähnlicher Garten als Trost für die Todgeweihten in Ausschwitz gemeint war, dann bleibt diese Botschaft nicht nur ein Gedanke; sie betrifft seinen ganzen Körper und macht seine problematische Positionierung im öffentlichen Raum unmittelbar erlebbar." [7]

Auch ohne "intime Kenntnis der politischen Verhältnisse vor Ort" kann ich Ihnen versichern, dass die "bereits existierende Gemeinschaft", die sich am Ort des Kunstwerkes in Bahnhofsnähe regelmäßig trifft, relativ schnell erkannt ist: es sind Junkies und Obdachlose, die sich hier seit Jahren unübersehbar und ungeliebter Weise aufhalten. Es handelt sich also um eine Teilöffentlichkeit, deren aktuelle "problematische Positionierung im öffentlichen Raum" wohl kaum einer ästhetischen Verdoppelung bedarf, weder kontemplativ noch leiblich. Aber vielleicht kann der gemeinte Passant seine Leiberfahrung dennoch relativ bald und ungestört auch an dieser Stelle machen, wenn es denn mit der "Kunstmeile" noch ein bißchen weiter geht. Die Frage nach den "Effekten künstlerischer Arbeit im öffentlichen Raum" wäre damit dann auch beantwortet. Aber vorerst läßt es sich munter über Widersprüche stolpern.

[1] Vgl. dazu : Christoph Schäfer: "Der Garten des bescheidenen Politikers. Offener Brief an die SPD-Fraktion Altona und Hamburg Mitte", in: Kulturrisse, Transversality now! Wien, 02 / 2001
[2] "Kunst am Bau" bedeutet, daß bei öffentlichen Bauten bis zu 2% der Bausumme für Kunst ausgegeben werden kann. Betreut von nicht kunstsachverständigen Bauverwaltungen und durch vielerlei Auflagen und Restriktionen in enge Schranken gezwängt, ist die "Kunst am Bau" in Deutschland nur selten über bloße, meist in der Qualität fragwürdige Baudekoration hinausgelangt.
[3] Volker Plagemann (Hg.): Kunst im öffentlichen Raum. Anstöße der 80er Jahre, Im Auftrag der Kulturbehörde Hamburg, Köln 1989.
[4] Der Kürze halber verweise ich an dieser Stelle auf die von Stella Rollig vorgenommen Verkettung der "Leitvobalen" der Neunziger: "Diskurs - Aktion - Projekt - Kommunikation - Kontext - Selbstorganisation - Ökonomie - Site Specifity"., in: "Das wahre Leben. Projektorientierte Kunst in den neunziger Jahren", in: Marius Babias und Achim Könnicke (Hg.): Die Kunst des Öffentlichen, Amsterdam, Dresden, 1998
[5] Christian Philipp Müller: Kunst auf Schritt und Tritt. Pubic Art is Everywhere, Hamburg 1997
[6] dieser wichtigen Hinweis entstammt: Christian Kravagna: "Arbeit an der Gemeinschaft, Modelle partizipartorischer Praxis", in: Die Kunst des Öffentlichen, Amsterdam, Bremen, 1998
[7] Alle Zitate des AUSSENDIENST-Konzepts sind dem Vorwort des Kurzführers von Stephan Schmidt-Wulffen und Achim Könnicke entnommen, AUSSENDIESNST, Phase 1, Hamburg 2000

[aus: kulturrisse 04/01]